Nonsens-Komödie „Hundreds of Beavers“: Mein Quatsch geschehe
Die Slapstick-Komödie „Hundreds of Beavers“ von Mike Cheslik behauptet sich mit minimalem Budget. Noch geringer sind ihre Anforderungen an Logik.
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Die Destille des Schnapsbrenners Jean Kayak explodiert, und in der Folge muss sich der von nun an ausdauernd gebeutelte Mann in der Eiseskälte des nordamerikanischen Winters als Pelzjäger durchschlagen. Im Versuch, seiner menschenfeindlichen Umgebung Nahrung, Kleidung und Liebe, also Wärme abzuringen, nimmt Jean den beharrlichen Kampf gegen die Natur auf.
Das Dasein wird erschwert von wilden Tieren (Wölfen und einer Biber-Kolonie vor allem), dem herrischen Vater der Frau, in die Jean sich verliebt hat, und durch Eis und Schnee. Heulen und Zähneklappern: Flora und Fauna sind widerspenstig, die Tiere dem Menschen ein Feind, die Liebe entzieht sich.
Die Idee zum Slapstick-Irrsinn „Hundreds of Beavers“ kam den Filmemachern Mike Cheslik und Ryland Tews in einer Kneipe, 2019, spätnachts. Fünf Jahre später ist ihr gerade mal 150.000 Dollar teurer Film eine der erfolgreichsten Indie-Produktionen des letzten Jahres. Der Erfolg mag vor allem in seiner Einzigartigkeit begründet sein. Es gibt eigentlich nichts, das so aussieht wie dieser Film.
Wobei die historischen Bezüge allesamt sehr präsent sind: das Slapstick-Kino der zehner und zwanziger Jahre von Chaplin über Harold Lloyd bis Buster Keaton, die surrealen Exkursionen in die Filmgeschichte Guy Maddins (der von „Hundreds of Beavers“ dann auch sehr begeistert war), der Stummfilm generell. Hinzu kommen noch Momente und Sequenzen, die ahnen lassen, dass Cheslik und Tews in ihrer Jugend Gaming- und Jump’n’Run-Erfahrung gesammelt haben.
„Hundreds of Beavers“. Regie: Mike Cheslik. Mit Ryland Brickson Cole Tews, Olivia Graves u. a. USA 2022, 108 Min.
Die Art und Weise, in der alles das hier zusammengedacht und -montiert wird, ist dann aber weitgehend singulär. Vor allem ist „Hundreds of Beavers“ ein kleines, aber in seiner Konsequenz starkes Zeugnis radikaler künstlerischer Unabhängigkeit. Und zwar nicht im Sinne einer großen filmischen Vision oder etwas Derartigem. Sondern im Sinne der Möglichkeit und dem unbedingten Willen, nichts anderes als die eigenen Quatschideen zum einzig gültigen Maßstab zu erklären. Um dann befreit von nahezu allen Kriterien, wie ein guter Film auszusehen habe, loszulegen.
Gesprochen wird nicht, Geräusche sind erlaubt
Das erlaubt es der Geschichte, wenn es denn überhaupt eine ist, sich in einer Aneinanderreihung von irrwitzigen Sequenzen aufzulösen. In dem Setting finden Zuschauerin und Zuschauer sich, bei aller Unvorhersehbarkeit, schnell zurecht. Gesprochen wird nicht, Geräusche sind erlaubt. Realfilm und Animation durchdringen einander. Die Zeichensprache ist einfach. Die Tiere werden von Menschen in Tierkostümen gespielt, wenn eins erlegt wird, erscheint ein Kreuz in den Augen.
„Hundreds of Beavers“ bezieht seine Komik aus einer fast schon ermüdenden Repetitivität und der wirklich beeindruckenden Fähigkeit des Helden (gespielt vom Drehbuchautor Ryland Tews), immer wieder auf unterschiedliche Weise zu stolpern, irgendwo herunter und/oder auf die Schnauze zu fallen. „Wir wussten, dass das Bild eines Typen im Maskottchenkostüm, der hinfällt, grundsätzlich witzig ist“, hat Cheslik der Variety erzählt. „Und wenn das in jeder Szene vorkommt – selbst wenn unsere Gags nicht gut funktionieren – haben wir immer noch diese grundlegende Komik.“
Bald rennt Jean unermüdlich, weil hungrig und verliebt, im Trapper-Outfit mit Biberkopfmütze durch die schwarzweiße Schneelandschaft. Die Frau seiner Träume ist die Tochter eines Pelzhändlers, und damit er um ihre Hand anhalten darf, muss Jean die titelgebenden Hunderte Biberfelle besorgen.
Der Film steigert sich nach den ersten rabiaten Auseinandersetzungen zwischen Mensch und Natur zu einem ideenüberschießenden Finale. Das setzt sich unter anderem aus einer Gerichtsverhandlung der Tiere gegen ihren Jäger, einem monumentalen Dammbruch, zwei sehr ausgiebigen Verfolgungsjagden, einer Schlägerei Mann gegen Biber und einer Lawine zusammen und gemahnt in seinen besten Momenten an die durchgedrehteren Cartoons Tex Averys.
Wenn die Idee gefällt, kommt sie in den Film
Zwischendurch aber schleppt sich „Hundreds of Beavers“ auch durch einige Längen, die allerdings weniger der Nachlässigkeit der Filmemacher geschuldet sind, sondern aus einer spürbaren und recht sympathischen Scheißegal-Haltung herrühren: Wenn die Idee gefällt, kommt sie in den Film, ohne Rücksicht auf Logik und so Sachen, und egal, ob sie in den letzten zehn Minuten schon dreimal variiert wurde oder eben auch einfach nicht zündet. Der Maßstab ist der Kopfinhalt der Filmemacher, nicht ein Publikums- oder Produzenteninteresse.
Empfohlener externer Inhalt
Trailer „Hundreds of Beavers“
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Somit wäre „Hundreds of Beavers“, wenn er nicht eindreiviertel Stunden, sondern zum Beispiel nur 70 Minuten dauern würde, wahrscheinlich ein nach gängigen Maßstäben besserer Film geworden. Allerdings ist er so, als Kunstwerk, wesentlich konsequenter.
Und wenn man als Zuschauer:in Eingang findet in diese fremde und seltsame Welt mit eigenen physikalischen Gesetzen und logischen Kausalitäten, entfalten die Bilder einen bestimmten Zustand, eine Art meditatives, befremdliches Schweben, das vielleicht auch damit zu tun hat, dass dieser Film sehr clever und sehr doof zugleich ist.
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