: Nicht halb so mutig wie behauptet
■ Unspektakulär wider die schwarze Pädagogik: Das Kinderbuch „Wollen wir wieder Freunde sein“ über Fuchsens kurzfristige Mutprobe im schummrigen Abendrot
Ist gar nicht so einfach, sich selbst einzuschätzen. Gar nicht so leicht auch, vor sich selbst zuzugeben, dass man eventuell doch nicht so mutig ist, wie man behauptet und gehofft hatte: ein psychologisches Phänomen, das Erwachsenen vielleicht sogar noch stärker zu schaffen macht als Kindern und das in der so genannten Erwachsenenwelt deutlich gemeingefährlichere Folgen zeitigen kann.
Allerdings – die Wurzeln werden – falls man nicht vom komplett genetisch konditionierten Menschen ausgeht – vermutlich in der Kindheit gelegt, und an diesem Punkt setzt das Sam McBratneys Kinderbuch Wollen wir nicht wieder Freunde sein an. Mit freundlichen, unspektakulären Illustrationen von Kim Lewis kommt das Buch daher, das von Mutter und Kind Fuchs handelt und die typische abendliche Zubettgeh-Situation einfängt: Mit wilden Spielen inklusive Starrstehen und Über-den-Schatten-Springen vertreiben sich die beiden den Nachmittag – bis die Mutter findet, man solle angesichts hereinbrechender Dämmerung langsam den Heimweg antreten. Aber nein, bleiben will das Kind, weiterspielen in der Dunkelheit, ruft „Ich will nicht mehr dein Freund sein!“ Und anders als in manch schwarzpädagogisch-neurotischer Erziehungspraxis nimmt Mutter Fuchs die Drohung des Kindes selbstverständlich nicht ernst, ist auch kein bisschen beleidigt, sondern lässt das Kind sie eben austesten, die Grenzen der eigenen Waghalsigkeit: Ins düstere Stachelgestrüpp wagt sich das Kind, fühlt sich plötzlich beobachtet im Sternenlicht, stellt sich scharfzahnige Ungeheuer vor, die sich ihm nähern.
„Schätze mal, dass ich morgen wieder dein Freund bin“, murmelt der kleine Fuchs in jäh aufflackernder Selbsterkenntnis. Eine Zeitlang stapft er noch verängstigt durch die Gegend, bis es ihm wirklich zu fins-ter wird: Zur wartenden Mutter springt das Kind, murmelt erleichtert „Ich will wieder dein Freund sein“ – ein Satz, den die Mutter erleichtert, aber nicht überrascht zur Kenntnis nimmt.
Ein moralisierendes Buch? Kaum. Plump belehrend schon gar nicht. Vielmehr eins, das subtil jenes Bisschen Sicherheit vermittelt, die Menschen jeden Alters eigentlich brauchen. Und eins, das Eltern zu „vertrauensbildenden Maßnahmen“ animiert, aus denen die Kinder die Gewissheit ziehen können, dass nicht immer gleich Liebesentzug droht. Petra Schellen
Sam McBratney: Wollen wir wieder Freunde sein? Hamburg 2001, 32 S., 25,90 Mark.
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