Neven Subotić über sein Buch: „Neutralität gibt es nicht“
Früher ließ er Korken knallen, heute lässt er Brunnen bauen: Ex-Fußballstar Neven Subotić über seine Stiftung und die Verantwortung des Prominentseins.
taz: Herr Subotić, Fußballer haben in der Gesellschaft einen großen Einfluss. Wann wurde Ihnen bewusst, dass Sie Ihren Einfluss nutzen möchten?
Neven Subotić: Ich bin mit 17 Jahren Profifußballer geworden. Damals dachte ich, es zählt nur, was ich auf dem Platz mache. Dass aber auch außerhalb des Sportlichen auf mich geschaut wird, ist mir erst später klar geworden. Mit 20 wurde mir klar, dass ich nicht nur mit meiner Fußballmannschaft wahrgenommen werde, sondern auch bei anderen Auftritten. Ich erinnere mich, dass mich Mütter fragten, ob ich ihren Söhnen sagen kann, wie wichtig Hausaufgaben sind. Einige Fans hören mehr auf Fußballer als auf ihre Eltern.
Wieso ist das so?
Fußballer bekommen Gehör, weil sie nicht einfach als Person gesehen werden. Es wird etwas Perfektes aus ihnen gemacht. Das ist dann fast schon fanatisch und göttlich, um das mal übertrieben darzustellen.
Wie blicken Sie auf ehemalige Kollegen, die diesen Einfluss nicht nutzen?
Man ist immer entweder für oder gegen etwas. Neutralität gibt es nicht. Das trifft hier genauso zu wie auf Rassismus. Oder auf das Wahlverhalten. Auch wenn man nicht zur Wahl geht, wählt man. Solche Entscheidungen sind immer mit einer Haltung verbunden. Ich glaube, bei den meisten spielt es sich genau auf dieser Ebene ab. Viele Fußballer finden es cool, wenn Fans ihnen die Frisur nachmachen. Aber die Bewunderung hört eben nicht bei der Frisur auf. Sie schauen sich auch die Werte und Handlungen ab. Wo macht jemand Urlaub, wie geht der Spieler mit Menschen um. Gerade der extreme Konsum von Fußballern führt oft zu Ausgrenzungen. Und zwar von denjenigen, die sich diesen Lifestyle nicht leisten können. Die kein T-Shirt von der angesagten Marke tragen.
Auch Sie waren in einem Tunnel von Geld, Autos, Luxusurlauben und Frauen. Das alles war sehr wichtig für Sie. Wie kann man sich das vorstellen?
Ich vergleiche das mit einer Autobahn, auf der man mit 300 Kilometern pro Stunde rast. Plötzlich verschwimmt alles um einen herum und man nimmt nichts mehr wahr. Vielleicht gibt es Signale, die einem sagen, wo man hinfahren soll, oder dass man mal auf die Bremse treten muss. Aber man drückt einfach immer weiter durch und kann nicht stoppen. Es muss ein externer Zuruf kommen, der sagt: Hey, slow down. Du kannst langsamer werden und trotzdem in Bewegung bleiben.
Kam dieser Ruf bei Ihnen?
Ich hatte Glück, dass ich Freunde mit ganz anderen Interessen und finanziellen Möglichkeiten hatte. Ich erinnere mich an einen Urlaub, wo ich mit drei Kollegen etwas starten wollte. Einer von ihnen konnte sich kein Hotel in Dubai leisten. Also sind wir mit dem Wohnwagen losgefahren. Es war der coolste Urlaub, den ich je hatte. Weil ich gemerkt habe, dass es egal war, wo wir waren. Es zählte nur, dass wir zusammen sind und gemeinsam eine gute Zeit hatten.
Fußball verfolgen Sie heute gar nicht mehr. Wieso?
Für mich ist nicht mehr wichtig, welcher Spieler ein Tor geschossen hat. Es frustriert mich sogar, damit konfrontiert zu werden. Nicht selten werde ich in Interviews gefragt, was zum Beispiel der schwerste Gegner war, gegen den ich jemals gespielt habe. Ich kann das dann gar nicht glauben, weil es mir so unwichtig erscheint. Ich will in solche Überlegungen keine Zeit mehr reinstecken. Zumal ich weiß, dass es auch gefährlich sein kann, wenn man alles unter den Sport stellt.
Was meinen Sie damit?
Ich sehe, dass Menschen süchtig nach dem Profifußball werden. Dadurch werden dann die wirklich wichtigen Dinge im echten Leben vernachlässigt.
ist 33 und ehemaliger Profifußballer. Er spielte unter anderem in der serbischen Nationalmannschaft und wurde mit Borussia Dortmund deutscher Meister. Seit 2012 widmet er sich seiner gleichnamigen Stiftung, für die er im September 2022 den Bundesverdienstorden erhielt. Gemeinsam mit der Journalistin Sonja Hartwig hat er im Sommer das Buch „Alles geben“ (KiWi Verlag, 22 Euro) veröffentlicht.
In Ihrem Buch „Alles geben“ schreiben Sie, dass Ihnen Titel und Auszeichnungen nicht mehr wichtig sind. Nun haben Sie den Bundesverdienstorden erhalten. Was bedeutet Ihnen das?
Ich habe diese Auszeichnung für meine Arbeit in der Neven Subotic Stiftung bekommen. Dort kümmern wir uns um den weltweiten Zugang zu sauberem Trinkwasser und Hygiene. Es fühlt sich an, als wären wir mit der Arbeit noch am Anfang, obwohl es die Stiftung schon zehn Jahre gibt. Die Auszeichnung war auf jeden Fall die größte Wertschätzung für diese Arbeit. Aber bei dem Gedanken daran gibt es in mir immer auch eine zweite Ebene. Damals bin ich mit meiner Familie nach Deutschland geflüchtet. Wir haben hier zehn Jahre als absolute Vorzeigefamilie gelebt, bis wir innerhalb von drei Monaten das Land verlassen mussten und in die USA gegangen sind. Natürlich ist alles gewissermaßen gut ausgegangen. Jetzt werde ich sogar vom Bundespräsidenten ausgezeichnet. Das heißt aber nicht, dass ich nicht mehr an die sehr negativen Facetten denken muss. Zumal die sich vor allem in unserer Familie etabliert haben.
Sie berichten von harter Arbeit, die Sie auch von Ihren Eltern vorgelebt bekommen haben. Ist die Auszeichnung ein Punkt, an dem Sie sich etwas ausruhen können?
Nein. Ich habe enorm viel Angst. Ich bin jemand, der noch am selben Abend schon wieder frustriert von der Welt ist. Ich weiß schließlich, dass ich nur ein kleines Rädchen in einem großen Weltsystem bin. Es gibt keinen Preis auf der Welt, der in mir den Gedanken auslösen würde, dass ich es jetzt geschafft habe. Ich verstehe Leute nicht, die durch Zuspruch von außen an ein Ziel gekommen sind und darum noch Jahre kreisen. Ich kenne Fußballer, die schauen sich immer wieder ihre Videos von vor zehn Jahren an, um daran erinnert zu werden, wie toll sie mal spielen konnten. Nur interessiert das keinen mehr.
Sie wollten eine Stiftung gründen, die die großen Probleme auf der Welt lösen kann. Davon gibt es viele. Wie konnten Sie sich für ein Problem entscheiden?
Ich war überzeugt, dass es nicht noch eine Organisation braucht, die sich mit allem beschäftigt. Das ist wie in einem Restaurant, das alles auf der Karte hat – da kann man sich nicht spezialisieren. Ich wollte eine Organisation, die sich in ein Thema reinfrisst und darin langfristig Experte wird. Als ich geschaut habe, welches globale Problem den größten Schaden anrichtet, bin ich schnell auf Wasser gekommen. Knapp 300 Kinder erreichen jeden Tag ihren fünften Geburtstag nicht, weil sie davor durch Krankheiten sterben, die durch das Wasser übertragen werden. Das war für mich ein Problem, das direkt angegangen werden konnte. Die Lösung ist unter den Füßen der Menschen: Grundwasser. Und um da ranzukommen, braucht es Geld. Das war schon mit 22 greifbar für mich. Und das, obwohl ich zu diesem Zeitpunkt sehr wenig über sehr wenig wusste (lacht).
Wenn Sie von ihrer Stiftungsarbeit sprechen, vermeiden Sie das Wort helfen. Wieso?
Das Wort helfen impliziert doch immer, dass ich jemandem neutral helfe, weil ich so ein toller Typ bin. Das negiert aber, dass der eigene Reichtum abhängig von der anderen Person oder dem wirtschaftlichen System ist. Und dass man davon profitiert. Es gibt Wörter, die passen einfach nicht in ein postkoloniales oder neokoloniales Zeitalter wie dieses. Dafür hat mich besonders meine Partnerin Shari sensibilisiert.
In Ihrer Kindheit haben Sie viele Ungerechtigkeiten erlebt, nachdem Sie mit Ihrer Familie nach Deutschland gekommen sind. Dennoch schreiben Sie zum Beispiel, dass Sie die Ungerechtigkeiten in den Ländern, die Sie bereisen, nicht greifen können. Wie findet man einen Zugang zu einem Menschen, dessen Realität man nie ganz versteht?
Wichtig ist, diese Grenze zu akzeptieren. Ich habe akzeptiert, dass ich nur ein Mensch bin, der mit Leuten sprechen kann, der Bücher lesen und Experten zuhören kann. Ich weiß aber, dass mich das alles nicht wirklich in die Realität anderer Menschen bringt. Man sollte immer nach dem Maximum streben. Aber ein Verständnis für eine Gruppe oder einen Menschen, den man gerade erst kennengelernt hat, zu bekommen – das ist eine unmögliche Herausforderung.
Sie werfen viele Fragen auf. Unter anderem, was eigentlich Gerechtigkeit ist. Haben Sie darauf mittlerweile eine Antwort?
Ich weiß, dass es nicht die eine Gerechtigkeit gibt. Aber vielleicht hilft es, sich nicht nur zu fragen, was alles schon gerecht ist, sondern eher, was noch immer ungerecht ist. Denn dafür fehlt uns oft die Wahrnehmung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Absagen vor Kunstsymposium
Logiken der Vermeidung