OSTTIMOR-TRIBUNAL ZEIGT GRENZEN DER VERSÖHNUNGSPOLITIK IN ASIEN: Ohne Gerechtigkeit keine echte Stabilität
Indonesische Richter versuchen zurzeit, die Verbrechen des Militärs zur Zeit von Osttimors Unabhängigkeitsreferendum 1999 zu ahnden. Dafür klagen sie für einen Teil der damaligen Verbrechen zweitrangige Verantwortliche an. Dass dieses Tribunal überhaupt stattfindet, liegt am früheren Druck der internationalen Gemeinschaft. Denn um den Gesichtsverlust durch ein internationales Tribunal abzuwenden, entschied sich Indonesiens Regierung widerwillig für ein Tribunal in eigener Regie. Dabei gilt auch international ein Verfahren im Land der Verbrecher generell als langfristig erfolgversprechender als ein internationales Tribunal im Ausland.
Ziel solcher Verfahren sollte es sein, Gerechtigkeit walten zu lassen, auf deren Grundlage dann Versöhnung und eine friedliche Zukunft möglich sind. Dabei kollidiert die Suche nach Gerechtigkeit auf den ersten Blick mit dem Bedürfnis nach Stabilität, erst recht wenn die Anzuklagenden noch mächtig sind und über ein großes Destabilisierungspotenzial wie Indonesiens Militär verfügen. Wer in Indonesien ernsthaft Generäle anklagt, weiß, dass die Suche nach Gerechtigkeit eigentlich nicht bei den Verbrechen von 1999 stehen bleiben kann. 1965 wurden bei der Zerschlagung der Kommunistischen Partei eine Million Menschen ermordet, General Suharto gründete seine 32-jährige Diktatur. Die Aufarbeitung dieser blutigen Geschichte erfordert Mut, zu dem in Indonesien und international nur wenige bereit zu sein scheinen. In Afghanistan, wo Warlords zurzeit noch mit Regierungsposten belohnt statt vor Gericht gestellt werden, oder in Kambodscha, wo die Regierung nur zur Anklage einiger weniger Roter Khmer bereit ist, ist die Situation ähnlich.
Doch nicht nur Anklagen gegen mächtige Völkermörder und Kriegsverbrecher können die Stabilität in einem so strategisch wichtigen und von seiner Größe bedeutenden Land wie Indonesien gefährden, sondern auch fehlende Gerechtigkeit und Versöhnung. Wo Politverbrecher nichts befürchten müssen, mag es Friedhofsruhe geben, aber keinen dauerhaften Frieden. Bei der Gratwanderung zwischen Gerechtigkeit, Versöhnung und Stabilität darf die internationale Gemeinschaft deshalb nicht allein mit den mächtigen Tätern und Mitläufern kungeln, sondern muss den schwachen Opfern beistehen und ihnen früher oder später zum Recht verhelfen. Bei der mühsamen Aufarbeitung der blutigen Geschichte Indonesiens darf deshalb der internationale Druck nicht nachlassen. Aus falsch verstandener Stabilität wurde jahrelang zu den Verbrechen Suhartos und seiner Militärs geschwiegen. Das hat erst die Instabilität genährt, unter der Indonesien heute leidet. SVEN HANSEN
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