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Niedersachsen hält dicht

Im Transparenzranking von Mehr Demokratie und „Frag den Staat“ kommt Niedersachsen auf den letzten Platz – mit null von 100 Punkten. Die Landesregierung hält Informationsrechte für Bürger*innen für zu kompliziert. Wie es geht, könnte sie bei den anderen Nordländern abschauen: Hamburg, Schleswig-Holstein und Bremen sind auf Platz eins bis drei

Da lässt sich Niedersachsen ungern reinschauen: Verwaltungsakten Foto: Silas Stein/dpa

Von Lotta Drügemöller

In Niedersachsen ist vieles geheim. Wie viele Radikale haben bisher am Aussteigerprogramm „Aktion Neustart“ teilgenommen? Das niedersächsische Innenministerium gibt keine Auskunft. Als wie gefährlich wird die Situation während der Pandemie an niedersächsischen Schulen eingeschätzt? Das niedersächsische Kultusministerium sieht sich als „von vornherein nicht informationspflichtig“. Und auch auf kommunaler Ebene gilt: Warum in einer Straße eine 30er-Zone eingerichtet wird, das muss die Stadt Norden einem interessierten Bürger nicht beantworten.

Diese abgelehnten Anfragen aus den letzten Monaten hat das Transparenzportal „Frag den Staat“ von der Open Knowledge Foundation (OKF) neben vielen weiteren gesammelt. Im aktuellen Transparenzranking des Vereins Mehr Demokratie und der OKF kommt Niedersachsen auf den letzten Platz, gemeinsam mit Bayern und Sachsen.

Null von 100 möglichen Punkten hat das Land im Ranking bekommen. Es gibt keinen Anspruch auf Informationen für interessierte Bür­ge­r*in­nen und keine Pflicht, Verträge und Verwaltungsakten zu veröffentlichen. „Die null Punkte hat Niedersachsen sich redlich verdient“, findet Marcus Meyer, Pressesprecher des niedersächsischen Landesverbands von Mehr Demokratie.

Informationsrechte fehlen auf mehreren Ebenen. Firmen können nicht erkennen, welche Kriterien bei Ausschreibungen den Ausschlag für die Konkurrenz gegeben haben. Jour­na­lis­t*in­nen bekommen nicht unbedingt Zugang zu Original-Dokumenten – statt eines Planungsgutachtens gibt es für sie dann nur eine Presseerklärung. Und auch die Bür­ge­r*in­nen werden ausgebremst: „Wenn ich mich engagieren will, brauche ich vielleicht die Ergebnisse einer Verkehrszählung“, sagt Arne Semsrott von Frag den Staat. „Sie nicht zu bekommen, verhindert eine starke Zivilgesellschaft.“

Die anderen Nordländer gehören zu den Klassenbesten: Hamburg steht im Ranking auf Platz 1 mit immerhin 66 von 100 Punkten, Schleswig Holstein auf Platz 2 und Bremen auf 3. In Hamburg hat die Transparenz der Verwaltung sogar Verfassungsrang. Kritik gibt es auch hier: Alle Bundesländer haben für den Geschmack von Mehr Demokratie und Frag den Staat zu viele Ausnahmen festgelegt. Und überall kosten gewisse Anfragen die Bür­ge­r*in­nen Geld. Doch immerhin: Ein Bewusstsein für die Informationsrechte von Bür­ge­r*in­nen sei vorhanden.

Tatsächlich wollte auch Niedersachsen schon einmal ein Transparenzgesetz einführen. Doch die letzte Sitzung des niedersächsischen Landtags unter Rot-Grün war 2017 ausgefallen, der Entwurf wurde nie verabschiedet – und die heutige Landesregierung unter SPD und CDU zeigt wenig Interesse.

Die Fachspre­che­r*in­nen der Regierungsfraktionen sind nicht zu erreichen. Und aus dem Justizministerium äußert man sich nur zurückhaltend und unter der Hand: Die Landesregierung habe ein Transparenzgesetz bereits fachlich evaluieren lassen – mit dem Ergebnis, dass es kleinen Kommunen zu viel Arbeit mache. Einsicht in den Evaluationsbericht wird bis Redaktionsschluss nicht gewährt.

„Ohne Rechtsanspruch ist es willkürlich, ob eine Behörde antwortet oder nicht“

Arne Semsrott, Frag den Staat

Das Land will sich lieber auf Open Data konzentrieren – dabei sollen mehr Informationen des Landes online und kostenfrei bereit gestellt werden. Vor allem geht es dabei um statistische oder geografische Daten, etwa zur Landvermessung, die bisher an An­trags­stel­le­r*in­nen verkauft wurden. „Die Schaffung eines Anspruchs auf Informationen, der gegen die Verwaltung erhoben werden könnte, war kein Bestandteil der Arbeit des interministeriellen Arbeitskreises“, sagte Staatssekretär Stefan Muhle (CDU) bei einer Ausschusssitzung im März.

Ohnehin findet das Justizministerium, dass die Dinge in Niedersachsen auch ohne Gesetz ganz gut laufen. Oft behandle man Fragen unbürokratischer als andere Länder, die nach strikten Regeln vorgehen. Tatsächlich sind im Transparenzportal von Frag den Staat aus Niedersachsen mehr erfolgreiche Anfragen aufgeführt als abgelehnte. „Aber ohne Rechtsanspruch ist es eben willkürlich, ob eine Behörde antwortet oder nicht“, sagt Semsrott. Je unangenehmer die Frage, desto unwahrscheinlicher die Antwort.

Dass Niedersachsen mit seiner Nicht-Informationspolitik bisher durchkommt, liegt Semsrotts Ansicht nach auch daran, dass es bisher keine klaren Vorgaben vom Bund für die Länder gibt. „Das wird ein wichtiges Thema für die nächste Bundesregierung“, sagt er. Und: Viele Bür­ge­r*in­nen und Institutionen wollten zwar Informationsfreiheitsrechte, für die wenigsten aber sei das ein Hauptanliegen.

„Das Thema ist so ein bisschen Meta“, sagt Semsrott. Im Prinzip brauche Niedersachsen eine eigene Elbphilharmonie – die Kostenexplosion dort ließ in Hamburg den Ruf nach mehr Kontrolle so laut werden, dass das Volksbegehren fürs Transparenzgesetz Erfolg hatte.

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