Niedersachsens CDU-Chef nach der Wahl: „Unsere Flughöhe war zu hoch“
In Niedersachsen sind CDU und AfD allein in der Opposition. Die CDU werde dennoch nicht am rechten Rand fischen, sagt Fraktionschef Sebastian Lechner.
taz: Herr Lechner, Ihre CDU hat bei der niedersächsischen Landtagswahl eine bittere Niederlage kassiert. Was war der Kardinalfehler?
Sebastian Lechner: Zunächst einmal sind wir noch dabei, das wirklich in der Tiefe zu analysieren. Das braucht Zeit und das möchten wir gern intern tun, nicht öffentlich. Was aber auf der Hand liegt: Wir haben uns im Wahlkampf sehr viel mit der Kritik an der Ampel beschäftigt. Wir hätten stattdessen mehr konstruktive, eigene Antworten geben müssen, glaube ich. Da müssen wir jetzt in der Opposition eine bessere Mischung hinbekommen. Natürlich werden wir auch weiterhin den Finger in die Wunde legen und klar und deutlich benennen, was nicht funktioniert – das ist schließlich unsere Aufgabe. Gleichzeitig müssen wir aber auch Antworten und Lösungen bieten. Dieser konstruktiv-bürgerliche Stil grenzt uns auch ab gegenüber der zweiten Partei, die in der Opposition sitzt.
Auffällig war ja, dass Sie in Ihren ländlichen Hochburgen verloren haben und dass es da Wählerwanderungen in fast gleichem Ausmaß sowohl zur AfD als auch zu den Grünen gegeben hat. Welchen Reim machen Sie sich darauf?
Sebastian Lechner, 42, ist Fraktionsvorsitzender der niedersächsischen CDU und soll ab 2023 auch den Landesvorsitz übernehmen.
Wir haben auch viele an die Nichtwähler verloren. Die Motive dafür müssen wir jetzt untersuchen. Im Hinblick auf AfD und Grüne ist für uns natürlich spannend, dass wir – und das ist für eine Volkspartei ja erst mal ein gutes Zeichen – offenbar früher Leute vereint haben, die diametral entgegengesetzte Auffassungen vertreten. Denn zwischen diesen beiden Wählerschaften gibt es ja in allen Umfragen inhaltlich kaum Überschneidungen. Wir müssen uns also fragen, was der große gemeinsame Nenner sein kann, mit dem es uns wieder gelingt, ein ganz großes Spektrum an Menschen hinter uns zu vereinen.
Und was kann der sein?
Ich glaube, ein Punkt ist, dass wir uns wieder als Anwalt des ländlichen Raumes aufstellen müssen. Und vor allem genauer hinhören und näher an den Leuten sein – unsere Flughöhe war in den letzten Jahren einfach zu hoch.
Was bedeutet das für die Abgrenzung gegenüber der AfD?
Ich habe immer gesagt, dass ich diese Partei in weiten Teilen für rechtsradikal und potenziell rechtsextrem halte. Wir haben da keine Schnittmengen und wir werden mit denen nicht zusammenarbeiten. Wenn man hört, mit welcher Menschenfeindlichkeit sich da geäußert wird, fällt uns das nicht schwer.
Können Sie ausschließen, dass es je eine Konstellation gibt – einen Untersuchungsausschuss, eine Klage vor dem Staatsgerichtshof, eine inhaltliche Frage, wo sie gemeinsam abstimmen werden?
Absolut. Ich kann mir keine Situation denken, in der wir auf Stimmen der AfD angewiesen wären. Was Sie genannt haben, sind ja Minderheitenrechte, für die unsere Stimmen als CDU-Fraktion absolut ausreichen. Wir können natürlich nicht verhindern, dass sie unseren Anträgen zustimmen. Aber wir werden das andersherum nicht tun.
Gibt es nicht doch Schnittmengen? Ihre Wahlplakate zum Thema Clan-Kriminalität sahen sich ziemlich ähnlich.
Das ist doch keine Schnittmenge! Wir adressieren ein Problemfeld, ein kriminelles Phänomen, das viele Menschen trifft und bewegt – gerade auch im ländlichen Raum. Dem müssen wir begegnen, konsequent, ohne zu verharmlosen. Das benennt ja übrigens auch der SPD-Innenminister so. Aber die AfD hat da ja ganz andere Vorstellungen, da geht es dann immer gleich um Bezichtigungen und Diskriminierungen.
Und bei der Einwanderung? Als es jetzt auf Bundesebene um eine Verkürzung der Einbürgerungsfrist ging, kam aus der CDU prompt der Einwand, dann müsste man erst einmal über Abschiebungen reden. Und: Man dürfe die Staatsbürgerschaft nicht verramschen.
Ich verstehe, dass manchem das sehr reflexhaft erscheint. Ich betrachte das differenzierter. Um auch da die Unterschiede klar zu benennen: Im Gegensatz zur AfD wollen wir gezielte und gesteuerte Einwanderung, wir werden den Fachkräftemangel anders nicht bewältigen. Und wir stehen auch zu den humanitären Verpflichtungen dieses Landes.
Aber …?
Aber natürlich darf man auch nicht verschweigen, dass wir in puncto Rückführungen ein Problem mit der Rechtsdurchsetzung haben. Aber anders: Natürlich ist es für viele und auch für mich unverständlich, dass jemand, der als Flüchtling einreist, hier arbeitet, unsere Sprache beherrscht, aber dessen Asylverfahren negativ verläuft, das Land verlassen muss, obwohl wir Fachkräftemangel haben. Daher haben wir schon 2020 die Instrumente der Beschäftigungs- und Ausbildungsduldung eingeführt. Sollte es weiteren Handlungsbedarf geben, unterstütze ich das.
Wo liegt dann das Problem?
Einen grundsätzlichen Dissens gibt es in einem wichtigen Punkt: Angebote können wir nur dann machen, wenn die Person nicht über die eigene Identität getäuscht und so das Asylverfahren verzögert hat. Und das ist beim von der Ampel beschlossenen Chancenaufenthaltsrecht nicht der Fall. Und bei der Staatsbürgerschaft haben wir auch eine klare Position: Die Verleihung steht am Ende und nicht am Anfang eines gelungenen Integrationsprozesses.
Verstehen Sie, dass es Leute gibt, die es ankotzt, dass Sie bei diesem Thema sofort wieder bei Abschiebungen und tatsächlichem oder vermuteten Missbrauch sind, statt bei denen, die hier seit Jahren leben und arbeiten?
Aber mit denen hat doch niemand ein Problem, auch in der Bundespartei nicht. Die Frage ist nur, unter welchen Bedingungen man Einbürgerungen zulässt oder nicht. Und man darf die Augen doch auch nicht vor den Problemen verschließen, wie es die andere Seite gerne tut. Ich würde mir da ein bisschen weniger Reflexhaftigkeit von beiden Seiten wünschen.
Es gibt Stimmen, die mahnen, man sollte sich weniger an der AfD abarbeiten und sie lieber im demokratischen Wettbewerb um die besten Ideen stellen. Was meinen Sie?
Mir ist noch nicht aufgefallen, dass die AfD sich irgendwo durch gute Ideen hervorgetan hätte. Aber wir werden uns sicher jetzt nicht nonstop an ihr abarbeiten. Unsere Aufgabe als Opposition ist es, der Regierung auf die Finger zu schauen. Und im Übrigen setzen wir eigene Schwerpunkte: Dazu gehört etwa die Frage, wie man neuen Wohlstand erarbeitet. Ich habe in meiner Erwiderung auf die Regierungsrede des Ministerpräsidenten gesagt: Es reicht nicht, Windkraftland Nummer 1 zu werden, wir müssen Wasserstoffland Nummer 1 werden. Das ist eine Riesenchance für unser Land, aber da gibt es noch einen ganzen Berg an Aufgaben, die zu lösen sind. Das sind die spannenden Themen.
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