New York: 41 Schüsse sind kein Mord

■ Heftige Proteste gegen den Freispruch von vier weißen Polizisten, die den schwarzen Immigranten Amadou Diallo bei einer Zivilkontrolle erschossen. Geschworene urteilen: Notwehr der Angeklagten

Washington (taz) – Auch zwei Tage nach dem Urteil von Albany beschäftigt der Freispruch von vier weißen Polizisten, die vor fast genau einem Jahr einen unbewaffneten afrikanischen Einwanderer im Eingang seines Hauses in der New Yorker Bronx erschossen haben, die Öffentlichkeit.

Aufstände wie nach dem Freispruch von Los Angeles im Fall Rodney King im Jahr 1992 blieben zwar aus, doch tausende demonstrierten: vor dem Haus, in dem Amadou Diallo wohnte und starb. Sie protestierten auf Manhattans 5th Avenue. Demonstranten trafen sich vor dem Hauptquartier der Vereinten Nationen. Sie protestierten dagegen, dass der Tod eines Unschuldigen ungesühnt bleibt, und dagegen, dass wieder einmal in Amerika jemand erschossen, misshandelt oder entwürdigt wurde, weil er schwarz oder braun ist. Sie protestierten gegen eine Polizei, die New Yorks Kriminalität drastisch gesenkt, dabei aber das Vertrauen vor allem der schwarzen und Latinobevölkerung weitgehend verloren hat.

Am Freitag waren vier Polizisten im Alter von 27 bis 37 Jahren von einem Geschworenengericht in Albany vom Vorwurf des Mordes sowie der fahrlässigen Tötung freigesprochen worden. Am 4. Februar 1999 hatten sie kurz nach Mitternacht in der Bronx den unbewaffneten Einwanderer Amadou Diallo aus Guinea erschossen. 41 Mal wurde von den Polizisten geschossen, die angeblich glaubten, einen Serienvergewaltiger vor sich zu haben. 19 Projektile trafen den unbescholtenen Straßenhändler – der keinerlei Ähnlichkeit mit dem Gesuchten aufwies.

Der Prozess, der nationales und internationales Aufsehen erregt hatte – bei Protestaktionen hatten sich über 1.000 zum Teil prominente Demonstranten von der New Yorker Polizei festnehmen lassen –, war aus der Bronx mit ihrem 30-prozentigen schwarzen Bevölkerungsanteil in die Hauptstadt des Staates New York nach Albany verlegt worden, wo nur drei Prozent der Bevölkerung schwarz ist. Die Geschworenen, sieben weiße und vier schwarze Männer sowie eine schwarze Frau, billigten den Polizisten „putative Notwehr“ zu – sie sollen sich von Diallo mit einer Waffe bedroht gesehen haben. Die vier Freigesprochenen weinten bei der Urteilsverkündung vor Erleichterung.

Auch die Eltern Diallos, die nach dem Tod ihres Sohns aus Afrika nach New York übergesiedelt sind, weinten. Die Demonstranten, deren Sprechchöre täglich im Gerichtssaal zu hören gewesen waren, ermahnte Diallos Mutter, auf Gewalt zu verzichten. Das Bundesjustizministerium in Washington untersucht, ob Diallo seiner Bürgerrechte beraubt wurde und damit Bundesrecht berührt ist. Diallos Eltern werden Zivilklage erheben und die Stadt auf Schadenersatz und Schmerzensgeld verklagen. Auch eine interne Untersuchung durch die New Yorker Polizei steht noch bevor. Die vier Beamten werden vorerst keine Waffe mehr tragen.

Die Sondereinheit, der sie angehörten, ist bereits unmittelbar nach dem Tod Diallos umstrukturiert worden. Sie hatte in zwei Jahren 40.000 Personen auf offener Straße angehalten und nach Waffen durchsucht – darunter überproportional viel Schwarze und Hispanics, ohne dass je Anzeige erstattet oder Anklage erhoben wurde.

Der Protest gegen den Freispruch verstärkt landesweit den Chor der Kritik an Amerikas Polizei, der vorgeworfen wird, nach Stereotypen vorzugehen und in jedem Schwarzen einen potenziellen Kriminellen zu sehen.

Peter Tautfest

Tagesthema Seite 3