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Norwegen droht KoalitionsendeKrise wegen einer IS-Rückkehrerin

Eine IS-Rückkehrerin löst in Norwegen eine Regierungskrise aus. Das kommt den Abgeordneten der rechten Fortschrittspartei sehr gelegen.

Noch gemeinsam: Ministerpräsidentin Solberg zwischen Mi­nis­te­r*in­nen der Fortschrittspartei Foto: reuters

STOCKHOLM taz | Am Samstag kurz nach Mitternacht ist eine 29-jährige Norwegerin mit ihrem fünfjährigen Sohn und ihrer dreijährigen Tochter auf dem Flughafen Oslo-Gardermoen gelandet. Ihre Rückkehr nach Norwegen löste eine schwere Regierungskrise aus. Denn die rechtspopulistische Fortschrittspartei, die das Land seit sechs Jahren mitregiert, droht mit einem Ende der regierenden Koalition, die damit ihre Parlamentsmehrheit verlieren würde. Die Norwegerin war Ende 2012 in die Türkei gereist und hatte Bastian Vasquez alias Abu Safiyyah geheiratet.

Der norwegische Dschihadist trat wiederholt in IS-Propagandavideos auf. Die Frau zog mit ihm nach Syrien, lebte im „Kalifat“, bekam einen Sohn und heiratete nach Vasquez' Tod 2015 einen anderen Mann, den Vater ihrer Tochter.

Im Herbst 2019 meldete sie sich aus dem Flüchtlingslager al-Hol bei norwegischen Behörden und beantragte ihre Wiedereinreise nach Norwegen. Begründung: Ihr Sohn leide an zystischer Fibrose, einer unheilbaren und lebensbedrohenden Krankheit, die angesichts der katastrophalen Verhältnisse im Lager nicht behandelt werden könne. Hilfsorganisationen appellierten an Oslo, dem Wunsch nachzukommen.

Norwegens Regierung hatte im vergangenen Jahr beschlossen, eine Repatriierung norwegischer Familienmitglieder von IS-Angehörigen nur aktiv zu unterstützen, wenn es sich um Kinder handelte. Zwischenzeitlich wurden deshalb fünf Waisenkinder aus dem Lager al-Hol nach Norwegen zurückgeholt.

Rückkehr aus humanitären Gründen erlaubt

Man hatte auch angeboten, den schwerkranken Fünfjährigen zurückzubringen. Die Mutter wollte ihn aber nicht allein reisen lassen. Am Dienstag erklärte Ministerpräsidentin Erna Solberg, dass man aus humanitären Gründen auch die 29-Jährige mit ihrer Tochter zurückholen werde: „Ich will nicht, dass ein fünf Jahre altes krankes norwegisches Kind in Syrien stirbt.“

Der Regierungsbeschluss wurde von Konservativen, Liberalen und Christdemokraten gegen die Stimmen rechtspopulistischer Kabinettsmitglieder gefasst. Nun stellt die Fortschrittspartei (Frp) die weitere Regierungsmitarbeit infrage.

Die Führung der Partei steht unter Druck, sich entweder in der Regierung stärker zu profilieren oder die Koalition aufzukündigen. Denn die Umfragewerte der Partei haben sich seit der Parlamentswahl 2017, wo sie auf 15,3 Prozent kam, fast halbiert und sind so niedrig wie seit über zwei Jahrzehnten nicht.

Die IS-Rückkehrerin kommt deshalb vielen Abgeordneten wie auch der Parteichefin Siv Jensen wie gerufen. Jon Engen-Helgheim, der migrationspolitischer Sprecher der Partei, sieht jetzt eine „Erhöhung der Terrorgefahr“ in Norwegen. Die Polizei dementiert das und erinnert daran, dass Norwegen bislang vor allem rechtsextremistischen Terror erlitten hat.

Demnächst will die Partei entscheiden, ob und unter welchen Bedingungen sie in der Regierung bleiben will. Die 29-jährige Rückkehrerin wurde gleich festgenommen und wird am Montag dem Haftrichter vorgeführt. Der Vorwurf lautet auf Unterstützung einer Terrororganisation.

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10 Kommentare

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  • RS
    Ria Sauter

    Ist doch eine gute Lösung.



    Die Frau wird inhaftiert für sehr, sehr lange Zeit und die Kinder sind in Sicherheit.

    • @Ria Sauter:

      Was genau sollte denn „gut“ sein an einer „Lösung“, die eine Mutter von ihrem schwerkranken Kind trennt?

      Wenn das Kind in staatlicher Obhut stirbt, wird aus der Mutter womöglich wirklich noch zur Terroristin. Sie sieht dann vielleicht keinen Anlass mehr, sich einzufügen in das „System“, das ihrem Kind nich geholfen und ihr selbst die letzten Tage mit ihm „gestohlen“ hat. In einer sehr langen Haft hätte so eine Frau sehr viel Zeit, sich zu überlegen, wo sie „den Staat“, der ihr Schmerzen zugefügt hat, so richtig schmerzhaft treffen kann. Die Rechten dürfte das freuen. Diejenigen aber, die ihre Menschlichkeit von der Harmlosigkeit anderer abhängig machen wollten, wären dreifach blamiert.

      Nicht, dass ich annehmen dürfte, dass sie das auch nur vor sich selbst zugeben oder gar umdenken würden deswegen...

  • Ethisch schon interessant, wegen des ius sanguinis das die Staatsbürgerschaft des Kindes bestimmt.

    Da werden im Lager also Kinder nach biologischer Herkunft ausgewählt. Wer die richtige hat, der wird ausgeflogen und bekommt die weltbeste Behandlung, selbst wenn unheilbar, nur die Symptome gemildert werden, und die Behandlung extrem teuer ist. Kinder mit der falschen Herkunft haben verloren.

    Schon ironisch dass gerade die Rechtsextremen damit ein Problem haben.

  • Sorry wer nach den USA, Kanada oder Australien ausreist, dort arbeitslos wird oder krank, oder sonstwie Probleme hat, den holt ein normaler Staat auch nicht zurück. Ja bei den Kindern muss man ggf. Ausnahmen machen, aber Rückholung ist falsch. Jeder ist seines Glückes Schmied. Aufs falsche Pferd gesetzt, das System verlassen? Pech!

    • @danny schneider:

      Selbstverständlich hat man als Deutsche Anspruch auf Unterstützung bei Notlagen im Ausland. Egal ob selbstverschuldet oder nicht. Dann kann man hier trotzdem wegen begangener Straftaten verurteilt werden. Und man muss unter Umständen die Kosten erstatten. Aber der Service ist in der Staatsbürgerschaft inklusive.

      Zum Thema an sich hat Frau Solberg alles gesagt

    • @danny schneider:

      Quatsch mit Soße.



      Wenn ich als Deutscher im Ausland in Not bin, zahlt mir die Botschaft/das Konsulat notfalls ein Ticket für die Heimreise. Das Geld muss man später zurückzahlen, sofern man dazu in der Lage ist.

      • @Steff:

        auch @ Laplante

        +1



        www.auswaertiges-a...rtretungen/2082486

        • @Sven Günther:

          Da steht was von "In streng definierten Einzelfällen darf eine deutsche Auslandsvertretung auf der Grundlage des Konsulargesetzes auch finanzielle Hilfestellung leisten."

          nicht das man ein generelles Recht auf Rückholung hätte. Lesen hilft!

          • @danny schneider:

            "nicht das man ein generelles Recht auf Rückholung hätte. Lesen hilft!"

            Und wer sagt Ihnen, das Norwegen der Frau das nicht in Rechnung stellt, dazu steht kein Wort im Text?

            Ich würde Ihnen Nachdenken und Lesen vor dem Schreiben empfehlen.

            • @Sven Günther:

              Nachdenken und Lesen vor dem Schreiben kann ich nur zurückgeben, denn wie Sie unschwer im Thread lesen können waren die Kosten nie mein Thema, sondern ich habe nur anderen geantwortet. Und es geht um eine quasi garantierte Rückholung - und über die schreibt das auswärtige Amt nix.