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Niedersachsen knausert bei den Kindern

Mit dem Entwurf des neuen Kita-Gesetzes hat Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) alle gegen sich aufgebracht: Eltern, Träger, und Er­zie­he­r*in­nen. Dabei schneidet Niedersachsen in Sachen Kita-Qualität ohnehin schon schlecht ab

Von Nadine Conti

Die Ablehnung ist groß und praktisch einhellig: Von den Elternvertretungen über die Kita-Träger bei Kirchen und Wohlfahrtsverbänden, von den Gewerkschaften bis zu den Fachleuten an den Hochschulen – überall stößt der Entwurf des neuen niedersächsischen Kita-Gesetzes auf Kritik.

„Damit trägt die Landesregierung auch zur Abwertung der Tätigkeit von Frauen in sozialen Berufen bei und verschlechtert die Situation von Kindern und Familien insgesamt. Unser Bundesland wird zum Schlusslicht in zentralen Bereichen“, heißt es etwa in einer Erklärung des Landesstudiengangstags, der verschiedene kindheitspädagogische Studienangebote vernetzt. Von Verschlechterungen bei den ohnehin schon niedrigen Qualitätsstandards und einer Novellierung, die „sprachlich und inhaltlich weit hinter dem aktuellen fachlichen Diskurs“ zurückbleibe, spricht – nicht weniger harsch – ein gemeinsamer Appell, den Eltern, Wohlfahrtsverbände, Kirchen und die Gewerkschaft Ver.di unterzeichnet haben.

Dabei haben sie alle schon so lange auf dieses Gesetz gewartet. Das aktuell noch gültige Kita-Gesetz stammt nämlich aus dem Jahr 1993. Damals, bemerkte Hans-Joachim Lenke von der Diakonie in einer Pressekonferenz am Dienstag, war der Halbtagskindergarten von acht bis 12 Uhr noch die Regel, besucht wurde der von Kindern ab vier Jahren bis zur Einschulung. Um es mal plastisch zu machen: Damals ging es um ein paar Stündchen Spielen, Basteln und Singen am Vormittag und spätestens zum Mittagessen war das Kind wieder daheim bei Mama oder Oma. Das entspricht nun selbst im verborgensten Winkel der niedersächsischen Provinz nicht mehr der gesellschaftlichen Realität – doch am Kita-Gesetz ist dieser Wandel bisher spurlos vorbeigegangen. Auch weil hier vieles lieber über Durchführungsverordnungen geregelt wird. Fachleute fordern aber schon lange, Mindeststandards im Kita-Gesetz verbindlich festzuschreiben – auch um die gravierenden regionalen Unterschiede halbwegs in den Griff zu kriegen.

Bei den Qualitätsstandards schneidet Niedersachsen nämlich oft nicht so gut ab. Erst im letzten Sommer monierte die Bertelsmann-Stiftung in ihrem großen Ländermonitor zur frühkindlichen Bildung wieder, die Betreuung sei hier in vielen Bereichen „nicht kindgerecht“.

Insbesondere seien die Gruppen zu groß, der Fachkräfteschlüssel ungünstig, die eingeplanten Zeiten für Vorbereitung, Organisation, Dokumentation, Elternarbeit, Fortbildung und Leitungsaufgaben vollkommen unzureichend, das Qualifikationsniveau nur mittelmäßig. Das deckt sich ziemlich genau mit den Kritikpunkten, die alle Beteiligten am neuen Kita-Gesetz haben. Für weiteren Ärger sorgt, dass das Qualifikationsniveau abgesenkt werden soll, in dem das Gesetz nicht mehr in jedem Fall zwingend eine zweite Fachkraft pro Gruppe vorschreibt, sondern Vertretungsregelungen und den Einsatz von Auszubildenden großzügiger gestaltet.

Dabei wollte man eigentlich längst auf dem Weg zur dritten Fachkraft in der Gruppe sein. Das war zumindest das Versprechen der letzten Jahre. Nachdem der Fachkräfteschlüssel im Krippenbereich erhöht worden war, sollten die über Drei-Jährigen auch in den Genuss einer besseren Betreuung kommen. Davon ist nun nicht mehr die Rede. Für viele erfüllt sich auf diese Art eine Befürchtung, die sie schon hegten, als mit großem Tamtam die Mittel aus dem „Gute-Kita-Gesetz“ der Bundesfamilienministerin in die Beitragsfreiheit gedrückt wurden.

„Das war ein großes, schönes Wahlgeschenk. Davon profitiere ich auch. Aber beim Ausbau der Qualität fehlt das Geld jetzt“, sagt Martina Ernst vom „Bündnis für Kinder und Familien in Niedersachsen“. Was sie besonders ärgert: Ständig bekomme man vorgerechnet, wie viel mehr Geld in den letzten Jahren in den Kita-Bereich geflossen sei. Dabei liegt das fast ausschließlich daran, dass eben mehr Kinder mit mehr Stunden betreut werden. „Das Geld fließt fast nur in die Quantität, nicht in die Qualität.“

Und nun werde auch noch die Novellierung des Kita-Gesetzes genutzt, um den völlig unzureichenden Ist-Zustand fort- und festzuschreiben, statt in die zukünftige Entwicklung zu investieren, lautet der Vorwurf der Kritiker*innen.

„Das Gute-Kita-Gesetz war ein schönes Wahlgeschenk, aber beim Ausbau der Qualität fehlt das Geld. Es fließt fast nur in die Quantität“

Martina Ernst, Bündnis für Kinder und Familien in Niedersachsen

Ihr großer Argwohn: Das neue Kita-Gesetz nimmt nur ein paar minimale Anpassungen vor, zu denen die Landesregierung gezwungen ist, weil alte Richtlinien auslaufen oder sie Bundesregelungen umsetzen muss. Ansonsten hütet sich die Koalition vor allem, was irgendwie zu zusätzlichen Kosten führen könnte. Das gilt auch für den Bereich der Inklusion, der komplett ausgespart wird. Statt einen Rechtsanspruch festzuschreiben, sind Familien von Kindern mit Behinderung weiter darauf angewiesen, entweder eine gutwillige Einrichtung zu finden oder sich mühselig einzuklagen. Dabei hinkt Niedersachsen auch beim Angebot von inklusiven Kita-Plätzen dem Bundesschnitt hoffnungslos hinterher. Als Bremsklotz wirken vor allem die Kommunen, die schon jetzt unter den Kostensteigerungen durch den Kita-Ausbau ächzen und sich außerdem darum sorgen, wo sie überhaupt die Fachkräfte hernehmen sollen.

Dabei, betont Detlef Ahting von der Gewerkschaft Ver.di, habe man doch sowohl bei den Fachkräften in den Krippen als auch im verwandten Pflegebereich gesehen, dass Investitionen in mehr Qualität sich auszahlen. „Wenn sich die Arbeitsbedingungen verbessern, kehren die Beschäftigten in den Bereich zurück oder stocken ihre Teilzeitstellen auf.“ Derzeit kehrt je­de*r vierte Er­zie­he­r*in dem Beruf innerhalb der ersten drei bis fünf Jahre nach der Ausbildung den Rücken, wie die Bertelsmann-Stiftung ebenfalls herausgefunden hat.

Bei den Oppositionsparteien im Landtag rennen die Protestierenden offene Türen ein. Sowohl FDP als auch Grüne plädieren für zusätzliche Investitionen und hatten schon einmal versucht, für die Einführung einer dritten Fachkraft einen ähnlichen Stufenplan zu installieren, wie es ihn für die Krippen-Gruppen schon einmal gegeben hat. Die Grünen haben außerdem einen Fünf-Punkte-Plan vorgelegt, in dem sie wesentliche Kritikpunkte aufgreifen.

Ob es für solche Verbesserungen überhaupt noch Verhandlungsspielraum gibt, ist aber unklar. In der nächsten Woche soll der Gesetzentwurf der Landesregierung ins Parlament gebracht werden. Die weiteren Beratungen und der Beschluss stehen – mal wieder – unter Zeitdruck: Die Neuregelung wird schon für das nächste Kindergartenjahr ab August gebraucht.

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