piwik no script img

Nichts für schwache Nerven

Eine Reise mit einer lärmenden Rasselbande auf die italienische Insel Elba  ■ Von Martina Habersetzer

„Moritz, vergiß nicht, dich einzuschmieren!“ „Tanja, wenn es kühler wird, zieh deinen Pullover an! Und iß den Apfel, den ich dir eingesteckt habe!“ Besorgt beugen sich Dutzende von Mütter- und Väteroberkörpern über die Mauer zum Spielplatz, wo sich der Nachwuchs bereits versammelt hat. „Wann gehen sie bloß endlich“, stöhnt die neunjährige Iris und starrt genervt in den Himmel. Heute will die Bande unter Obhut zweier Betreuerinnen eine Abenteuertour durch die umliegenden Wälder unternehmen. Widerstrebend ziehen die Eltern schließlich von dannen, es kann losgehen.

Eltern-Kind-Reisen sind zumindest für die Erwachsenen gewöhnungsbedürftig. Und: Eltern mit zarten Nerven und schwachen Stimmbändern sollten nicht mit „Vamos“ reisen. Schon allein die Unterkunft auf der italienischen Insel Elba, die Locanda dell'Amicizia hoch über dem kleinen Küstenort Seccheto, ist ein Traum für jedes Kinderherz. Ein großer Spielplatz lädt zum Schaukeln und Rutschen ein, die beiden Pferde Silver und Herminia dulden selbst den größten Rabauken auf ihrem Rücken, zahlreiche Schafe glotzen gelangweilt auf die Kinderhorde, und der Esel Theodore macht sich vor allem durch seine rostigen Stimmübungen bemerkbar. Wohl dem, der starke Nerven hat, wenn sein Sprößling auf dem riesigen Gelände plötzlich verschwindet oder zum fünfundneunzigsten Mal beim Versuch, einen Staudamm zu bauen, aus dem Bach gefischt werden muß. Und wer im Speisesaal inmitten von dreißig erholungsbedürftigen Erwachsenen und über zwanzig munteren Kindern seinen Nachwuchs darauf hinweisen möchte, daß die Gabel nicht in den Arm seines Nachbarn gehört, der sollte sich am besten ein Megaphon mitbringen. „Ich bin froh, wenn ich wieder an meinem Computer sitze“, seufzt Wirtschaftswissenschaftler Klaus bei der Abreise mit heiserer Stimme, „da muß ich wenigstens nicht dauernd reden.“

Doch vier Stunden Kinderbetreuung pro Tag garantieren, daß sich sowohl die kleinen wie auch die großen Urlauber erholen können. Ursel und Hanne, die beiden Betreuerinnen, haben es allerdings nicht immer leicht, die lärmige Rasselbande im Alter zwischen drei und zwölf Jahren unter einen Hut zu kriegen: „Die Schatzsuche fand ich nicht so toll“, mault der zehnjährige Christoph aus Düsseldorf am Ende des Urlaubs, „wären da nicht noch die 60.000 Lire gewesen, von denen wir uns alle ein Eis kaufen konnten, wäre das echt kacke gewesen.“ Doch aller Mäkelei zum Trotz: die Kinder fühlen sich in diesem Urlaub sichtlich wohl. Ob Modenschau oder Akrobatik, Nachtwanderung oder Baden am Strand, die Phantasie der Betreuerinnen ist groß, und Freunde finden sich schnell. „Mit meinen Eltern allein wäre es viel langweiliger gewesen“, findet die achtjährige Sarah.

Auf so angenehme Art und Weise unterhalten, lassen sich die lieben Kleinen in diesem Urlaub dann auch mal dazu herab, ganz selbständig kreativ zu werden. „Einladung zum Kinderzirkus!“ schmettert es den Eltern eines Nachmittags in allen Dialekten der Republik entgegen. Da wird geritten, jongliert und geturnt, und vor den sichtlich stolzen Augen der Erwachsenen entsteht ein halbstündiges Zirkusprogramm.

Damit die Eltern, plötzlich einsam und verlassen ohne Kind, keine Depressionen kriegen, werden auch sie von „Vamos“ betreut. Wanderungen zu den Gipfeln des Monte Capanne, Ausflüge in malerische elbanische Bergdörfer oder zu einsamen Badebuchten gehören zum täglichen Veranstaltungsprogramm. Wer will, kann auch allein die Insel erkunden – oder sich geruhsam auf der Sonnenterrasse aalen. Ein paar Stunden Ruhe zu haben und gleichzeitig zu wissen, daß das Kind gut versorgt wird, ist für die meisten Eltern die größte Erholung.

Seit sieben Jahren bietet der hannoveranische Reiseveranstalter Vamos Eltern-Kind-Reisen an. „Wir hatten damals selbst alle kleine Kinder und haben gemerkt, daß es zwar viele Orte gibt, wo du mit Kindern hinfahren kannst, wo sie gelitten sind, aber eben nicht unbedingt willkommen“, erzählt Reiseleiterin Harttrud Böntgen. Ziel der Vamos-GründerInnen war und ist es, Unterkünfte zu finden, deren Betreiber nicht gleich zusammenzucken, wenn eine schmuddelig-lärmige Kinderschar durchs Haus tobt. Fündig geworden ist Vamos nicht nur auf Elba und Sardinien, auch Frankreich, Ungarn und die Masurische Seenplatte gehören zum jährlichen Reiseprogramm. Jedes Jahr bemüht sich der kleine Veranstalter um mindestens ein bis zwei neue Ziele: „Wir haben viele Leute, die mehrfach mitfahren, und wollen deshalb öfter auch mal was Neues bieten.“

Für Stefan und Brigitte wird es nicht das letzte Mal sein, daß sie zusammen mit ihrem neunjährigen Sohn auf Vamos-Tour gehen. Der vierzigjährige Lehrer findet es besonders angenehm, daß nicht nur Alleinerziehende, sondern auch Familien dabei sind. „Ich habe schon mal eine Gruppenreise abgesagt, weil da fast nur Frauen mitgefahren sind. Ich will in so einem Urlaub aber auch mit Männern was machen, mich mit anderen Vätern austauschen.“ Für Brigitte dagegen ist Vamos eine gute Gelegenheit, mit ihren beiden Kindern auch mal ohne Partner Urlaub zu machen: „Ganz allein wäre ich wohl überfordert gewesen. So konnte ich einfach auch mal meine eigenen Sachen machen.“

Allerdings: Kinder unter drei Jahren werden von Vamos nicht betreut. Und: Wer auf Vollwertkost steht, muß zumindest auf Elba erhebliche Abstriche machen. Hier gibt es Nudeln und Eis – und zwar jeden Tag. Dennoch ist das Preis-Leistungs-Verhältnis durchaus angemessen: 1.545 Mark zahlt ein Erwachsener, der Preis pro Kind beträgt je nach Alter zwischen 595 und 1.245 Mark. Inbegriffen sind Halbpension, Eltern- und Kinderbetreuung. Wer die An- und Abreise mit dem Bus ein wenig scheut, der sei beruhigt: alle paar Stunden wird Pause gemacht, und damit sich der Bewegungsdrang der geliebten Sprößlinge nicht gegen die eigenen Eltern richtet, gibt's hinten im Bus eine großzügige Tobe- und Liegewiese.

Angebot erfragen bei: Vamos-Reisen, Flüggestr. 26, 30161 Hannover, Tel.: 0511/3481917

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen