"No Berlusconi Day" in Italien: In lila gegen den Premier
Hundertausende demonstrieren in Rom gegen den Premier und fordern seinen Rücktritt. Erstmals sind die Organisatoren keine Parteien, sondern eine Facebook-Gruppe.
ROM taz | Lila war das enorme Transparent an der Spitze des Zuges mit der knappen Forderung "Berlusconi dimissioni": Berlusconi tritt zurück! Und in lila kamen auch die Hunderttausenden Menschen, die am Samstag Nachmittag in Rom diesem Transparent folgten: Schals, Pullover, Krawatten, wehende Umhänge, Strumpfhosen, ja selbst das Halstuch eines mitlaufenden Hundes waren zum großen "No Berlusconi Day" in Roms neuer politischer Modefarbe gehalten.
"Silviooo, Silviooo, wo bist du", ruft ein junger Mann, der einen Stromverteilerkasten am Rande der Demo-Strecke erklommen hat, dabei schwingt er ein Paar Handschellen, hält ein Pappschild hoch mit dem Motto von der Mondlandung "ein kleiner Schritt für einen Menschen, ein großer Schritt für die Menschheit". "Silvio, tu einmal im Leben etwas Vernünftiges, tu den kleinen Schritt".
Silvio, der sich Handschellen anlegen lässt, der sich endlich seinen Prozessen stellt: Das ist es, was das Meer der Menschen in lila will. "Wir erleben hier eine lila Revolution" erklärte später begeistert einer der Organisatoren auf der Bühne der proppevollen Piazza San Giovanni.
In der Tat stellte die Demo vom Samstag ein Novum in Italiens reicher Protestgeschichte dar - ein Novum, das durch die Farbe lila symbolisiert wurde. Keine Partei, keine Gewerkschaft stand hinter der Demonstration - sondern eine Facebook-Gruppe. Menschen, die einander vorher nie gesehen hatten, hatten sich im Web zusammengefunden, direkt nach der Entscheidung des Verfassungsgerichtes, das Anfang Oktober das Immunitätsgesetz zugunsten Berlusconis als verfassungswidrig gekippt hatte. Jene Facebook-Gruppe lancierte den Aufruf zur Demonstration in Rom, die den Artikel drei der Verfassung - alle Menschen sind gleich vor dem Gesetz - in den Mittelpunkt rückte und Berlusconi mit der Aufforderung konfrontierte, er solle zurücktreten und sich seinen Prozessen stellen.
Dieses völlig anonyme Organisationskomitee stellte von Beginn an eines klar: Alle Oppositionsparteien dürfen kommen - doch keiner darf auch nur versuchen, der Veranstaltung seinen parteipolitischen Stempel aufzudrücken. So stand fest, dass kein Politiker bei der Kundgebung reden würde. Dagegen erhielten einfache Bürger oder auch Prominente wie Dario Fo das Wort. Den meisten Applaus bekam Salvatore Borsellino, Bruder des 1992 von der Mafia in die Luft gesprengten Staatsanwaltes Paolo Borsellino, als er Berlusconi mit dem Verdacht allzu großer Nähe zur Cosa Nostra konfrontierte.
Aus dem politischen Raum hatten sämtliche Parteien der zersplitterten und aus dem Parlament verbannten radikalen Linken ebenso wie die Partei "Italien der Werte" des früheren Anti-Korruptions-Staatsanwaltes Antonio Di Pietro zur Demo aufgerufen. Rote Fahnen waren neben lila Bannern - aber auch einer schwarzen Piratenflagge mit Totenkopf - immer wieder im Zug zu sehen. Doch die Machtverteilung war klar. Nichi Vendola, Chef eines der Spaltprodukte von Rifondazione Comunista und Ministerpräsident in Apulien, brachte sie auf den Punkt. "Wir sind Parteien ohne Volksanhang, während hier ein Volk ohne Parteien versammelt ist".
Nicht gekommen war deshalb Pierluigi Bersani, Chef der größten Oppositionskraft, der gemäßigt linken Demokratischen Partei. Bis wenige Tage vor der Demo hatte er den Event in das Licht populistischen Protestes tauchen wollen, überlegte es sich dann anders und stellte den Parteimitgliedern die Teilnahme frei . Auch viele Spitzenpolitiker der Demokraten waren am Samstag zu sehen. Doch als ein Sprecher bei der Abschlusskundgebung fragte, "Wo ist Bersani?", gab es ein kräftiges Pfeifkonzert für die zaudernde parlamentarische Opposition.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Umwälzungen in Syrien
Aufstieg und Fall der Familie Assad
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“