Normalzeit: Zerschlagene Eier
■ Von Helmut Höge
Manchmal möchte ich morgens, und das ist mitunter erst zwischen 17 und 19 Uhr, etwas Leichtes essen. Seit geraumer Zeit zieht es mich deswegen an den Kottbusser Damm, in Höhe U-Bahnhof Schönleinstraße, zum kleinen Italiener, der sich dort „Da Fiore“ nennt – und für wenig Geld ein Omelett mit Prosciutto und Salat im Angebot hat. Irgendwann fand ich diese Tour aber zu eintönig und beschloss, systematisch sämtliche Italiener in puncto Omelett zu testen. Dabei machte ich einige Entdeckungen. Sämtliche Ristorante im Testgebiet, die ich aufsuchte, gingen wenig später ein: sei es der Italiener in der Tucholskystraße, das Colosseum in der Warschauer Straße, das Bella Isola in Hohenschönhausen, das Giorgio in Marzahn, das Da Capo in Karlshorst, das Samira in der Oranienstraße – nein, diese älteste Pizzeria in SO 36 gibt es noch, aber sie siecht bereits dahin –, dann das Marilyn schräg gegenüber der Blindenanstalt in der Oranienstraße ... Apropos: Vor deren Bürsten-und-Besen-Verkaufsstelle hörte ich neulich, wie eine alte Dame zu einer anderen sagte: „Ach, die Blindenanstalt, die hat sich auch noch gehalten!“ Sie wollte damit sagen, dass sich in der Gegend viel verändert hat – seitdem sie 1934 bei einer „Versicherung in der Kochstraße“ anfing zu arbeiten. Das brachte mich darauf, dass meine regelmäßigen Omelett-Bestellungen am Ende für das Italienersterben doch nicht verantwortlich sind. Auch die Blindenanstalt hat den Lauf der Zeit im Übrigen nicht gänzlich schadlos überstanden: Weil ihre teuren – von Blinden gefertigten – Besen und Bürsten von niemandem mehr verlangt wurden, heuerte sie eine der im Problembezirk und in den Kneipen drum herum besonders häufig anzutreffenden Künstlergruppen an, damit die ihrem Laden ein neues – gar postmodernes Pop-Image – verpasse. Und so geschah es dann auch.
Eines der ganz wenigen Berliner Beispiele inzwischen, wo ein lautes, buntes Marketing-Konzept wirklich funktioniert, d.h. erfolgreich ist. Sieht man mal von den Techno-DJs und ihrer Love Parade ab. Die heutzutage sogar schon von Gewerkschaften und Braunkohlekonzernen kopiert wird. Auch einigen neuen Italienern gelang der Erfolgreichensprung in die oberen Preisklassen. Aber während die Chinesen in ihrer Juxtaposition zu den deutschen Ausgeh-Essgewohnheiten überlebten, wurden die meisten Italiener entweder billig nachkopiert – von Türken und Arabern – oder von Indern verdrängt. Die omelettlosen Inder sind schwer im Kommen! Es ist, als würde hier über Nacht ein Samen aufgehen. Dabei berührt sich – wie immer öfter – die gärtnerische mit der volkswirtschaftlichen Begriffswelt: Grad erzählte mir der neue England-Korrespondent des Spiegel, Michael Sontheimer, dass er dort bei einem ganz tollen Inder gegessen hätte, den ihm der grüne Außenminister Joschka Fischer bei seinem letzten London-Besuch empfohlen habe. Die genaue Adresse hätte er, Sontheimer, dann direkt im Außenministerium bekommen. Diese Umständlichkeit habe sich aber gelohnt.
Zurück zu meinem Omelett-Test: Am besten schmecken sie doch im Da Fiore, wo manchmal immer einige nicht mehr ganz junge allein erziehende Mütter an der Theke sitzen. Sonst ist aber nicht viel los dort. Ich sehe deswegen schwarz für die Zukunft dieser gastronomischen Einrichtung. Innerlich habe ich mich schon auf einen Inder an der Stelle eingestellt.
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