piwik no script img

Obdachlosenhilfe in München„Jeder bekommt ein Bett“

In München muss im Winter niemand auf der Straße übernachten und dort erfrieren. Der Sozialarbeiter Franz Herzog erklärt, warum.

Weihnachtsfeier im Hofbräuhaus: Obdachlosenhilfe in München läuft. Foto: dpa
Dominik Baur
Interview von Dominik Baur

taz: Herr Herzog, es wird langsam wieder kalt. Wie bereiten Sie sich in der Obdachlosenhilfe darauf vor?

Franz Herzog: Unsere Streetworker sind in ganz München unterwegs, in Parks, unter Brücken, in Abbruchhäusern. Dort gehen sie auf die Obdachlosen zu und informieren sie über Unterbringungsmöglichkeiten. Jetzt machen wir das natürlich noch verstärkt. Uns geht es vor allem darum, dass keiner erfrieren muss.

Und? Klappt das?

Ja. Ich wüsste zumindest nicht, dass in den letzten zehn Jahren ein Obdachloser auf der Straße erfroren wäre.

Im Interview: Franz Herzog

55, leitet die Teestube „Komm“ im Münchner Schlachthofviertel. Die Einrichtung des Evangelischen Hilfswerks beschäftigt auch Streetworker, die sich um Obdachlose im ganzen Stadtgebiet kümmern.

Die Hamburger zeigen – ganz entgegen ihrer Art – in der Obdachlosenhilfe immer wieder nach München als ein leuchtendes Beispiel. Was macht München anders?

Zum einen ist München natürlich relativ reich und hat damit einen größeren Handlungsspielraum als andere Städte. Zum anderen hat es sich die Stadtpolitik aber auch tatsächlich zum Ziel gesetzt, das Thema Obdachlosigkeit in den Griff zu kriegen. Die Stadt hat sich gemeinsam mit freien Trägern viele Gedanken gemacht, Konzepte erarbeitet und die auch umgesetzt. Das eine ist die Versorgung mit Betten, das andere aber ist zu schauen, dass die Menschen ihre Wohnung gar nicht erst verlieren. So gibt es etwa Fachstellen zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit, an die sich Mieter mit Mietschulden wenden können. Wer gar nicht erst auf der Straße landet, dem brauche ich hinterher auch kein Bett besorgen.

Allein von 2001 bis 2011 soll München es geschafft haben, die Zahl der Obdachlosen um fast ein Drittel zu verringern.

Das stimmt. Und das ist eine Folge eines Paradigmenwechsels. Es gibt jetzt zusätzliche Präventionsangebote, zusätzliche Stellen für Streetworker, zusätzliche Betten in den Wohnheimen. Und das macht es uns natürlich auch wieder leichter, die Leute zu motivieren und dauerhaft von der Straße wegzubringen.

Klingt ja, als sei München das reinste Paradies für Leute, die ein Dach über dem Kopf suchen.

So ist es auch wieder nicht. Denn eines sollte man nicht schönfärben: Finanzierbare Wohnungen für Hartz-IV-Empfänger oder Geringverdiener sind hier besonders knapp. Das hat zur Folge, dass unsere Einrichtungen voll sind. Auch Menschen, die schon wieder selbständig in einer eigenen Wohnung leben könnten, bleiben oft in den Unterkünften, weil sie schlicht nichts finden. Und das erschwert es unseren Streetworkern dann wieder, Unterkünfte für die Obdachlosen zu finden.

Die Stadt München hat gerade die Kapazitäten im Kälteschutzprogramm aufgestockt – um rund 200 auf 1.000 Plätze. Was genau passiert in diesem Programm?

Die überwiegende Mehrheit, die im letzten Winter dieses Angebot in Anspruch genommen hat, waren Rumänen und Bulgaren. Wir haben in München sehr viele Menschen aus Südosteuropa, die gekommen sind, um Arbeit zu suchen. Hier sind sie dann aber sich selbst überlassen und haben nur selten Anspruch auf Sozialleistungen. Diese Menschen, in der Mehrzahl Männer, schlafen dann oft auf der Straße. Vom 1. November bis 31. März stellt ihnen die Stadt in der Bayernkaserne Schlafplätze zur Verfügung. Und da bekommt tatsächlich jeder – unabhängig von der Herkunft – ein Bett.

In Hamburg wird auch jedes Jahr ein Notprogramm aufgelegt, die Schlafplätze reichen aber nie aus.

Wir gehen davon aus, dass alle einen Platz finden würden. Es gibt aber auch die, die das gar nicht wollen beziehungsweise sich das noch nicht vorstellen können. Die verbringen die Winter seit Jahren draußen.

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!