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Nordirlands Regionalregierung: Zweieinhalb Monate Frieden auf Probe
Das Vergnügen währte nicht lange. Nordirlands Regionalregierung, die jetzt aufgelöst werden soll, hatte in den zweieinhalb Monaten, in denen sie im Amt war, kaum Gelegenheit, Tagespolitik zu machen.
Eins hatten die Abgeordneten freilich schnell gelernt. Als erstes erhöhten sie sich die Diäten, als zweites die Spesen. Dann reiste der Ausschuss, der für die Kantine zuständig war, nach London, um zu begutachten, wie die Verpflegung im Unterhaus gehandhabt wird. Kurz darauf flog der Spesenausschuss in die englische Hauptstadt, um von der Mutter aller Parlamente in Sachen Kostenerstattung zu lernen.
Was das politische Tagesgeschäft anging, so war bemerkenswert, welch geringe Rolle sowohl die Frage der Abrüstung als auch ideologische Unterschiede spielten – wenn man einmal vom prinzipiellen Antagonismus zwischen Unionismus und Nationalismus absieht. Alle Parteien stimmten darin überein, dass Studiengebühren abgeschafft gehörten. Einig war man sich auch, dass der britische, nicht gerade fürstliche Mindestlohn von 3,60 Pfund in der Stunde für Nordirland niedriger angesetzt werden müsse, um die Abwanderung bestimmter Industrien zu verhindern.
Bei Steuerpolitik und Staatsausgaben war die Regierung konservativ, in moralischen Fragen deutlich weiter rechts: Um Abtreibungslegalisierung, Homosexuellenrechte, Schutz für die Travellers und andere Minderheiten drückte man sich parteiübergreifend herum. Also eine ganz normale Mitte-rechts-Koalition, wobei allerdings der reaktionäre Protestantenpfarrer Ian Paisley und seine Abgeordneten die katholischen Regierungskollegen von Sinn Féin ignorierten.
Das war nicht anders zu erwarten. Paisleys Leute sprachen ja kaum mit David Trimble, dem Unionistenchef und Premierminister, und wenn sie es doch taten, dann nur, um ihm Verrat vorzuwerfen.
Mit den harten Realitäten der tief gespaltenen nordirischen Gesellschaft wurden die Parlamentarier vor allem konfrontiert, wenn sie die schützenden Mauern ihres Sitzes im Schloss Stormont verließen. Wenn Bildungsminister Martin McGuinness von der IRA-Partei Sinn Féin eine protestantische Schule besuchte, liefen die Kinder in Scharen davon. In Pomeroy, einer IRA-Hochburg, verhinderte Sinn Féin im Gegenzug einen Besuch der britischen Herzogin von Abercorn, die ein Programm für kreatives Schreiben an den Schulen lancieren wollte.
Wie weit Nordirland von normaler Tagespolitik entfernt ist, zeigte sich vorige Woche in Portavogie, einer kleinen, überwiegend protestantischen Hafenstadt. Der Agrarausschuss wollte vor Ort die wirtschaftlichen Probleme der Fischer in Augenschein nehmen. Dem Ausschuss unter Paisleys Leitung gehörten zwei Sinn-Féin-Mitglieder an, und da war Fischfang nur noch nebensächlich. „Haut ab, ihr Bastarde“, schallte es, „was wisst ihr schon vom Fischfang? Ihr seid doch im Schweinestall aufgewachsen. Man sollte euch erschießen.“
Dann flogen Eier, und die Sinn-Féin- Leute wurden nur deshalb nicht paniert, weil die Polizei in letzter Sekunde die Mehlsäcke beschlagnahmte. Paisley kam nicht ungeschoren davon: „Du hast uns verraten, du hast diesen Abschaum mitgebracht.“
Als die Suspendierung der nordirischen Regionalregierung immer wahrscheinlicher wurde, gab es im Stormont-Shop einen Run auf die Kugelschreiber mit dem Aufdruck „Nordirische Regionalversammlung“. Alle wollten einen haben – zur Erinnerung. Annie Campbell von der überkonfessionellen Frauenkoalition meint: „Es ist wie bei einer Familie: Du magst sie hassen, aber du kannst nicht ohne sie leben. Jetzt sind wir so weit gekommen, und nun zieht man uns das Parlament unter den Füßen weg. Das ist fast schlimmer, als wenn es das erst gar nicht gegeben hätte.“ Ralf Sotscheck
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