piwik no script img

Obamas GesundheitsreformDie Grenzen der US-Demokratie

Wer Belege für die Grenzen der US-Demokratie sucht, sollte sich die Gesundheitsreform im Detail anschauen. Sie enthüllt, was politische Entscheidungsfindungen in Washington ausmacht

Wirtschaft und Politik. Bild: dpa

WASHINGTON taz | Wer Belege für die Grenzen der US-Demokratie sucht, sollte sich die Gesundheitsreform im Detail anschauen. Sie enthüllt, was politische Entscheidungsfindungen in Washington ausmacht: von Lobbys und ihrem Geld und über das schier unendliche Palavern und andere Verfahrenstricks, um den Senat zu lähmen, über die politische Meinungsbildung per Telefon und Meinungsumfrage.

Die Gegner der Gesundheitsreform hatten Argumentationsvorlagen entwickelt, mit denen Aktivisten telefonisch "Druck" auf etwaige Befürworter der Reform ausüben sollten. Ganz oben auf diesen Listen steht der Staat, der sich ungerechtfertigt in die Privatsphäre seiner Bürger einmischt, die "Kostenexplosion" und die angeblichen "Gefahren für das ungeborene Leben" durch das Gesetz. Alle Argumentationslisten enthalten auch die Drohung mit einer Bestrafung mit dem Stimmzettel bei den bevorstehenden Kongresswahlen im November.

Umgekehrt haben sich auch "Telefonaktivisten" auf der Seite der Befürworter zu gemeinsamen Telefonaktionen getroffen. Viele Parlamentarier vergrößerten ihre Büros kurzfristig mit Praktikanten, um die täglich hunderte von Telefonanrufen entgegenzunehmen.

Lähmend wirkt das "Filibustern". Dabei versuchen Senatoren mit in die Länge gezogenen Redebeiträgen jede Entscheidungsfindung zu verhindern. Ein "Filibustern" ist selbst bei klaren Supermehrheiten möglich.

Wenn es jedoch keine Supermehrheit gibt, können nur andere parlamentarische Verfahrenstricks zu einer Mehrheitsfindung verhelfen. In diesem Fall soll das der "Reconciliation-Prozess" erledigen, bei dem die Änderungen im Gesetz nur noch eine einfache Mehrheit im Senat benötigen. Das Verfahren hilft zwar, ein Gesetz durchzubringen. Doch es verschafft ihm nicht dieselbe Legitimität.

Schwer bei der Entscheidungsfindung wiegt das gleiche Stimmengewicht, das kleine und dünn besiedelte Bundesstaaten im Senat haben. Dort wiegen Idaho oder Rhode Island genauso schwer wie die großen Bundesstaaten Kalifornien, Texas oder Pennsylvania. Es kommt hinzu, dass die Hauptstadt der USA nach wie vor kein Stimmrecht im Senat hat.

Über die düstere Rolle der Lobbys ist selten so offen diskutiert worden. Demokratische Abgeordnete warfen den Republikanern vor, sich an die Versicherungsbranche verkauft zu haben. Die Gesundheitsbranche in den USA ist ein hundertprozentiger Profitsektor. Sie ist teurer als in sämtlichen anderen Industrieländern. Bei der Gesundheitsreform gehören auch die privaten Krankenversicherungen zu den Gewinnern. Sie bekommen Millionen von zusätzlichen Kunden, denen der Staat bei der Zahlung ihrer Versicherungsprämien unter die Arme greift. Sie erhalten die Garantie, dass sie "Risikofaktoren" nicht finanzieren müssen: Rentner, Familien und Arme.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

20 Kommentare

 / 
  • D
    davidly

    Aus Erfahrung kann ich etwas zum Thema kenntnisreich äußern: Als selbständiger hier in Deutschland ist es meinen Pflicht, privat krankenversichert zu sein. Ich habe kein Recht auf die öffentliche Krankenkassen.

     

    Nun ist dies der Fall für alle US Bürger. Mit diesem Gesetz wirkt ein Solidarprinzip so mit, dass Gebühr ausschließlich in die Händen der bisher "böse Versicherungsfirmen" fließen.

     

    Was auch nicht im Artikel steht, ist, dass es nicht nur Republikaner, die gegen jenen Entwurf waren. Auch der linke Flügel der Demokraten haben 39 Stimme dagegen abgegeben. Wäre es nicht für diese "demokratische Entscheidungsfindungen" wäre es noch weniger.

     

    Letztens um die sogenannte "Reconciliation" - was eine Verbesserung dieses Gesetz hineinbringen sollten: Wie erwartet man eigentlich, dass demjenigen, denen bisher den Mut fehlte, einen guten Entwurf zu schaffen, auf einmal den Mut haben, es zu verbessern?

  • O
    ole

    Sie enthüllt, was politische Entscheidungsfindungen in Washington ausmacht

     

    >aha

     

    Also in Berlin bedeutet das Brunch im Adlon mit Hummer und Escort Service. Ich war Zeuge... leider und durfte diesen Glanzpunkt der Berliner Demokratie miterleben.

  • UD
    US Demokratie ist tod

    Obama hat die demokratische "Mehrheit" bekommen nur nach Erpressung, Drohungen, Bribes und Pay-Outs an seine eigenen "demokratische" Abgeordnete – auf so eine korrupte Weise, wie es eben nur geht. Typisch für Chicago Politiker, übrigens.

     

    Nun wird die US Finanzamt (IRS) nicht nur alles über das Bürger-Einkommen wissen, sondern auch jede Detail über ihre Gesundheit. Übrigens, das IRS ist in die USA von den Einwohner befürchtet wegen seine gnadenlose Handlung. Zusätzlich hat Obama the IRS's Macht gerade gerade substantiv erweitert.

     

    Nie zuvor waren amerikanische Bürger gezwungen worden, Produkte von PRIVAT FIRMEN zu kaufen, um "legal" in ihren eigenen Land zu sein. Nun wird es so sein.

     

    Obama will kein "Reform" – er will, dass die Regierung die komplette Kontrolle über die Bürger hat. Wenn's anders wäre, hatte er diese 2000+ seitiges "Gesetz" anders geregelt, und zwar echt demokratisch. Die Republikaner waren nicht gegen Reform – sie waren gegen einen Angriff auf der Verfassung.

  • G
    Grassroots*

    Liebe experten der Kommentarfunktion,

    ob ihr es glaubt oder nicht , das sich dieser artikel in die

    bisherige Berichterstattung einreiht oder nicht, spielt hier keine rolle, dafür gibt es ein archiv.

    Mit ein bisschen Recherche findet ihr, falls ihr es nicht schon aus irgendweinem Grunde schon wisst auch europäische thinktanks* und wenn ihr deren Gebote lest, dann wisst ihr auch warum ihr mal über greenpeace, ant-akw-ler, oder eben auch die taz schimpft.

    Und wenn ihr den glauben an die Menschheit unbedingt verlieren wollt, mittel und wege habt ihr ja zur hand.

     

    p.s.: wenn euch "Death panels*" nix sagt und ihr vom "Texas school book"-gremium nix wisst , dann prost mahlzeit, und wenn doch , dann vertellt dat ma dem schreiberling des artikels, viieelleicht weisst der das alns noch nich`.

    p.p.s: der thnktank für antihealthcare heisst grassroots!!!

  • C
    claudia

    >>Nur in einem autoritären Staat gibt es keine Verfahrenskniffs,...

  • RA
    rags and riches

    Echt schlechter Artikel, durch die Brille des Autors geschrieben, die eh nur schlechtes in den USA sieht. Immerhin gab es eine breite Debatte über die Gesundheitsreform! Wenn auch mit richtig dreckigen Tricks, Diffamierungen etc. Doch Dank der Debatte sind sie bekannt geworden, während hierzulande die unsägliche Privatisierung des Gesubndheitswesens schön heimlich und untransparent über die Bühne lief und läuft, mit verklausilisierten Begriffen und bürokratischen Formalien. Also schön weiter mit dem Finger über den großen Teich zeigen, während sich hier Medikamente vertreuern oder verschlechtern, Beiträge steigen und ein Großteil der Bevölkerung vom gesundheitssystem systematisch ausgeschlossen wird.

    Aber sicher lässt sich beim großen Erwachen dann wieder die Schuld in Amerika finden und vielleicht kann mensch es bei der TAZ dann nachlesen...

     

    PS @ Dr.Angeber: glaub nicht, dass Dr. W.-P. Bethe eine Satire verfasst hat. Bin auch nicht gänzlich seiner Meinung aber ruhig mal ernsthaft drüber nachdenken.

  • JS
    Johan Schreuder

    Und in der Zwischenzeit sogenannte Bunkbuster, miniatombomben, nach Diego de Garcia schaffen um ihre tolle Demokratie auf Iran ab zu werfen und damit ein dritten Weltkrieg zu entfachen.

    @ von Dr. W.-P. Bethe

    Ich kan nur hoffen das dies satirisch gemeint ist, sonst gute Nacht.

  • G
    grifter

    Eine der Stärken der US-Demokratie ist die Bereitschft

    und die Möglichkeit der US-Wähler,Politikern, die Ent-

    scheidungen gegen den Mehrheitswillen treffen,direkt

    bei den nächsten Wahlen abzustrafen und ins politische

    Aus zu befördern. Im November werden viele Demokraten

    dies hautnah spüren. Nichts hassen die Amerikaner mehr

    als Versuche der Bundespolitik, in ihr tägliches Leben

    einzugreifen. Sie wollen keinen Wohlfahrtsstaat wie in

    Europa.Und das ist die große Qualität der amerikanischen Demokratie.

  • DA
    Dr. Angeber

    wie meine vorredner schon sagten:

    erstaunlich schwacher artikel, der wohl mehr die werbeumsätze der taz online erhöhen soll, statt es nicht dazu kommen zu lassen, dass der leser seine zeit verschwendet.

     

    und dann diese widersprüche:

    die republikaner, also die gegner der reform, sollen von den lobbyisten beeinflusst worden sein, die durch die reform fette gewinne einfahren?

     

    @Dr. W.-P. Bethe

    schöne satire, hoffentlich nimmt sie niemand ernst

  • M
    Matthias

    Alle genannten Punkte lassen sich bequem umdeuten in Stärken der amerikanischen Demokratie. Was sollen Verfahrenstricks sein? Entweder ist das von der Verfassung gedeckt oder nicht, im Zweifelsfall entscheidet der Supreme Court. Jede Demokratie hat solche Zweifelsfälle. Nur in einem autoritären Staat gibt es keine Verfahrenskniffs, weil dort Verfahren einfach keine Rolle spielen. Sind im deutschen Bundesrat die Stimmen der Bevölkerung adäquat abgebildet? Nein, dort sitzen nur die Vertreter der Regierungsfraktionen der Länder. Da wäre doch eine Direktwahl von Bundesratsvertretern viel demokratischer. Wie ein anderer Kommentator schon gesagt hat: in den USA wird mehr diskutiert. Die Leute rufen ihre Abgeordneten an. Wann haben Sie das letzte Mal einen Ihrer Abgeordneten angerufen? In Deutschland sitzt man vor dem Fernseher, sieht sich Talkshows an, regt sich alle drei Minuten über unfähige Politiker auf und hält das für demokratische Partizipation. Und so weiter und so fort. Das Schimpfen auf die amerikanische Verfassung ist ungewöhnlich billig für die taz!

  • T
    Torben

    "Es kommt hinzu, dass die Hauptstadt der USA nach wie vor kein Stimmrecht im Senat hat."

     

    Starker Tobak, um einfach mal so eingestreut zu werden. Ein demokratisches Prinzip lautet ja, dass die Stimmen aller Bürger gleich gewichtet sein müssen. Dies wird im Senat offensichtlich verletzt, aber wie kann man davon ausgehend zum Schluß gelangen, dass man auch noch der Hauptstadt eine nicht legitimierte Senatsstimme zuschustern sollte.

     

    Nun geht dieses formale Demokratiedefizit bestimmt auf die Zeiten der Gründerväter und irgendwelche lokalpatriotischen Befindlichkeiten zurück, faule Kompromisse sind ja nichts Neues. Man betrachte allerdings einmal das Stimmgewicht eines Maltesers im Vergleich zu einem Deutschen oder Franzosen bei Wahlen zum sogenannten EU-Parlament.

     

    Ich stimme Pauli Pantoffel zu, angesichts der Überschrift hatte ich ebenfalls hohe Erwartungen an den Artikel, dieser schwankt dann aber zwischen belanglos und widersprüchlich. Schade, spannendes Lehrstück in den USA derzeit.

  • DW
    Dr. W.-P. Bethe

    Die Grenzen der US-Demokratie - ja offensichtlich gibt es diese eben nicht, sonst hätte diese zusammengewürfelte Nation nicht über 200 Jahre erfolgreich eine demokratische Selbstverwaltung praktiziert.

     

    Sie haben sich selbst in den 60/70-erJahren aus dem Mafia-Sumpf gezogen.

     

    Es ist eben so, dass die politisch interessierten Bürger - das ist sicherlich keine Mehrheit, aber eine qualifizierte Minderheit um 40% - auch wirklich aktiv mitdiskutieren. Und das äussert sich eben so, wie im Artikel beschrieben.

     

    Entscheidend ist das Ergebnis. Wir profitieren ja auch davon: Niederschlagen des nazismus in D.; Niederkämpfen des menschenverachtenden Kommunismus;

     

    Und wenn wir dann mal wissen, wie die Klimazusammenhänge wirklich sind - z.Zt. wissen wir ja nur exakt, dass der CO2-Gehalt der Atmosphäre steigt - werden wir auch dort konsequente Mitstreiter finden.

     

    Gott sei. s gedankt, dass wir die Ami´s haben.

  • F
    Flo

    Von Mövenpickbegünstigungen, über Schröder bei Gasprom bis hin zur Kundusaffäre...deutsche Politik ist da keinen Deut besser. Und das auch nicht erst seit gestern.

    Aber das Ganze könnte man bei einer gemütlichen Geburtstagsfeier im Kanzleramt sicher besser bequatschen... ;-)

  • PP
    Pauli Pantoffel

    Selten schwacher Artikel; die Überschrift verspricht mehr als in dem Artikel steckt. Filibustern etc. ist den meisten wohl schon lange ein Begriff, aber wo bleibt die Darstellung, wann und wo lobbiiert wurde?

  • CM
    C.W. Macay

    Die us-amerikanische Gesundheitsreform im Detail ?

    Schleifspuren der Lobbywirkung ?

    Bitte dann auch konkrete Infos dazu bringen.

  • W
    Wolfgar

    Mit der Demokratie ist das so eine Sache. Wenn man kein Geld hat ist man auch nicht an der politischen Willensbildung beteiligt. Da brauche ich nicht bis in die USA zu gucken.

    Hier herrscht ja auch Demokratie.

    Bundeswehr in Afghanistan.

    Lissabonvertrag.

    Gesundheitsreform.

    Euroeinführung, Dumpinglöhne kein Mindestlohn, all das und vieles mehr wurde gegen den Willen von klaren Mehrheiten in der Bevölkerung geregelt.

    Toll wenn man was wählen kann.

  • V
    vic

    Wie jetzt?

    War das nun gut für die bisher Unversicherten oder nicht. War das nun ein Sieg der Versicherungsgesellschaften oder eine Niederlage?

    In der taz und anderswo lese ich größtenteils von einem Gewinn der bisher Unterprivilegierten und einem Verlust der Versicherungsgesellschaften,

    dass diese Alte und Kranke, also "unnütze Sozial-Schmarotzer", nicht mehr rausschmeissen können.

  • A
    A.W.G.

    ach, und in deutschland sind die entscheidungsprozesse demokratischer?

  • S
    Slobo

    Dass die Republikaner von der Versicherungslobby gekauft wurden, ist in meinen Augen sicher. Die Argumente "der Staat, der sich ungerechtfertigt in die Privatsphäre seiner Bürger einmischt" und "Gefahren für das ungeborene Leben" sind an den Haaren herbeigezogen. Das klingt irgendwie so als ob jemand verzweifelt versucht hätte, Argumente gegen die Reform zu finden.

     

    Die Wirtschaft (und damit die Versicherungen) macht was sie will, wenn man ihr keine Grenzen zieht. Da muss sich der Staat sehr wohl einmischen und für das Wohl der Bürger sorgen. Anders geht es leider nicht.

     

    Die Abtreibungsgegner haben auch kein Hobby. Dann könnte man ihnen eigentlich mal die Frage stellen, welches Menschenleben mehr wert ist; das Leben von einem Menschen oder das Leben von 50 Mio ? Aber sicherlich geht hier das Recht des Embryos aus pseudoreligiösen Gründen vor. Kinder sind eben niedlich - und Kranke sind einfach nur...überflüssig. Das erinnert mich irgendwie an einen schwarzen Fleck in der deutschen Geschichte.

     

    Am besten schafft man die Krankenversicherung mal komplett ab. Auf Probe. Dann ist das Geheule groß und ein jeder sieht, wie dringend er die KV braucht.

  • TW
    True West

    1. Die 5 Millionen U.S. Buerger in den "Kolonien" sind ueberhaupt nicht im U.S. Congress fuer Abstimmungen vertreten und koennen auch den Praesident nicht waehlen ! (Puerto Rico, U.S. Virgin Islands, Guam, American Samoa, Northern Marianas). 2. In USA haben schon immer die Rechtsanwaelte regiert: Der "Westen" wurde nicht von "John Wayne" erobert, nicht mit "guns and bibles", sondern mit "Treaties" (Staatsvertraege) mit den Indianervoelkern - seit 1790: "American lawyers" - U.S. Rechtsanwaelte "eroberten" den "Westen".