: Nichts gesehen, erspäht, erlauscht
Zehn Milliarden Dollar geben die USA jährlich für die Überwachung der Kommunikation aus. Geholfen hat ihnen das nichts: „Wir hatten keinen Hinweis“
von WOLFGANG GAST
Warum haben die Geheimdienste nichts gewusst? An Personalmangel kann es nicht liegen: 38.000 Mitarbeiter beschäftigt allein der weltweit größte Lauschapparat, die National Security Agency (NSA). Und beim Geheimdienst CIA und der Bundespolizei FBI ist zusammen noch einmal ähnlich viel Personal unter Vertrag. Dazu kommt: Der internationale Terrorismus rangiert seit Jahren ganz oben auf der Tagesordnung der Geheimdienstler. Nach den Anschlägen auf die US-Botschaften in Nairobi und Daressalam im August 1998 (224 Tote) und dem Selbstmordanschlag auf das US-Kriegsschiff „USS Cole“ im August vergangenen Jahres in der jemenitischen Hafenstadt Aden (17 Tote) sind vor allem islamistisch-fundamentalistische Gruppen wie die al-Qaida (arabisch für Fundament, Basis) des saudischen Multimillionärs Ussama Bin Laden im Visier, und das nicht nur in jenem der US-Geheimdienste.
Viel Geld, kein Erfolg
Mehr als zehn Milliarden Dollar lassen sich die USA jährlich die weltweite Überwachung aller Telekommunikationswege kosten – offenbar mit geringem Erfolg. Seit Monaten wird in den Vereinigten Staaten zwar allgemein vor Attentaten fundamentalistischer Gruppen gewarnt, konkrete Hinweise auf einen Anschlag in New York oder Washington blieben aber aus. Entsprechend harsch fällt die Kritik an der Arbeit der Geheimdienste aus.
„Das ist doch ein zweites Pearl Harbor. Ich glaube nicht, dass ich übertreibe.“ So meldete sich gestern der republikanische Senator Chuck Hagel zu Wort. „Pearl Habor“ – das ist Trauma, das ist die Anspielung auf den Angriff der japanischen Luftwaffe, der die Amerikaner im Zweiten Weltkrieg völlig unvorbereitet getroffen hatte.
Ein Mitglied des Streitkräfteausschusses, der Republikaner Curt Weldon, schlägt in die gleiche Kerbe wie Hagel. „Das ist fast so, als hätte es keinen Nachrichtendienst gegeben.“ Spekuliert wurde gestern sogar, ob die Attentäter von New York und Washington nicht sogar die hochgerüstete und ausgefeilte Abhörelektronik der USA einfach überlistet und mit falschen Informationen gefüttert haben.
Die NSA unterhält ein computergestütztes Abhörsystem, das die weltweiten Kommunikationsströme mittels Stichworten aussiebt und die relevanten Informationen zur weiteren Verarbeitung weiterleitet. Die US-Agentur Knight Ridder News zitierte einen Regierungsmitarbeiter mit den Worten: „Es gab haufenweise Material, aber alles deutete auf einen Angriff woanders hin.“
Ähnlich sieht es auch der Senator Richard Shelby. Nach einer Unterrichtung durch den CIA-Direktor George Tenet erklärte er: „Ein Fehlschlag von großer Tragweite. Wir hatten keinen Hinweis, dass die USA angegriffen würden.“
Veraltete Technik
An Warnungen hat es indes nicht gemangelt. Auf den verschiedensten Ebenen beschäftigten sich in den USA seit dem ersten Anschlag auf das World Trade Center 1993 diverse Arbeitskreise, Komitees und Ausschüsse mit einer neuen terroristischen Bedrohungslage. Eine im Auftrag des US-Kongresses erstellte Studie verwies im Januar 2001 darauf, dass die von der NSA verwendete Überwachungstechnologie angesichts der rasanten Entwicklung im Informationssektor zunehmend untauglich werde. Eine vom Kongress ebenso eingesetzte Arbeitsgruppe „National Commission on Terrorism“ warnte eindringlich vor neuen, „nicht staatlichen“ Terrororganisationen, die sich Zugang zu biologischen, chemischen, wenn nicht sogar zu atomaren Waffen verschaffen könnten.
Neues Ziel: Viele Tote
Hingewiesen wurde auch auf eine neue Motivationslage in terroristischen Organisationen. In den Siebziger- und Achtzigerjahren verfolgten terroristische Gruppen mit ihren Anschlägen noch klare und erkennbare Ziele. Sie übten bei ihren Anschlägen nur so viel Gewalt aus, wie ihres Erachtens für die Wahrnehmung ihrer Ziele und Interessen notwendig war. Das Ausmaß der Gewalt wurde auch dadurch begrenzt, dass diese Gruppen fürchteten, anderenfalls jede Unterstützung zu verlieren. Die „neuen Terroristen“, so die Überlegungen der Kongressarbeitsgruppe, verfolgten dagegen das Ziel, als „unsichtbare Gegner“ im Hintergrund zu bleiben und bei ihren Anschlägen so viele Menschen wie möglich zu töten.
In keinem Szenario
Seit dem Giftgasanschlag der japanischen Aum-Sekte in der Tokioter U-Bahn im März 1995 spielten und spielen die Sicherheitsexperten weltweit neue Terrorszenarien durch. Dabei wird regelmäßig unterstellt, dass Organisationen wie die von Ussama Bin Laden über modernste Hightech-Ausrüstung verfügen, vom Satellitentelefon bis zu Flugabwehrrakten.
Als Schlussfolgerung investierten die USA hunderte Millionen Dollar, um beispielsweise Elektrizitätswerke, Wasseraufarbeitunganlagen und strategisch wichtige Verbindungsstrecken vor Anschlägen zu schützen. Dass die Attentäter ein Flugzeug entführen und damit gegen ein Hochhaus fliegen, war in den Szenarien nicht vorgesehen.
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