New Order mit neuem Album: Hübsche Freundin, schönes Auto
Wenn die britische Band New Order ein neues Album veröffentlicht, so ist das immer noch ein Ereignis – nur was für eins?
So ein Name, den man sich als Künstler gemacht hat, kann ja vielleicht auch wie Ballast wirken, den man ewig mit sich herumschleppt und der irgendwann so schwer auf den Schultern wiegt, dass die Finger wie Blei auf den Tasteninstrumenten liegen und die Gitarre müde bis hinunter auf den Boden hängt.
Die legendäre britische Band New Order hat einen solchen Namen; sie hat Popgeschichte mitgeschrieben und Welthits komponiert – mit Unterbrechungen gibt es New Order, die sich in der einstmals grauen, tristen, trägen Industriestadt Manchester zusammenfand, seit nun 35 Jahren. Hervor gingen sie aus der ebenso legendären und noch viel mythenumwobeneren Band Joy Division, nachdem deren Sänger Ian Curtis sich 1980 das Leben genommen hatte.
New Order vollbrachten seinerzeit kleine Wunder: Mit Meisterwerken wie dem Album „Power, Corruption and Lies“ (1983) fing die Band um Gitarrist und Sänger Bernard Sumner die Trauer und Bitterness nach dem Tod von Curtis ein und wies gleichzeitig den Weg in die Zukunft. In ihrem Hit „Blue Monday“, ebenfalls 1983 veröffentlicht, verdichtet sich mit jedem stampfenden, klopfenden, klackernden Beat die Geschichte dieses noch jungen Bandlebens. Durch „Blue Monday“ kennt die ganze Welt die Wunderband; Pop-Hoffnungen beruhen auf ihr in einer Zeit, in der sich die ganze Welt ein bisschen wie Manchester anfühlt. Die erste und dringlichste Frage, die New Order zu dieser Zeit, in diesem unterkühltem Song stellen, ist deshalb auch: „How does it feel?“.
Diese Frage, „How does it feel?“, hallt nach, jedes der im seltenen Abstand veröffentlichten Alben der britischen Band muss auf dieser Folie gelesen werden. Ohne diese initialen Ereignisse, ohne die Sehnsucht, die sie vermittelten, lassen sich New Order bis heute nicht denken. Selbst einzelne ihrer Songs waren immer Erzählungen von etwas Größerem.
Und ein Ereignis ist es auch weiterhin, wenn die Gruppe wieder zusammenfindet – nun nach zehn Jahren Abstinenz –, um ein neues Album einzuspielen. „Music Complete“ heißt das Ergebnis dieser Zusammenkunft, es ist das zehnte Studioalbum New Orders. Exbassist Peter Hook war erstmals im Studio nicht dabei, er wurde ersetzt von Tom Chapman. Phil Cunningham, ehemaliger Tourgitarrist und Teilzeitmitglied, ist nun ebenfalls fester Bestandteil der Band. Und noch eine Neuerung: Erstmals veröffentlichen New Order ein Werk auf dem ehemaligen Depeche-Mode-Label Mute Records.
Wenn die Briten zuvor große Narrative strickten, so weiß man auf „Music Complete“ nicht so recht, wovon sie überhaupt reden. Mit drei klangtypischen, okayen Songs geht es los, sie ordnen sich zwischen Gitarren- und Synthiepop ein, diesmal allerdings, im Vergleich zu einem Album wie dem britpoppigeren „Get Ready“ von 2001, befindet man sich auf der Skala viel weiter auf der Synthesizer-Seite. Bereits im Auftaktsong, der Single-Auskopplung „Restless“, steht der Text in merkwürdigem Kontrast zum Song, denn wenn Sumner singt „Restless / I feel so restless / And in this changing world / I am lost for words”, so klingen die für New Order typischen Midtempo-Akkorde eher müde bis gelangweilt als unruhig. Würde „Music Complete“ nun die elf Songs lang so vor sich hinplätschern, man würde es wahrscheinlich kaum wahrnehmen.
Dann aber merkt man doch, dass New Order nicht einfach nur ein weiteres Album machen wollten. Irgendwo zwischen Funk, Disco und New Wave sind „Tutti Frutti“ (mit der britischen Produzentin La Roux am Gesang und einem vor sich hin grummelndem Italiener als Background-Sprechgesang) und „People on the high Line“ angesiedelt, allerdings gehen diese Experimente nicht eine Sekunde lang auf, sie sind nicht besser als eine durchschnittliche Eurodance-Nummer (und das heißt ja schon was).
Prominente Gäste
Mit prominenten Gästen geht es auch weiter auf dem Album, Iggy Pop spricht sich durch das intermezzoartige „Stray Dog“, einen Song ohne Chuzpe und Dramaturgie; gegen Ende kehrt man mit „Nothing but a fool“ zu einer Musik zurück, die ziemlich an den Sound und die Tonfolgen des „Get Ready“-Albums erinnert. Eigentlich gelang es New Order erstaunlich oft, ein vorherrschendes Gefühl, eben Sehnsüchte über ihre Songs zu transportieren.
Das gilt nicht nur für die weltweit mehr als 10 Millionen Mal verkaufte Single „Blue Monday“, sondern auch für das 1987 veröffentlichte „True Faith“, den Song „World in Motion“, den sie für das englische Fußballnationalteam im Wendejahr 1990 schrieben – und das war selbst auf dem Album „Get Ready“ noch so, das, obgleich kurz vor dem 11. September 2001 veröffentlicht, sich seltsam passend zur Zeit der „New World Order“ fügte, die sich aus diesem Ereignis ergab. Vielleicht erklären die Momente auf „Music Complete“, in denen sie bemüht versuchen, daran anzuknüpfen, warum die Rezeption des Albums – auch in der Popkritik hierzulande– so unterschiedlich ausfällt.
Es gibt aber entscheidende Unterschiede der New Order von heute zu der Wunderband von einst: Damals schöpfte die Band aus dem Kaputten, aus dem Fragmentarischen, die Songs verhielten sich bis in die frühen nuller Jahre hinein in irgendeiner Art und Weise zu dem, was die Band in Nordengland umgab.
„Music Complete“ aber scheint sich gar nicht zu verhalten zu der Welt aus den Fugen von 2015. Bei einer großen Band wie New Order ist dies einfach nur schade. Außerdem ist jegliche Einheitlichkeit verloren gegangen. Sumner sagte kürzlich, man habe überlegt, ob man eine lose Folge von EPs statt eines Albums veröffentlichen wolle. Dies ist hör- und spürbar, die Songs finden keine Bindung zueinander, viele funktionieren nicht einmal einzeln.
„Music Complete“ klingt wie ein Album, von dem man nicht weiß, wo es hinsteuert, wohin es will, ob es überhaupt irgendwohin will. Man möchte es Sumner fast, völlig ungebrochen, abnehmen, wenn er im ersten Song singt: „I want a nice car / A girlfriend / who’s as pretty as a star / I want respect / as much, as much as I can get“ – und wenn dies das Einzige ist, was er will. Bei einem Podiumsgespräch in Berlin erklärte Sumner vor Kurzem, dass während der Entstehung der Songs immer erst ganz zum Schluss die Texte kämen. Weil er sich schwertäte mit dem Schreiben. Vielleicht liegt das im Moment allerdings eher daran, dass er nicht allzu viel zu sagen hat.
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