Nicaragua in politischer Krise: Ortega zeigt mangelnden Willen
In Nicaragua ist der Dialog zwischen Opposition und Regierung erneut gescheitert. Die Gewalt forderte bisher fast 180 Todesopfer.
Der Dialog in Nicaragua bleibt suspendiert. Am Montag kamen Vertreter der Regierung und Delegierte der Protestbewegung neuerlich zusammen, um einen Ausweg aus der seit zwei Monaten andauernden Krise zu suchen. Doch die oppositionelle Bürgerallianz für Gerechtigkeit und Demokratie erhob sich gleich wieder, da von Regierungsseite keine Kopien der Einladungsschreiben an internationale Organismen vorgelegt wurden.
Auf Druck der katholischen Bischofskonferenz hatte Präsident Daniel Ortega am Wochenende zugesagt, Beobachtermissionen der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), der UNO-Menschenrechtskommission und der Europäischen Union einzuladen. Sie sollen sich vor Ort ein Bild von der Menschenrechtslage machen. Nur: Getan hat die Regierung das offenbar nicht. Der 85-jährige Ex-Bildungsminister Carlos Tünnerman, einer der Wortführer der Opposition, warf Ortega „völligen Mangel an politischem Willen“ vor. Er hofft, dass die Anwesenheit der internationalen Beobachter das Blutvergießen durch die Sicherheitskräfte und paramilitärische Truppen stoppen könne.
Nach zwei Monaten der Protestbewegung zählt man mindestens 178 Todesopfer und um die 2.000 Verletzte. Täglich kommen neue dazu. Am Samstag steckten Paramilitärs und Polizei ein Wohnhaus und Matratzengeschäft in Managua in Brand, weil der Besitzer sich geweigert hatte, im Obergeschoss Scharfschützen postieren zu lassen. Vor den fassungslosen Augen der Nachbarn schossen dann bewaffnete Zivilisten auf alle, die das brennende Haus verlassen oder den Brand löschen wollten.
Vier Erwachsene und zwei Kleinkinder starben qualvoll in den Flammen. Obwohl die Umstände des Verbrechens durch private Videos und Zeugenaussagen hinreichend belegt sein dürften, machte Vizepräsidentin Rosario Murillo einmal mehr „kriminelle Vandalen“ verantwortlich. Auch Carlos Fonseca Terán, Sohn des Gründers der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN), sieht in den Protesten und Medienberichten eine von den USA ausgehende Verschwörung, deren Ziel es sei, „die Realität auf den Kopf zu stellen.“
Harsche Kritik innerhalb der Studentenbewegung
Dass eine Delegation von Studenten, die zur Sitzung der OAS in Washington eingeladen wurde, sich mit drei ultrarechten US-Republikanern ablichten ließen, ist natürlich Wasser auf die Mühlen der schrumpfenden Basis von Daniel Ortega. Entsprechend harsch war auch die Kritik an diesem Treffen innerhalb der Studentenbewegung, deren Führung sich in einem geheim gehaltenen Haus aufhält.
Im Dialog mit der Regierung haben nämlich inzwischen die Unternehmervertretungen das Kommando übernommen. Sie haben auch ein Übereinkommen unterschrieben, wonach die Barrikaden und Straßensperren schrittweise abgebaut werden sollen, wenn die Gewalt von Regierungsseite eingestellt wird. Außerdem soll in Zukunft geheim verhandelt werden. Statt der sofortigen Abdankung des Präsidentenpaares ist nur mehr von vorgezogenen Wahlen die Rede. Mehrere Gruppen innerhalb der Bürgerallianz sind damit nicht einverstanden, da die Barrikaden das einzige echte Druckmittel sind. Der Regierung, die letzte Woche zahlreiche Straßensperren gewaltsam und blutig zu räumen versuchte, will vor echten Verhandlungen möglichst viel Terrain gewinnen.
Von den internationalen Organismen hat die Regierung keine Unterstützung zu erwarten. Die UNO-Menschenrechtskommission hat die Polizeigewalt „inklusive des Einsatzes von Scharfschützen“ verurteilt. Die Interamerikanische Menschenrechtskommission hat Ortega Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen.
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