Nicht der Himmel, aber ein Job


aus Nürnberg HEIDE PLATEN

Nina Fuchs kringelt eine braune Haarlocke um den Zeigefinger ihrer linken Hand und zupft. Die 42-Jährige ist verlegen, weil über sie geredet wird. Sie ist ein Paradebeispiel für den Erfolg arbeitsamtlicher Vermittlungstätigkeit wie aus dem Lehrbuch der Hartz-Kommission. Deren im Juni vorab bekannt gewordener Innovationsvorschlag heißt im Fachjargon PSA. Das steht für Personalserviceagenturen. Wer sich in Einrichtungen der Bundes-, Landes- und örtlichen Arbeitsämter wagt, bekommt es schnell mit einer Menge Abkürzungen zu tun.

PSA gibt es schon, sie werden bisher aber anders abgekürzt. Die Buchstaben fliegen nur so hin und her und über den Kopf der zierlichen Nina Fuchs hinweg im Chefbüro im ersten Stock der Firma Kunststofftechnik Jantsch am Rand des Nürnberger Stadtteils Stein. Am Tisch sitzen das Unternehmerpaar Wieland Loh und Florence Letellier-Loh und gleich vier Angestellte der bayerischen „gAü“ im „bfz“. Was nun wieder heißt: Gemeinnützige Arbeitnehmerüberlassung in den Beruflichen Fortbildungszentren der Bayerischen Wirtschaft gemeinnützige GmbH. Wer sagt das schon gerne immer wieder in Langschrift? Nicht der aus München angereiste Leiter des bfz, Richard Nürnberger, nicht sein Managmentkollege Peter Braun, nicht die Öffentlichkeitsreferentin Almuth Baron und auch nicht der örtliche Personaldisponent Frank Franitza.

Die Erfolgsfall-Frau

Die Experten unter sich reden nicht nur über Leiharbeit und saisonalen Bedarf, sondern auch über die „Kosten der Arbeit“ und über die Steuerpolitik der Bundesregierung im Allgemeinen und im Besonderen. Die Erfolgsfall-Frau Fuchs hockt stumm zwischen all den Arbeitgebern. Denen, von denen sie bisher abhängig war, und denen, von denen sie es demnächst sein wird. Freuen soll sie sich über den neuen Vertrag für eine Festanstellung als Hilfsarbeiterin bei den Lohs, den sie seit wenigen Tagen hat. Sie freut sich dann auch ordnungsgemäß. Erst später, ganz nach und nach, erlischt ihr freundliches Arbeitnehmerinnen-Dauerlächeln, irgendwann gähnt sie vorsichtig hinter vorgehaltener Hand.

„Na ja“, hatte eine weniger glückliche Kollegin von Nina Fuchs in der Fertigungshalle der Firma angemerkt, „der Himmel auf Erden“ sei dieser Job nun auch nicht gerade. Wie auch? Stundenlang neben einer Maschine stehen, Kontakte in Kunststoffgehäuse stecken und mit einem Laserstrahl verschweißen ist auch in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit nicht gerade ein Traumberuf. Die Lohs aber, sagt sie auch, seien immerhin „gute Chefs, besser als andere“.

Nina Fuchs ist 1994 mit ihren Eltern als Spätaussiedlerin aus Kasachstan nach Deutschland gekommen. Ihre aus Schwaben nach Russland eingewanderten Vorfahren waren während des Zweiten Weltkrieges Opfer der Umsiedlungspolitik Stalins und landeten in der kasachischen Kleinstadt Lisakowsk. Der Vater arbeitete sich bis zum Baumeister hoch. Er sprach mit der Großmutter noch Deutsch, aber Nina Fuchs hatte die Sprache nicht gelernt und absolvierte in der Bundesrepublik zwei Sprachkurse, als sie schon Mitte dreißig war. Nina Fuchs erzählt, sie habe „immerzu von Deutschland“ geträumt. „Dahin habe ich schon als Kind gewollt.“ Die Großmutter war für sie wichtig, denn sie „kochte manchmal deutsche Gerichte, Nudelsuppe und Apfelstrudel“.

Einen richtigen Beruf hat Nina Fuchs in der Sowjetunion nicht gelernt, aber, – allein stehend mit zwei Kindern – „immer viel gearbeitet“: „Das war da nicht so wie in Deutschland mit der Berufsausbildung.“ Auch wie man an Stellenangebote kommt oder eine Bewerbung schreibt, hatte sie nie gelernt. Gerade dabei habe ihr die gAü des Nürnberger Arbeitsamtes geholfen: „Das hat mir sehr viel gebracht.“

Bloß nicht gleich bewerben

Zuerst arbeitete sie allerdings für eine große private Leiharbeits-Agentur. Die schickte sie zum Beispiel in der Vorweihnachtszeit in eine Nürnberger Lebkuchenfabrik. Die schwere Arbeit am Fließband sei schrecklich gewesen, sagt sie. Dann wollte sie das Arbeitsamt als Küchenhelferin in eine Kantine stecken. Sie lehnte wegen einer Allergie ab. Im Frühjahr stellte sie die gAü ein. Deren Schwerpunkt ist es vor allem, Stellen für Handwerker und Arbeiter zu vermitteln. Bei der Arbeitsamtsfirma habe sie sich gut aufgehoben gefühlt und sei „sehr dankbar“. Die gAü lieh sie dann an die Lohs aus, die ihr schon nach vier Monaten einen Vertrag anboten. Sie selber hatte sich gar nicht getraut nachzufragen, ob sie eine Chance habe: „Das kam ganz überraschend.“ Hätte sie gefragt, sagt Florence Letellier-Loh beim Rundgang durch die Fabrikationshalle, wäre sie möglicherweise nicht in Betracht gekommen. Wer sich gleich aufdränge, statt erst einmal Leistung zu zeigen und sich zu bewähren, der „passe meist nicht in den Betrieb“. Ob das nicht eine große Belastung sei für diejenigen, die da im Kampf um einen festen Arbeitsplatz in einer Dauerprüfungssituation seien? Wieland Loh sieht das nicht so. Er will die Leihfrist eher wie „die auch sonst übliche Probezeit“ verstanden wissen.

Das Unternehmerpaar nutzt seit einigen Jahren die Dienstleistung von Leiharbeitsagenturen, hat außer mit der Arbeitsamtsfirma auch Erfahrungen mit privaten Anbietern gemacht. Die seien, sagt Florence Letellier-Loh, „sehr unterschiedlich“, sowohl bei den Preisen des Personals als auch bei dessen Qualifikation. Mit der gAü ist sie im Großen und Ganzen zufrieden. Das freut den bfz-Leiter Richard Nürnberger, das freut auch die Öffentlichkeitsreferentin Almuth Baron. Was sie nicht so sehr freuen kann, ist, dass ans Arbeitsamt angegliederte Personalagenturen als Herzstück der Hartz-Vorschläge gelobt werden, die Bayern aber nicht, obwohl sie über die gAü schon seit 1994 Arbeitslose als Leiharbeiter beschäftigen.

Zu 70 Prozent kostendeckend

Was die Hartz-Kommission für alle Arbeitslosen will, gilt hier allerdings vorerst vorwiegend für die „Problemfälle“. 35 Einrichtungen gibt es mittlerweile, 70 Prozent ihrer Kosten erwirtschaften sie durch die Leihgebühren, den Rest zahlt das örtlichen Arbeitsamt.

Frank Franitza erklärt, was die gAü von den privaten Leiharbeitsfirmen unterscheidet: „Die wollen die Leute behalten, um mit ihnen zu verdienen, wir wollen sie loswerden.“ Wie das geht, steht in einer Broschüre der aGü: „Unter dem Aspekt der Personalgewinnung können die Personalverantwortlichen der Unternehmen potenzielle Mitarbeiter ohne arbeitsrechtliche Verbindlichkeiten und unter realen Bedingungen auf ihre Qualifikationen und ihre Leistungsfähigkeit prüfen.“ Eine Übernahme ist nicht Bedingung, der Test für die Unternehmen unverbindlich.

Die gAü wirbt in ihren Broschüren damit, dass sie ihre Klientel, die „Rehabilitanden“, auch „menschlich“ und „psychologisch“ betreue: „Sie fassen Zutrauen zu den eigenen Fähigkeiten und gewinnen an Selbstwertgefühl.“ Sicher, sagt Almuth Baron, bisher bemühe sich die gAü vor allem um ältere, längerfristig Arbeitslose. Dass diese aber vorab als Sozialfälle gesehen würden, sei nicht wahr. Es ziehe die Leute „wirklich runter, wenn sie sich immer wieder bewerben, und nur zu hören bekommen, du bist mir zu alt, du bist mir zu teuer“. Franz Franitza sagt, er verstehe sich „als eine Art Imageberater“, der versucht, Arbeitsplatz und Anwärter kompatibel zu machen. Außerdem nehme auch die gÄü nicht alle Bewerber an, die ihr das Arbeitsamt zur Vermittlung schicke: „Wenn einer schon beim ersten Mal mit einer Alkoholfahne kommt, dann wird das nichts mit uns.“ Denn das schade „dem guten Ruf“ der Agentur. Sonst aber unterscheide sich seine Stellenakquise erheblich von der der Privatwirtschaft: „Ich appelliere auch an die soziale Ader der Personaler.“

Nina Fuchs in der Fabrikationshalle. An ihrem neuerdings festen Arbeitsplatz fühlt sie sich sichtlich wohler als im Büro des Chefs. Sie begrüßt ihre Kolleginnen, setzt Kontakte in schwarze Kunststoffkästchen ein, sortiert kleine, weiße Bauteile aus, deren winzige Fehler schnell erkannt werden müssen, entgratet mit einem Messer rote Plastikabdeckungen. Sie findet ihren Arbeitsplatz sauber, nicht zu laut, die Entlohnung angemessen. Vor allem aber schätzt sie die neue Sicherheit.