Nordkoreas Atom- und Raketentests: Hört ihr nicht die Bombe?
Für den nordkoreanischen Diktator läuft die Zeit ab. Mit den Waffentests versucht er, sich Aufmerksamkeit zu verschaffen. Am Dienstagmorgen ließ er weitere Raketen testen.
TOKIO taz | Am Montag gegen 10 Uhr Ortszeit schlugen die Zeiger der Messgeräte in den Erdbebenwarten rings um Nordkorea heftig aus. In Seoul registrierte man eine Erschütterung der Richter-Stärke 4,5, in Tokio von 5,3. Wenig später meldete die nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA, die Demokratische Volksrepublik Nordkorea habe "erfolgreich" einen weiteren unterirdischen Atomtest vorgenommen.
Den ersten Atombombentest führten die USA am 16. Juni 1945 in der Wüste von New Mexico durch, sechs Wochen vor den Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki.
Weltweit 2.083 Tests sind bekannt. Hinzu kommt ein vermuteter südafrikanischer Test.
1.054 Tests führten die USA durch. Es folgen: die Sowjetunion (715), Frankreich (210), Großbritannien und China (je 45), Indien und Pakistan (je 6), Nordkorea (2).
Der Codename des ersten Tests lautete "Trinity" ("Dreifaltigkeit"). Spätere US-Testreihen hießen "Teapot" ("Teekanne") oder "Nougat". Das sowjetische Debüt von 1949 firmierte als "Erster Blitz". Die erste chinesische Bombe von 1964 hieß etwas lieblos "596". Umso niedlicher tauften die Inder ihre erste Bombe von 1974: "Smiling Buddha".
Die höchste Sprengkraft hatte die sowjetische "Zar-Bombe", die 1961 auf der Insel Nowaja Semlja gezündet wurde - 50 bis 57 Megatonnen TNT-Äquivalent und damit 3.800-mal mehr als die Hiroshima-Bombe (13 Kilotonnen).
Wer die Bombe hat, kann heute Tests am Computer simulieren. Indien, Pakistan, Frankreich und China führten zuletzt in den 90er-Jahren echte Tests durch. DZY
Der Test sei Teil der "Maßnahmen zur Stärkung der atomaren Abschreckungskräfte zur Selbstverteidigung". Mit 10 bis 20 Kilotonnen war die Bombe laut russischen Angaben 20-mal so stark wie der erste Test vom Oktober 2006. Kurz darauf folgte die nächste Meldung: Von der Küste wurde eine Boden-Luft-Rakete mit einer Reichweite von 130 Kilometern aufs Japanische Meer abgefeuert.
Die Kritik ließ nicht lange auf sich warten: Die USA sprachen von einer "eklatanten" Missachtung des UN-Sicherheitsrats. Nordkorea bedrohe den internationalen Frieden und die Sicherheit. Frankreich und Japan forderten härtere Sanktionen. Südkorea versetzte die Armee in erhöhte Alarmbereitschaft. Am Montagabend folgte die Verurteilung durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in einer eigens anberaumten Dringlichkeitsitzung.
Doch diese Reaktionen hat Nordkoreas Führer Kim Jong Il einkalkuliert. Seine Erfahrungen lehren ihn, dass der Westen erpressbar ist. Nach dem ersten Atomtest hatte der UN-Sicherheitsrat Nordkorea enge wirtschaftliche Fesseln angelegt. Aber die Sanktionen wirkten nie, weil die Nachbarn China und Russland sie nicht durchsetzten.
Zugleich untergrub die Bush-Regierung die pädagogische Wirkung der Strafen, als sie sich nach jahrelanger Eiszeit plötzlich bereit erklärte, Nordkorea für den Atomausstieg mit Schweröl und Getreide zu belohnen und von der Liste der Terrorstaaten zu streichen.
Und so folgten am Dienstagmorgen zwei Stunden nach der UN-Verurteilung weitere Test: Zwei Kurzstreckenrakteten flogen von der Ostküste aus ins Meer. Am Montag hatte Nordkorea bereits drei Testflüge gemacht.
Denn Kim Jong Il will nun das große Atomgeschäft mit US-Präsident Barack Obama machen. Schließlich steht er auf Augenhöhe mit den USA. Die Sechsergespräche mit den Nachbarn hat er daher abgesagt. Seine politischen Ziele hat Kim längst genannt: einen Friedensvertrag für den Koreakrieg und der Abzug der US-Truppen aus Südkorea. Dazu diplomatische Anerkennung und Wirtschaftshilfe aus den USA. Doch Nordkorea ist enttäuscht, dass Obama sich bisher auf den Irak und Afghanistan konzentriert.
"Darum ist Nordkoreas Verhalten immer drohender geworden", erklärt Daniel Pinkston von der International Crisis Group. Einen zweiten Test habe Nordkorea allein deshalb machen müssen, weil nach dem ersten, letztlich fehlgeschlagenen Test US-Diplomaten Nordkorea inoffiziell den Status einer Atommacht verweigert hätten.
Doch anders als in der Vergangenheit fielen die Provokationen aus Pjöngjang zuletzt immer schriller aus und kamen in immer kürzeren Abständen: Innerhalb weniger Wochen wurde eine Langstreckenrakete abgeschossen, wurden die UN-Atominspekteure des Landes verwiesen, zwei US-Journalistinnen an der Grenze verschleppt und vor Gericht gestellt und schließlich alle Entspannungsverträge mit Südkorea annulliert.
Der zweite Atomtest wurde bereits Anfang Mai als Antwort auf die UN-Kritik am Raketentest angekündigt. Und der Atombombentest allein ist auch nicht genug, er wird nun eingerahmt von fünf weiteren Raketentests.
Eine mögliche Schlussfolgerung lautet, dass Kim Jong Il wegen seiner angeschlagenen Gesundheit unter großem Zeitdruck steht und deshalb seine geübte Erpressungsstrategie im Zeitraffer abfährt. Hinter dem politischen Stakkato sehen Nordkorea-Experten in Seoul den Versuch von Kim, schnell einen dynastischen Nachfolger durchzusetzen. "Vielleicht erfahren wir bald, dass dieser Test teilweise das Werk von seinem jüngsten Sohn Kim Jong Un war", spekuliert Moon Hong Sik von der Chungang-Universität in Seoul.
Obama steht vor einer schwierigen Entscheidung: Entweder er gibt nach und bietet Nordkorea direkte Gespräche an - riskiert aber, von Kim über den Tisch gezogen zu werden. Oder er hält es wie Südkoreas Präsident Lee Myung Bak und verlangt für jeden Schritt eine Gegenleistung. Doch in diesem Fall dürfte Kim den Einsatz weiter erhöhen.
Kim hat in der Vergangenheit gezeigt, dass er sich durch Druck und Sanktionen nicht beeindrucken lässt. Sein Regime stützt sich auf eine Ideologie der Autarkie, auch wenn es letztlich auf Hilfslieferungen angewiesen ist. Zugleich hat er schon bewiesen, dass er nicht davor zurückschreckt, seine Bürger zu opfern, weshalb Südkorea und China Nordkoreas wirtschaftlichen Zusammenbruch mindestens genauso fürchten wie seine waffenstarrende Kraftmeierei.
Und da die grenznahe südkoreanische Hauptstadt Seoul in Reichweite der nordkoreanischen Artillerie liegt, hat Nordkorea schon ohne Atomwaffen genug Drohmöglichkeiten, während die USA gerade deshalb keine aussichtsreiche militärische Option haben. Verhandlungen bleiben somit Obamas einzig realistische Option.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“