■ Normalzeit: Rührende Althusser-Reanimationen
„Begegnungen mit Louis Althusser“ (für 22 Mark) heißt ein neues Buch aus dem Karin-Kramer-Verlag, das mir taz-Kulturredakteur Harry in die Hand drückte. Darin lag eine Karte: „Lieber Jörg, Höge rückte endlich mit Deinem Namen heraus...“ Armer Verleger Kramer: Mehrmals gab ich ihm dem Namen des Literaturredakteurs, und als er diesem endlich das Buch schickte, war der bereits im Urlaub, so daß es doch bei mir landete. Das hätte er einfacher haben können. Auch daß dieses Manuskript in einem Anarcho-Verlag landete, ist merkwürdig, denn die Autorin – Gudrun Werner- Hervieu – stammt aus dem Holzkamp-Institut für Psychologie, dessen Spaltung in den Siebzigern den Höhepunkt des Revisionismus markierte. Damals machte sich plötzlich neben den Mao- Gruppen überall auch die SED- nahe Aktionsgemeinschaft Demokratische Sozialisten breit, bei den FU-Psychologen übernahmen sie fast das ganze Haus.
Die Autorin wird damals ein ziemlicher Streber gewesen sein, jetzt lächelt sie auf dem Cover als Blondine mit einer Zigarette in der Mountainbikehandschuh- Hand – und schreibt: Die „marxistische Erkenntnistheorie etc. waren sozusagen selbstauferlegte Pflichtübungen“. Das ist halb falsch: Es war Pflicht für die Psychologiestudenten. Und das war der Fehler: Den Marxismus darf man nicht mit deutschen Staatsgeldern lehren! Und dann auch noch die Studenten dazu zwingen! Das ist genauso verwerflich wie jetzt das Verlangen der Feministen nach Polizei und Gesetz, um den Frauenaktionsradius zu erweitern. Aber die selbstsowjetisierten FU-Psychologen fanden damals einen Ausweg: Althusser, der für die „Errungenschaften von 68“ kämpfte und gleichzeitig in der KPF organisiert war. Fast alle seine Mitkämpfer wurden später daran irre oder brachten sich um. Das wenigstens ehrt sie, so daß auch Kramer mit so einem Revi-Buch aus dem Schneider ist.
Er hat es listig in die derzeitige Berliner Althusser-Konjunktur geworfen. Die Autorin hatte Althusser 1976 in Paris kennengelernt und stand fast bis zu seinem Tod mit ihm in Kontakt. Jetzt veröffentlichte sie etliche Auszüge aus seinen Briefen sowie einige ältere taz-Artikel von ihr. Man wundert sich, auf welch hohem theoretischen Niveau der Feminismus damals in der taz diskutierte. Von da aus gelangte er auch zu Althusser: „Ich bin mir ziemlich sicher, daß ein Großteil der Anregungen, die er zum Thema Feminismus erfuhr, von mir kam... Die neue deutsche Frauenbewegung war um einiges radikaler als die französische. Sie setzte die feministische Devise ,Das Private ist politisch‘ mit größerer Entschlossenheit und Konsequenz in die Praxis um.“
Althusser bezeichnete Simone de Beauvoir einmal als „dumme Staatsfeministin“. Auch gegenüber der Autorin war er gelegentlich barsch – zu ihrem Dissertations-Konzept meinte er: „,Das ist völliger Quatsch!‘ – nicht die Produktionsverhältnisse, sondern der Klassenkampf seien der Motor der Geschichte... Er verkörperte und dachte beides: das Unterworfensein wie die Befreiung. Er war Materialist und Optimist in einem. Eine seltene Mischung!“ Als die Autorin sich am FU-Institut gerade das ganze Sowjet-Zeug reinwürgte, gab es so etwas auch in Berlin: und nicht einmal selten! Z.B. in jener Theorie- und Zeitschriftengruppe, die aus den SDS-Basisgruppen hervorgegangen war und sich „Die soziale Revolution ist keine Parteisache“ nannte. Dort wurde jede Lebensäußerung materialistisch „reduziert“, gleichzeitig gaben einige aus dieser Gruppe aber die amiinspirierte Zeitung „Hundert Blumen“ heraus, mit der „jede Form von Nonkonformismus“ gefeatured wurde.
Diese Anmerkungen hier sollen jedoch nicht das anrührende Buch von Frau Werner-Hervieu madig machen. 1987 schrieb Althusser ihr ein letztes Mal: „...er sei verloren in jedem Sinn des Wortes, von schwarzen Gedanken heimgesucht und – er gestand mir seine Liebe. Alle weiteren Versuche, mit ihm Kontakt aufzunehmen, verliefen im Sande.“ Helmut Höge
wird fortgesetzt
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