Nutria-Jagd in Niedersachsen: Nager profitieren vom Klimawandel
Die Ausbreitung der Nutrias erreicht Rekordzahlen, vor allem in Niedersachsen und Bremen. Das liegt auch an milden Wintern.
Die invasive Art durchlöchere mit ihren Bauten Deiche und Uferzonen, heißt es. Damit ist der Hochwasserschutz gefährdet, genauso wie die mühsam renaturierten Flussläufe und geschützte Vogelarten, denen die Schilfrohre und anderer Uferbewuchs als Nistplätze abhanden kommen.
Manchmal brechen auch Trecker oder Mähdrescher ein, weil die Wohnhöhlen der bis zu zehn Kilogramm schweren Nager die Felder untergraben haben.
Die Jagd auf Nutrias ist deshalb in Niedersachsen seit 2001 immer weiter ausgedehnt worden, die explosionsartige Vermehrung hat das bisher nicht gestoppt. Nun meldet der Deutsche Jagdverband (DJV) neue Rekordzahlen. In ganz Deutschland breite sich die Art weiter aus, ganz besonders aber in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen.
Niedersachsen beschäftigt drei hauptamtliche Nutriajäger
Hier seien 2021 in 58 Prozent aller Jagdbezirke Nutria-Vorkommen gesichtet worden, teilte der DJV mit. Das entspricht einer Verdopplung gegenüber 2015. In Bremen waren es sogar 89 und in Hamburg 77 Prozent der Jagdbezirke. Das zeige, dass sich die Art auch in städtischen Regionen wohl fühle, so der DJV.
Für die weiter zunehmende Ausbreitung machen die Jäger vor allem zwei Faktoren verantwortlich: Das Füttern durch Menschen vor allem in städtischen Gebieten und die milden Winter. Strenge Winter sind – abgesehen vom Menschen – der einzige Feind des Nagers mit den großen orangefarbenen Schneidezähnen. Bei tiefen Temperaturen und karger Kost erfrieren und verhungern vor allem die Jungtiere.
Natürliche Feinde haben Nutrias hier sonst nicht. Die ursprünglich aus Südamerika stammende Art wurde zur Pelzzucht eingeschleppt und dann ausgesetzt, ähnlich wie die aus Nordamerika stammenden Bisamratte. In die freie Wildbahn gelangten sie wohl vor allem Ende der vierziger Jahre, nach dem Zweiten Weltkrieg.
Niedersachsen beschäftigt seit 2019 drei hauptamtliche Nutriajäger, die bei der Landwirtschaftskammer angestellt sind und vor allem bei den Hobbyjägern Aufklärung und Sachkunde verbreiten sollen. Ohne Sachkundenachweis und Genehmigung dürfen Nutrias nämlich nicht gejagt werden. Für die sachgemäß erlegten und gemeldeten Nutrias gibt es eine Prämie von sechs bis acht Euro, die der Wasserverbandstag ausgelobt hat.
Trend geht zu Lebensfallen
Gejagt wird entweder mit Kleinkalibergewehren, Tot- oder Lebendfallen. Vor allem die Behörden setzen zunehmend auf Lebendfallen. Das ist zwar aufwändiger, hat aber den Vorteil, dass sich unerwünschter Beifang reduzieren lässt – wenn geschützte Tiere wie Biber, Fischotter oder Wildkatzen in die Falle gehen, können sie wieder freigesetzt werden.
Trotz all dieser Bemühungen sind die Bestände in den letzten Jahren noch einmal sprunghaft angestiegen, was sich auch in den Zahlen der erlegten Tiere widerspiegelt: Von 10.387 toten Nutrias im Jagdbericht 2015/16 auf 41.369 im aktuellen Berichtsjahr 2021/22.
EU-weit bemüht man sich deshalb darum, die Jagd effektiver zu gestalten. Auch Niedersachsen verweist an dieser Stelle gern auf das „EU Life Mica Project“ zur Eindämmung der Nutria- und Bisampopulation, das 2019 begonnen hat und noch bis 2023 läuft.
Hier wird der Einsatz von „intelligenten“ Fallen und Kameras erprobt, die gezielt nur bestimmte Tierarten erfassen. Außerdem sollen mit Hilfe von „eDNA Detection“ Nutriavorkommen anhand von Wasserproben ermittelt werden. In Italien experimentiert man außerdem mit Sterilisierungsmaßnahmen.
Verdrängung sei nur selten nachgewiesen
Die Kritik an der Bejagung klingt eher verhalten: Als Niedersachsen 2018 auch die Bejagung von Muttertieren zugelassen hat, kritisierten Tierschützer dies als grausam, weil die Jungtiere dann elendig verrecken müssten.
Jäger argumentieren dagegen, dass Nutria-Weibchen erstens von Männchen nicht zu unterscheiden und zweitens mit drei bis vier Würfen im Jahr eigentlich immer entweder tragend oder säugend seien.
Der Nabu kritisiert außerdem, dass die Schäden für das heimische Ökosystem oft übertrieben würden – eine wirkliche Verdrängung heimischer Arten ist nur in ganz wenigen Fällen nachgewiesen.
Um Schäden an Deichen und Uferzonen zu verhindern, seien lokale Maßnahmen ausreichend und eine flächendeckende Bejagung übertrieben, sagen die Naturschützer. Für eine ungehinderte Ausbreitung der Art mag allerdings auch niemand plädieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe