Niederländischer Trainer: Ronald Koeman sorgt für Erdung
Der Oranje-Coach hat schon mit Impuls-Aktionen von sich reden gemacht. Aktuell führt er sein Team aber mit ruhigem Pragmatismus. Das strahlt aus.
Eigentlich könnten die niederländischen Total-Voetbal-Fundamentalisten zahlreiche Ansatzpunkte finden, Trainer Ronald Koeman zu kritisieren, dessen Mannschaft bislang stabil, etwas bieder, aber auf keinen Fall kunstvoll-spektakulär spielt: Der Angriff lahmt, nur mit starker Verteidigungsarbeit gewinnt das Team 2:1 gegen Polen, erkämpft ein 0:0 gegen Frankreich. „Fußballerisch haben wir unser Niveau nicht erreicht“, räumt Koeman ein, aber: „Defensiv war es gut.“
Dem 61-Jährigen scheint das Kunststück zu gelingen, seine Landsleute irgendwie zu erden. Dabei hilft, dass die Qualifikation fürs Achtelfinale schon vor dem abschließenden Gruppenspiel gegen Österreich so gut wie sicher ist. Aber die Ruhe hat auch mit Koeman selbst zu tun, der in diesem Turnier eine Souveränität ausstrahlt, die er nicht immer hatte. Er will dieses Turnier mitgestalten, das ihn im Erfolgsfall emporheben kann auf den holländischen Fußballthron neben Johan Cruyff.
Koeman mag nicht zu den meistverehrten Stars des niederländischen Fußballs zählen, aber an vielen großen Erfolgen ist er direkt beteiligt – nicht als Künstler oder gar Ideologe, sondern als Pragmatiker. Als Spieler, als er als Abwehrchef mit der Nederlands Elftal deren bislang einzigen großen Titel gewinnt, die EM 1988. Und jetzt als Coach: Weil ihn die unspektakuläre Spielweise der Franzosen überzeugt hat, spielt seine Mannschaft bei dieser EM kontrolliert.
Dass die Niederlande trotzdem Schlagzeilen produzieren, hat damit zu tun, dass immer wieder dieses ikonische Bild vom Halbfinale 1988 hervorgekramt wird, als Koeman sich das Trikot des deutschen Spielers Olaf Thon ertauscht. Es war die Hochphase der deutsch-niederländischen Rivalität, noch von Weltkriegserinnerungen geprägt, mit gewalttätigen Auseinandersetzungen im Umfeld der Spiele. Koeman imitiert mit Thons Trikot den Vorgang des Hintern-Abwischens, ein kleiner Skandal.
Diplomat? Nein, aber Respektsperson
Später bedauert er das: „Es war eine impulsive Reaktion, eine dumme Aktion, die mich mein Leben lang begleiten wird.“ Ein Diplomat ist er auch danach nicht. Als 2021 seine Zeit als Trainer beim FC Barcelona zu Ende geht, verliest er ein Statement, in dem er seinen Klub und dessen Präsidenten kritisiert, steht auf und geht. Ohne eine Frage zu beantworten.
Wer Koeman jetzt in diesem EM-Turnier sieht, hat jedoch den Eindruck, dass hier ein sehr gelassener Mann seiner Arbeit nachgeht. Er wisse schon, „dass die Kritiker wiederkommen“, wenn die Elftal nicht Europameister wird, sagt er der Welt. Aber auch das würde sein Vermächtnis „in den Niederlanden nicht zerstören“. So viel innere Ruhe ist nicht die schlechteste Voraussetzung für ein erfolgreiches Turnier.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“