Notstandsgesetze in Kanada: In die Falle getappt
Kanadas Premier Trudeau greift gegen die Trucker*innen zu härteren Maßnahmen. Damit verstärkt er allerdings deren Zerrbild einer übergriffigen Elite.
K anadas Premierminister Justin Trudeau macht keine gute Figur. Nach drei Wochen Lkw-Belagerung der Hauptstadt Ottawa, zahlreichen Blockaden wichtiger Straßen und im Angesicht von Millionenspenden für die Proteste gegen Impfpflicht und Coronamaßnahmen greift Trudeau jetzt auf Kanadas Notstandsgesetze zurück.
Damit bekommt die Zentralregierung weitgehende Befugnisse – vor allem will sie die Sponsoren der Proteste und die Eigentümer der Lkw angehen. Mag sein, dass das kurzfristig funktioniert und Blockaden abgebaut werden – dennoch dürfte der Schaden dieser Maßnahme größer sein als der Nutzen.
Denn es ist den Organisator*innen der sogenannten Freedom Convoys ein Leichtes, Trudeau vollends als Diktator darzustellen. Das haben sie zwar vorher auch schon behauptet und es ist auch jetzt noch Quatsch – aber die ewige Aufforderung dieser Leute an die Mehrheit, doch „endlich aufzuwachen“, bekommt einen tüchtigen Booster. Trudeau ist damit genau in die Falle getappt, die ihm die Organisator*innen gestellt haben.
Die kommen – anders als viele Teilnehmer*innen der Proteste – aus der inzwischen weltweit bekannten Melange aus Spinnern, Rechtsradikalen und sonstigen Leuten mit einer eigenen Agenda. Denen geht es nicht um Coronamaßnahmen. Ihnen ist jedes Thema recht – von Migration, Klimaschutz bis eben Corona –, was sie mit der Erzählung verbinden können, „das Volk“ müsse sich gegen eine übergriffige Elite verteidigen und dazu letztlich das demokratische System überwinden.
Das ist das Perfide an der Auseinandersetzung mit Vertreter*innen solcherart Weltbilder: Lässt man sie gewähren, nehmen sie die Mehrheitsgesellschaft in Geiselhaft. Geht man gegen sie vor, stärkt man ihr Narrativ. Das ist kaum zu gewinnen. Und die Stimmung, die diese Leute verbreiten, macht auch die Rücknahme von Coronamaßnahmen schwerer, selbst wenn sie inzwischen überflüssig sind: Wer will schon dieser Art von Freiheitskämpfern nachgeben?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste