Niedergang der Berliner SPD: Die Zeichen immer noch nicht erkannt
Statt jetzt alles auf ihren Spitzenkandidaten zu setzen und ihn allein zum Parteichef zu machen, hält die SPD irrational an einer Doppelspitze fest.
D Die SPD setzt nun alles auf Krach“, hat die taz jüngst einen Kommentar überschrieben. Aus der Partei war nämlich gleich nach dem Rücktritt der bisherigen Vorsitzenden Martin Hikel und Nicola Böcker-Giannini zu hören, ihr Spitzenkandidat Steffen Krach solle künftig den Landesverband anführen. Es wäre auch sinnig gewesen, sich in einem Moment der so noch nie erlebten Krise auf den einen zu konzentrieren, in dem sie bei der SPD noch immer einen Hoffnungsträger sehen.
Der Satz mit dem Alles-auf-Krach-Setzen schrieb der Funktionärsschicht der Berliner SPD allerdings zuviel Restvernunft und Selbsterkenntnis zu. Kaum kursierte Krachs Name als künftiger Landesvorsitzender, da meldeten sich die ersten und forderten, an einer Doppelspitze festzuhalten. Die gibt es seit 2020, erst mit Franziska Giffey und Raed Saleh und bis Ende November eben mit Hikel und Böcker-Giannini.
Fakt aber ist: Laut Organistionsstatut der Berliner SPD ist die Doppelspitze eine Möglichkeit, aber kein Muss. Der Landesvorstand bestehe neben weiteren Mitgliedern aus „dem oder der Landesvorsitzenden oder einer Doppelspitze aus zwei gleichberechtigten Landesvorsitzenden, davon eine Frau“, heißt es da in Paragraf 23.
Es besteht also gar kein formeller Druck, Krach die Landesparlamentarierin Bettina König an die Seite zu stellen, aktuell eine von vier stellvertretenden SPD-Fraktionsvorsitzenden im Abgeordnetenhaus. Und falls es darum gehen soll, Frauenrechte hoch zu halten, so schadet dieser Schritt nur – und erfüllt eben gar nicht jene im Statut formulierten Anforderung: dass die beiden Vorsitzenden nämlich gleichberechtigt sein sollen.
Aktuell nur fünfbeliebteste Partei in Berlin
Denn wie sollte das gehen mit Gleichberechtigung bis hin zur Abgeordnetenhauswahl? In einer Zeit, in der die SPD über jede Minute und Textzeile Medienaufmerksamkeit für ihren Spitzenkandidaten Krach wird dankbar sein müssen. In der sie dann aber in ihren Verlautbarungen immer auch noch König zu Wort kommen lassen müsste.
Was soll daran gleichberechtigt sein? Eine solche Konstruktion würde König und jede andere als Co-Vorsitzende quasi zu einer Couleur-Dame degradieren. Das sind jene in – von der SPD meist nicht sonderlich geschätzten – Studentenverbindungen nur zu festlichen Anlässen dazu geladenen Frauen.
Wieder nur 13 Prozent Rückhalt für die SPD hat zu Wochenbeginn eine weitere Umfrage ergeben und damit Zahlen eines anderen Institituts von vor knapp zwei Wochen bestätigt. 13 Prozent und Platz 5 von fünf im Abgeordnetenhaushaus vertretenen Parteien für die Heimat Willy Brandts und Ernst Reuters. Bis März 1998 reicht die Umfrageübersicht bei wahlrecht.de zurück, nur einmal, im November 2024, schnitt die SPD mit 12 Prozent noch schlechter ab.
Über Wochen stritten sich die Sozialdemokraten im Sommer, wer denn nun ihr Gesicht bei der Abgeordnetenhauswahl am 20. September 2024 sein sollte. Giffey, die Exregierungschefin, die 2021 und 2023 Spitzenkandidatin war, wollte nochmal, Fraktionschef Saleh zum ersten Mal. Dass die zerstrittenen Flügel in der Lage waren, sich auf Steffen Krach als Konsenskandidat zu einigen und ihn aus Hannover zu holen, verschaffte der SPD medial durchaus ein paar Pluspunkte. Weil es eben so überraschte.
Die SPD kann auch noch weiter absacken
Doch wer ignoriert, dass die Parteibasis – und das sind nicht die Kreisvorstände und rund 240 Landesparteitagsdelegierten, sondern 18.000 Mitglieder – 2024 dezidiert für zwei Pragmatiker an der Parteispitze votierte, von dem ist eben nichts anderes zu erwarten als das, was jetzt passiert ist und weitergeschieht. Wer erst Hikel und dann Böcker-Giannini erfolgreich wegmobbt, der wird nicht die Weitsicht haben zu erkennen, dass es gerade um alles geht für die SPD.
Die auf sich und ihre ideologischen Spiegelstriche konzentrierte Funktionsärsebene wähnt sich offenbar in dem Glauben, irgendwo in der Berliner Verfassung sei ein Passus versteckt, der ein weiteres Absacken der SPD in Umfragen und Wahlen verhindert. Den gibt es aber nicht. Und wenn sie so weiter macht, schützt nichts die Partei davor, weiter abzurutschen. Beispiele gibt es genug: In Bayern landete sie 2023 in Bayern bei knapp über 8 Prozent – und in Thüringen hielt sie sich vergangenes Jahr mit 6,1 Prozent gerade mal so im Landtag.
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