Niedersachsen: Blinker rechs?: Sehnsucht nach dem Stahlhelm
Hannovers CDU-Ratsfraktionschef will die Zusammenarbeit mit der AfD nicht ausschließen – und wird zurückgepfiffen.
Seidels Problem: Bei einer Veranstaltung seiner Heimatzeitung Hannoversche Allgemeine klang er Mitte vergangener Woche noch ganz anders: Gefragt, ob er eine Zusammenarbeit mit den Rechtspopulisten nach der in zehn Tagen anstehenden Kommunalwahl ausschließen könne, antwortete er: „Darüber sprechen wir am 12. September“ – also am Montag nach dem Urnengang. Die AfD-Anhänger im Publikum waren begeistert, umso entsetzter dagegen die Vertreter von SPD, Grünen, Linken und FDP, die zuvor allesamt Bündnisse mit AfD oder „Hannoveranern“ ausgeschlossen hatten.
Zumindest für einen taktischen Fehler halten die meisten seiner Parteifreunde Seidels Offenheit nach rechts. „Absurd“ sei die Debatte, befand Hannovers als liberal geltender CDU-Parteichef Dirk Toepffer, zugleich stellvertretender Vorsitzender der Landtagsfraktion. Seidels Stellvertreterin Kerstin Seitz versuchte unterdessen, Gerüchte zu stoppen, nach denen der Ratsfraktionschef seinen Posten nun räumen werde: „Es wird keinerlei personelle Veränderungen in der CDU-Ratsfraktion vor der Wahl geben“, teilte sie mit.
Wie es mit Seidel nach den Wahlen am 11. September weitergeht, ist damit völlig offen. Selbst in der eigenen Ratsfraktion scheint mancher zu hoffen, dass der Vorsitzende den Wiedereinzug ins Stadtparlament verpasst – schließlich war mit Niedersachsens CDU-Generalsekretär Ulf Thiele auch die Landesebene auf Distanz gegangen. Die AfD gefalle sich „in der Rolle des radikal-populistischen Nein-Sagers“, sagte Thiele dem NDR. „Mit solchen Leuten kann man nichts gestalten.“
Im Kommunalwahlkampf setzt die CDU selbst im linksliberalen Hannover auf rechte Themen:
ein angebliches Sicherheitsdefizit will die Partei mit mehr PolizistInnen, mehr Videoüberwachung und einer Software namens „Predictive Policing“ zur Vorhersage von Straftaten bekämpfen
Flüchtlinge sollen möglichst in ihre Heimatländer zurückkehren. „Es wird auch Menschen geben, die dauerhaft in Deutschland bleiben werden“, heißt es gönnerhaft im Kommunalwahlprogramm der CDU Hannover.
Eine Flucht aus wirtschaftlichen Gründen sei zwar „menschlich gut nachvollziehbar“ – die Abschiebung von „Wirtschaftsflüchtlingen“ aber unvermeidbar.
Dabei vermitteln nicht wenige Christdemokraten den Eindruck, die AfD durchaus rechts überholen zu wollen – zumindest in Wahlkampfzeiten: Im Landtag torpediert CDU-Fraktionschef Björn Thümler seit Monaten einen von SPD, Grünen und FDP unterstützten Vertrag, mit dem die rot-grüne Landesregierung die Integrationsbemühungen von Muslimen anerkennen will. Die CDU aber mauert und mauert, zuletzt mit dem Argument, der Moscheeverband Ditib werde von der Regierung des nationalistischen türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan ferngesteuert.
Auch in der Flüchtlingspolitik hält Thümler stramm Kurs. Immer wieder drängt er auf schnelle Abschiebung abgelehnter Asylbewerber, warnt vor sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen. Noch radikaler gibt sich der Abgeordnete Frank Oesterhelweg: Nach Übergriffen im Januar forderte der Rechtsaußen der Landtagsfraktion, solche „Horden“ müssten gestoppt werden, „notfalls mit Gewalt“ oder auch „Schusswaffen“. Damit lag er auf einer Linie mit der AfD-Europaabgeordneten Beatrix von Storch – heute betont aber auch dieser CDU-Mann, eine Zusammenarbeit mit den Rechtspopulisten komme nicht in Frage.
SPD und Grüne halten das für heuchlerisch. „Die CDU will ihren rechten Flügel zurück“, sagt etwa Hannovers Grünen-Chef Daniel Gardemin: „Zur Not auch in Form der AfD.“
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