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Niedersachsens Lagebild ClankriminalitätSippenhaft für die Statistik

Niedersachsen möchte gern zum Vorreiter in der Bekämpfung der sogenannten Clankriminalität werden. Doch der Begriff ist kaum sauber zu definieren.

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius bei seiner letzten Clan-Pressekonferenz Foto: dpa

Hannover taz | Zum „ersten öffentlichen Lagebild Clankriminalität“ hatte der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) Ende vergangener Woche geladen. Es ist natürlich nicht seine erste Pressekonferenz zu diesem Thema. In den vergangenen Jahren hat Pistorius das Thema immer wieder auf die Tagesordnung gehievt. Dabei zeigt auch die aktuelle Öffentlichkeitsoffensive vor allem eines: wie schwierig dieser Begriff ist und wie schwer das dahinter liegende Phänomen für die Polizei zu fassen ist.

Gerade erst hat die Recherche eines Zeit-Journalisten ganz erhebliche Zweifel an der niedersächsischen Statistik zur Clankriminalität auftauchen lassen. Darin wird unter anderem ein anonymer Polizist aus dem Großraum Hannover zitiert, der sagt: „Wenn ein 15-jähriger Junge zum Beispiel die Schule schwänzt und in einem Kiosk am Hauptbahnhof von Hannover aus Langeweile einen Schokoriegel klaut, landet er, weil er einen Nachnamen aus der Clantabelle trägt, automatisch in der Clanstatistik.“

Dabei soll schon die Tabelle an sich, dank der unterschiedlichen Schreibweisen und der Auflistung ähnlicher Nachnamen, ziemlich ungenau sein. Außerdem, so der Vorwurf des Artikels, werde die Statistik durch Bagatelldelikte aufgebläht.

Pistorius und sein Polizeipräsident Axel Brockmann benennen diese Kritik nicht, gehen aber trotzdem darauf ein. Die Methode mit der Namenszuordnung sei richtig und wichtig gewesen, um überhaupt erst einmal einen Überblick zu bekommen, sagen sie. Mittlerweile habe man aber eine neuartige Methodik entwickelt – so Pistorius wörtlich – die „weit über die eben erläuterten, bisher überwiegend ethnischen Kriterien“ hinausgehe.

„Typisch clankriminelles Verhalten“ als Indikator

Name und Herkunft seien jetzt kein alleiniges Merkmal mehr, es ginge um „typisch clankriminelles Verhalten“. Und das sei auch keineswegs ein Markenzeichen bestimmter ethnischer Gruppierungen wie etwa der türkisch-libanesischen Mhallamiye.

Was ganz genau denn nun als „typisch clankriminelles Verhalten“ gilt, ist allerdings nicht ganz leicht zu definieren, wie auch LKA-Chef Friedo de Vries einräumt. Auf Bundesebene und unter den Bundesländern wird schon länger um eine gemeinsame Definition gerungen.

Niedersachsen arbeite mit einer zweiteiligen Definition. Ein Clan sei zunächst einmal gekennzeichnet durch die verwandschaftlichen Beziehungen und die gemeinschaftliche Herkunft. Für eine kriminelle Clanstruktur müssten weitere Indikatoren hinzukommen: „Das Ausleben eines stark überhöhten familiären Ehrbegriffes“ etwa, das „Voranstellen familiärer Normen über die Verfassung“, das Verursachen von Gefahren für die Öffentlichkeit, eine hohe Gewaltbereitschaft.

Wenn der ermittelnde Polizeibeamte der Meinung ist, dass so etwas zutrifft, kann er den Vorgang im polizeilichen Erfassungssystem neuerdings mit einem „Clankriminalitätsmarker“ versehen. Das ist eine der methodischen Neuerungen, auf die Pistorius stolz ist. Allerdings: Mit diesem Marker wird offenbar ziemlich viel versehen. 2.630 Ereignisse sind in die Statistik für das Jahr 2019 eingegangen, hinter 1.585 davon verbergen sich tatsächlich Straftaten.

Das Spektrum der so erfassten Taten reicht von Verkehrsbehinderungen durch Hochzeitscorsos auf der Autobahn über die Massenschlägerei von zwei Roma-Großfamilien auf einer Straßenkreuzung in Badenstedt bis hin zu einer Bande, die als falsche Polizisten aus einem Callcenter in der Türkei in Deutschland Senioren abgezockt hat.

Möglicherweise liegt es auch an dieser Unschärfe, dass das Innenministerium nun sagt, man könne keine lokalen Hotspots ausmachen, Taten dieser Art seien im ländlichen wie städtischen Raum vorzufinden.

Gemeinsam ist den Taten vor allem, dass es sich einerseits um migrantische Täter handelt (die allerdings zu 48 Prozent einen deutschen Pass besitzen und zu 54 Prozent hier geboren sind) und dass sie andererseits irgendwie als provozierendes Infragestellen der öffentlichen Ordnung empfunden werden. „Die glauben die Straße gehört ihnen“, sagt Polizeipräsident Brockmann. „Respektlosigkeit“ ist ein Wort, das auch immer wieder fällt.

In Peine räumte eine Polizistin das Feld

Mit einem besonders krassen Fall hatte die niedersächsische Polizei allerdings erst in diesen Wochen in Peine zu kämpfen. Dort war eine Polizeibeamtin unwissentlich in eine Wohnung gezogen, die über einer Shisha-Bar liegt, die von sogenannten Clanmitgliedern frequentiert wird. Diese bedrohten die junge Frau und beschädigten mehrfach ihr Auto – bis sie sich versetzen ließ und damit das Feld räumte.

Ein Kollege, der in dem Fall ermittelte, wurde von einem der Verdächtigen bis zu seinem Wohnhaus verfolgt. „Wir werden so etwas nicht dulden“, betonte Pistorius. Das Peiner Kommissariat wird nun vorübergehend von Kräften der Bereitschaftspolizei verstärkt, die künftig öfter in diesem Bereich eingesetzt werden soll.

Dabei scheint eine andere Neuerung noch viel erfolgversprechender: Sieben „Financial Intelligence Officer (FIO)“ hat die Polizei Niedersachsen re­krutiert. Die sollen verstärkt versuchen, das illegal erworbene Vermögen abzuschöpfen und den Missbrauch von Sozialleistungen zu unterbinden. Im Jahr 2019 wurden Vermögenswerte in Höhe von knapp 5,7 Millionen Euro vorläufig gesichert.

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