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Nur einmal Gott sein

Ob Atombombe oder Gentechnik: Viele Wissenschaftler streben Herrschaft an – über die Natur und den weiblichen Körper. Sie leiden an Gebärneid, wollen „Leben“ schaffen

Beim Test der Atombombe 1945 erlitt der Physiker Oppenheimer einen Zustand fast wie Wehen

Manchmal sind Kleinigkeiten besonders verräterisch. Im Spiegel war vor einiger Zeit ein Bild des italienischen Reproduktionsmediziners Severino Antinori zu sehen, der mit einem ausladenden Herrschaftsgestus sieben per künstlicher Befruchtung erzeugte Babys präsentierte. Bildunterschrift: „Frauenarzt Antinori, von ihm geschaffene Retortenbabys“. Von ihm geschaffen? Ist Antinori Gott? Und ist der Verfasser der Bildzeile sein Assistent oder seine Hebamme? Was treibt Letzteren dazu, die Hybris dieses Do-it-yourself-Gottes, der im Jahr 2002 den ersten geklonten Menschen der Welt präsentieren will, auch noch zu unterstützen? Was fasziniert den Spiegel-Macher an diesem machistischen Menschenklempner? Der ankündigt, bei unfruchtbaren Paaren stets nur den Mann klonen zu wollen, weil die Männer den umgekehrten Fall halt „nicht akzeptieren“. Der so unglaublich unendlich eitel ist, dass er auch seine eigene Tochter nur als Blaupause von ihm selbst wahrnehmen kann: „Monika, meine ältere, ist mir verblüffend ähnlich – fast, als wäre sie bereits ein Klon von mir.“

Es ist die Tragödie des Männergeschlechtes, dass es nur Leben erzeugen, aber kein Leben hervorbringen kann. Sigmund Freud hat seinerzeit beim weiblichen Geschlecht den „Penisneid“ konstatiert und dabei aber geflissentlich das wahrscheinlich viel wirksamere männliche Pendant übersehen, die große Triebkraft hinter der männlichen Wissenschaft: den Gebärneid. Wir wollen auch endlich einmal Leben produzieren! Das ist die gemeinsame Botschaft des Doktors und seines medialen Geburtshelfers – eines Paares, dem wir in der Geschichte der Naturwissenschaften immer und immer wieder begegnen.

Als in der sonnenversengten Wüste Neu-Mexikos im Juli 1945 die erste Atombombe getestet wurde, erlitt der Atomphysiker Robert Oppenheimer einen Zustand, der Wehen verblüffend ähnelte. „Dr. Oppenheimers Spannung nahm zuletzt immer mehr zu“, schrieb eine der beteiligten männlichen Hebammen später auf. „Er atmete kaum noch. Er hielt sich an einem Pfosten fest. In den letzten Sekunden starrte er nach vorne, und dann, als die Lautsprecherstimme ,Jetzt!` rief und ein ungeheurer Lichtblitz erschien und unmittelbar danach der dunkel rollende Donner der Explosion, da entspannte er sich, und auf sein Gesicht trat ein Ausdruck großer Erleichterung.“ Das Kind sei „fast ausgewachsen zur Welt gekommen“. Eine andere Hebamme, wieder ein Journalist, formulierte es so: „Das Toben erreichte uns etwa hundert Sekunden nach dem großen Blitz – der erste Schrei einer neugeborenen Welt.“

Oppenheimer selbst telegrafierte an seine Frau das vereinbarte Codewort: „Du kannst die Bettwäsche wechseln“ – denn nach einer Geburt ist die Bettwäsche nun einmal blutig. US-Verteidigungsminister Henry Stimson, gerade auf der Potsdamer Konferenz, erhielt folgendes Telegramm: „Doktor soeben zurückgekehrt. Äußerst zufrieden. Meint, der Kleine sei bestimmt ebenso kräftig wie sein großer Bruder.“ Offiziere gratulierten dem 77-Jährigen herzlich zur Vaterschaft.

Kurz darauf gab es noch eine Geburt: in Hiroshima. Am 6. August flog ein umgebauter und nach der Mutter (!) des Piloten benannter Bomber Richtung Japan, aus seinem Bauch (!) entsprang „little boy“. Am 9. August kam schon wieder ein Baby zur Welt, „fat man“. Und erneut war eine begeisterte Reporter-Hebamme zugegen: „Es war ein lebendes Ding, eine neue Art Lebewesen, das dort gerade vor unseren ungläubigen Augen geboren wurde.“ Die Folge: Die National Baby Institution der USA ernannte Oppenheimer, den „Vater der Atombombe“, zum „Vater des Jahres“.

„Wir Männer sehen, dass die Frauen etwas können, nämlich Kinder haben“, bemerkte der US-amerikanische Computerwissenschaftler Joseph Weizenbaum 1985. „Das ist überhaupt nicht trivial! Wir gehen her und sagen, wir können es doch, wir können künstliches Leben herstellen, nicht nur mit künstlicher Intelligenz und Robotern, vielleicht auch mit Gentechnik ... Wir können es viel besser als die Frauen. Wir können Leben herstellen, das eben nicht sterblich ist, das immer wieder kopiert werden kann.“

So aber, wie ein Mann den Körper einer Frau braucht, um Vater zu werden, so (miss-) braucht ein Wissenschaftler den „Körper“ der Natur, um seine Wunder zu vollbringen. Spätestens seit dem Beginn der Neuzeit sahen nicht wenige Forscher die Natur als weibliches Wesen, das sie reizt, herausfordert, das sich ihnen verweigert und das beherrscht werden will. „Tief in die Natur eindringen“, „ihre Geheimnisse entreißen“, „ihren Schleier lüften“ – das gehörte damals zu den beliebtesten Metaphern. Die „Geheimnisse der Natur“ waren nur eine andere Bezeichnung für die weiblichen Geschlechtsorgane, und der Schleier ist bekanntlich ein Symbol für das Jungfernhäutchen.

„Von dem Schleier, der diese geheimnisvollen und edlen Prozesse [der Chemie] umgibt, ist lediglich der Rock hochgehoben worden“, begeisterte sich im 19. Jahrhundert Humphry Davy, ehrwürdiger Präsident der britischen Royal Society, in einem Sprachbild, verrutscht wie der Rock. Nicht minder euphorisiert vermeldete Anfang des 20. Jahrhunderts Atomphysiker Ernest Rutherford an Niels Bohr: „Allwöchentlich erliegen mir mehrere Atome.“

Freud hat bei Frauen „Penisneid“ konstatiert – den männlichen Gebärneid hat er übersehen

Aber es gab immer auch männliche Wissenschaftler, denen diese Attitüde sauer aufstieß. Der US-Genetiker Richard Lewontin befand, die Metaphern der Naturwissenschaft seien „erfüllt von der Gewalt, dem Voyeurismus und der Schwülstigkeit typisch männlicher Adoleszenz-Fantasien. Wissenschaftler ,kämpfen` mit der ewig weiblichen Natur, um ,ihr die Wahrheit abzuringen` oder ,ihre verborgenen Geheimnisse zu enthüllen`; sie führen ,Krieg` gegen Krankheiten und ,erobern` sie.“ Lewontin, der Eroberungen und Konkurrenzgehabe ablehnte, bezahlte seinen Preis: Nicht er, sondern sein Erzfeind E. O.Wilson und dessen simplifizierende Thesen über die genetische Bedingtheit von Verhalten wurden weltberühmt.

Ruhm macht göttergleich und hilft gegen Gebärneid, der gleichzeitig Gottesneid ist. „Warum wir Gott nicht mehr die Zukunft des Menschen überlassen“, übertitelte der „Vater des Human-Genom-Projektes“ James D. Watson jüngst einen Artikel in der Frankfurter Allgemeinen. „Denen, die sagen, wir dürfen nicht Gott spielen, halte ich entgegen: Wir tun es schon längst“, ergänzte der US-Biophysiker Gregory Stock, man habe jetzt „die Herrschaft über die Evolution“ übernommen. Da ist es nur konsequent, wenn die Fundamentalchristen vom kalifornischen „Second Coming Project“ aus Jesus’ Grabutensilien göttliche DNS gewinnen, diese in die entkernte Eizelle einer jungfräulichen Freiwilligen einsetzen und am 25. Dezember 2001 die Geburt des klonierten Gottessohnes feiern wollen.

Gott ist ein schwangerer, sich selbst ewig reproduzierender Phallus, und seine Söhne sind Genetiker. UTE SCHEUB

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