Notunterkünfte für Flüchtlinge: Auf einmal ist Sport ganz, ganz wichtig
Unmut über die Beschlagnahmung von Turnhallen für Flüchtlinge: Nach Bezirken und Sportvereinen mucken nun die Eltern auf und starten eine Onlinepetition.
![Toilettenhäuschen vor einer Turnhalle Toilettenhäuschen vor einer Turnhalle](https://taz.de/picture/889549/14/14912011.jpeg)
Kurz vor Weihnachten gewinnt die Diskussion über die Beschlagnahmung von Turnhallen zur Unterbringung von Flüchtlingen an Schärfe. Weil immer mehr Eltern um den Sportunterricht für ihre Kinder fürchten, haben die Bezirkselternausschüsse in Spandau und Lichtenberg eine Onlinepetition gestartet, wie sie am Mittwoch erklärten. Die zuständige Sozialverwaltung müsse zunächst alle anderen Möglichkeiten ausschöpfen, bevor Schulsporthallen belegt werden, fordern die Elternvertreter. Rund 2.000 Unterschriften hat die Petition nach einer Woche. Wenn 15.000 Menschen in den nächsten 80 Tagen unterzeichnen, müssen sich Abgeordnetenhaus und Senat mit der Forderung befassen.
Auch vom Landessportbund (LSB) kommen zunehmend kritische Töne. Zwar sei man „grundsätzlich solidarisch“, sagte LSB-Direktor Heiner Brandi der taz. „Wir sind aber der Meinung, dass die Nutzung von Hallen auf Dauer, insbesondere wenn es Großhallen von zentraler Bedeutung sind, zur Unterbringung von Flüchtlingen keine Lösung ist“. Die Mitglieder erwarteten, dass der Senat jetzt nach Alternativen sucht. Am späten Montagabend hatten sich LSB und rund 150 Vereinsvertreter mit Innenstaatssekretär Andreas Statzkowski (CDU) getroffen, um die Lage zu erörtern. LSB-Präsident Klaus Böger sagte dazu im RBB: “Man zerstört die Unterstützung für eine Aufnahme- und Willkommenskultur durch den Sport. Denn dazu braucht man Sporthallen.“
Nach Angaben der Sozialverwaltung gibt es derzeit 144 Unterkünfte, in denen rund 41.000 Menschen leben. 26.000 von ihnen wohnen in 91 Notunterkünften. Dazu gehören auch 47 Turnhallen, in denen derzeit rund 9.600 Menschen leben. In Berlin gibt es rund 1.050 Turnhallen.
Die Bezirke gehen immer mehr auf Konfrontationskurs. Vor einem Monat noch, als Flüchtlingsstaatssekretär Dieter Glietsch sie aufgefordert hatte, binnen wenigen Tagen je vier Turnhallen zu benennen, die sie ihm geben könnten, hatte lediglich der Bezirk Mitte aufgemuckt. Mitte Dezember verweigerten sich dann auch Spandau und Reinickendorf – letzterer Bezirk stellt bislang keine einzige Turnhalle zur Verfügung.
Heiner Brandi, Direktor des Landessportbundes
Vorige Woche dann hatte der Rat der Bürgermeister aller zwölf Bezirke in einer Erklärung den Senat aufgefordert, keine weiteren Turnhallen als Notunterkünfte mehr einzufordern, und angeboten, dafür „gemeldete Immobilien kurzfristig vorzubereiten“ sowie „freie Flächen“ für Traglufthallen zur Verfügung zu stellen. Auf diese Argumentation zielt auch der Landeselternausschuss, Berlins oberstes Elterngremium, ab. Dass nun immer mehr Turnhallen beschlagnahmt werden, sei ein „Missmanagement“ des Senats, solange die Bezirke ausreichend Alternativen meldeten, heißt es in einer Erklärung.
Dass sie dies tun, bestreitet die zuständige Sozialverwaltung allerdings. Alle großen Immobilien, die schnell zu „ertüchtigen“ seien, würden bereits genutzt, erklärte eine Sprecherin kürzlich der taz. Und in Sachen Bundesinnenministerium, das der Bezirk Mitte immer wieder ins Feld führt, gebe es bislang keine Neuigkeiten vom Besitzer. Derzeit gebe es zu den Turnhallen daher keine Alternative.
Dennoch steht für Claudia Engelmann, Vorsitzende des Bezirkselternausschusses Lichtenberg, fest: „Den Vorwurf, unsere Interessen auf dem Rücken von notleidenden Menschen durchsetzen zu wollen, lasse ich nicht gelten.“ Zwar müssten die geflüchteten Menschen untergebracht werden, eine Turnhalle könne aber nur die letzte Lösung sein. „Denn das ist zum einen für die Flüchtlinge keine akzeptable Unterbringung, und es geht obendrein zulasten des Schulsports, der wegen maroder Hallen ohnehin bereits viel zu oft ausfällt oder aufwendig organisiert werden muss“, so Engelmann. Rund 11.000 SchülerInnen müssen derzeit auf andere Turnhallen als die eigene ausweichen.
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