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„Nichts ist mehr, wie es war“

Politische Führer waren im Nahostkonflikt bis vor kurzem nie Opfer des Terrors. Der Mord an Seeri verschiebt die Koordinaten

aus Jerusalem SUSANNE KNAUL

Der Mord an dem israelischen Tourismusminister Rechawam Seeri und „was er symbolisiert“ sei der „Schwere der Attentate auf die Twin Towers ähnlich“, sagte Israels Premierminister Ariel Scharon gestern auf einer Gedenkveranstaltung im Parlament. „Nichts ist mehr, wie es war“, kommentierte er in Anlehnung an US-Präsident George W. Bush. Seewi wurde gestern morgen im Ostjerusalemer Hyatt-Hotel erschossen. Die palästinensische Widerstandsbewegung Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) hatte sich zu der Tat bekannt.

In dem Bekennerschreiben erklärt die PFLP, der Mord sei die Vergeltung für die Exekution von Abu Ali Mustafa, dem ehemaligen Chef der Bewegung, der vor zwei Monaten von israelischen Militärs getötet wurde. Mustafa stand auf der Fahndungsliste der Armee, weil er neben seiner politischen Funktion auch Chef des militärischen Arms der PFLP war. Mit seiner Hinrichtung hatte Israel zum ersten Mal gegen die ungeschriebene Regel verstoßen, politische Führer zu verschonen. Die PFLP protestierte in ihrem Bekennerbrief ferner gegen die fortgesetzte israelische Politik der Exekutionen von Palästinensern.

Vor gut drei Wochen hatte Scharon Palästinenserpräsident Arafat ein Angebot gemacht: Sollte Arafat die Situation beruhigen, will Israel von „Initiativschritten gegen den Terror“ – so der offizielle Sprachgebrauch für die Exekutionen von Extremisten – absehen. Allein in dieser Woche töteten israelische Soldaten erneut zwei Aktivisten radikaler Widerstandsbewegungen. Ungeachtet der internationalen Kritik lässt Israel noch immer nicht von dieser Methode ab. Schließlich habe auch Arafat keinen einzigen Extremisten verhaften lassen, argumentieren die Politiker in Jerusalem. Erst wenn die Autonomiebehörde Maßnahmen zur Ergreifung der gesuchten Terroristen unternehme, werde Israel die „Initiativschritte“ einstellen.

„Wir wollen Frieden mit dem palästinensischen Volk. Aber einen Kompromiss mit dem Terror wird es nicht geben“, droht Ariel Scharon und lädt die volle Verantwortung für den Mord an Seewi auf die Schultern Arafats, „der bis heute nichts gegen den Terror unternommen hat“. Penetrant wiederholt der israelische Regierungschef diesen Satz, auf dass er auch von seinen Amtskollegen in Europa und Amerika verstanden werde. Seit Tagen müssen die Israelis zusehen, wie Arafat sich über die Hauptstädte Englands, Irlands und Hollands den Weg zum eigenen Staat bahnt. Überall wird ihm der rote Teppich ausgerollt.

Die ihm entgegengebrachte ungewohnte Freundlichkeit hat der Palästinenserpräsident allein der internationalen Lage zu verdanken. US-Präsident Bush und sein britischer Koalitionspartner Tony Blair sind auf die Unterstützung Arafats so sehr angewiesen, dass sie ihm den Preis schon im voraus bezahlen.

Politisch betrachtet, kann Scharon über den Mord an seinem langjährigen Freund fast froh sein. Erst vor zwei Tagen hatte Seewi, zusammen mit seinem Bündnispartner Avigdor Liebermann, den Rücktritt aus der Regierung bekannt gegeben, um so gegen den Abzug aus zwei Vierteln der Palästinenserstadt Hebron zu protestieren. Liebermann zog gestern fürs Erste sein Gesuch zurück.

Doch vor allem auf internationaler Ebene wird der Mord an dem Minister Folgen haben. Und das, obschon Arafat nichts mit dem Anschlag zu tun hatte. Die palästinensische Führung beeilte sich mit einer Verurteilung des Mordes: „Obwohl Herr Seewi eine feindliche Politik gegen das palästinensische Volk nährte, und obwohl er dem Friedensprozess entgegenstand, sind wir gegen alle politischen Mordanschläge.“ Mit dieser Pressemitteilung allein wird es indes diesmal nicht getan sein. Arafat ist aufgerufen, seinen Friedenswillen anhand von Verhaftungen der Hintermänner des Mordes unter Beweis zu stellen.

Selbst Oppositionsführer Jossi Sarid vom linken Parteienbündnis Meretz sprach in seiner Rede vor dem Parlament von einer „Prüfung der palästinensischen Führung und Arafats“. Israel dulde weder Verzögerungen noch Ausreden. Sollte Arafat die Prüfung nicht bestehen, „wird die Erde brennen“, meinte Sarid. Greift Arafat nicht durch, hat Israel unter den gegebenem Umständen freie Hand zu Gegenmaßnahmen: Bereits gestern baute die israelische Armee Straßensperren nach Ramallah wieder auf.

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