Neuverfilmung von Stephen Kings „Es“: Der Horrorclown ist zurück
Rein körperlich ist der vielleicht anstrengendste Film des Jahres: Der Grusel-Klassiker „Es“ kommt wieder in die Kinos.
Subtil geht anders. Jedenfalls nicht so: Man hat die Brüder Bill (Jaeden Lieberher) und Georgie (Jackson Robert Scott) kaum kennengelernt, als Letzterer auch schon auf die regennasse Straße hinausläuft, seinem Papierboot hinterher, und vorm Bordsteinausguss landet. Von dort, aus der Tiefe, fesselt ihn ein Augenpaar und eine unangenehme Stimme verwickelt ihn in ein Gespräch. Ein Clown!
Kurz darauf ist es auch schon aus mit Georgie. Eben waren er und sein gelber Regenmantel noch da, jetzt sind sie weg. Eine Katze, die alles beobachtet hat, blinzelt gleichgültig, wie es Katzen so tun. Von null auf hundert und wieder zurück, so in etwa bewegt sich der Schreckensbarometer in Andy Muschiettis Verfilmung des Stephen-King-Romans „Es“. Und da sind noch keine fünf Minuten vergangen.
Aber natürlich hat das auch seinen Sinn: Dass man sich als Zuschauer von Anfang an nach mehr Ruhe sehnt, nach längeren Pausen zwischen all den horrenden Erlebnissen, die die kindlichen Helden durchleiden, bildet das konstitutive Moment dieses Films. Hier entsteht die Unheimlichkeit nicht aus der Stille, aus einer leise knarzenden Tür am Ende eines Ganges, sondern ein Tropfen Blut verwandelt sich binnen Sekunden in einen reißenden Strom, gefolgt von Tentakeln und anderem Ekelzeugs.
Ängste erweisen sich nie als unbegründet, sondern stets als harmlose Vorahnungen von Dingen, die noch viel, viel schlimmer werden. Mit dieser Dauerverdopplungstrategie, die Entspannung für den Zuschauer unmöglich macht, ist „Es“ rein körperlich der vielleicht anstrengendste Film des Jahres.
„Es“. Regie: Andy Muschietti. Mit Bill Skarsgård, Jaeden Lieberher u.a. USA 2017, 135 Min.
Dass man „Es“ aushält, liegt an seiner siebenköpfigen Heldentruppe, dem „Klub der Verlierer“, wie sie sich in Kings Vorlage nennen. Im Film, der die Handlung aus den 50er Jahren in die Bonanzarad-Epoche der 80er verlegt, finden die 12–13-Jährigen nach und nach zusammen. Allesamt werden sie in Situationen der Demütigung vorgestellt.
Bill kommt über den Verlust des Bruders nicht hinweg und wird wegen seines Stotterns verlacht. Sein Freund Stan enttäuscht seinen Vater beim Toralesen. Eddie hat Asthma und wird von einer kontrollierenden Mutter mit Medikamenten vollgestopft. Richie trägt Brille und kompensiert seine Unsicherheit mit falsch tönenden Sexangebereien. Ben ist dick, Mike ist schwarz und Beverly schließlich, das einzige Mädchen unter ihnen, wird in ihrer ersten Szene mit Müll übergossen und hat auch noch einen Vater, der sie als „sein kleines Girl“ bedrängt.
Reiche Nebengeschichten
Als wären die Elternhäuser nicht schrecklich genug, lauert ihnen, kaum dass sie auf die Straße ihrer beschaulichen Kleinstadt gehen, eine Clique von Halbstarken auf. Und wie gesagt, das alles ist ihre Vorgeschichte, ihr Alltag. Man kann es auch so sehen: Mit Angst kennen sie sich aus. Der Clown Pennywise (Bill Skarsgård) mit seinem Fluch trifft in dieser Hinsicht auf wohl präparierte Opfer.
Die Sieben sind ein Glücksfall in der Besetzung. Jeder Einzelne von ihnen hat so viel Charisma, dass sich die wenigen Momente, die der Film sie in Nichthorrorsituationen zeigt, förmlich einbrennen. Das wissende Lächeln von Ben, die melancholische Starre von Bill und Beverlys trotzig erhobener Kopf ergeben reiche Nebengeschichten.
Und es mag die Kunst sein von Regisseur Andy Muschietti, dass er sie durch die Übermenge an Schreckensmomenten nicht übertönt, sondern als rar und wertvoll akzentuiert. So „rund“ sind ihre Charaktere, dass man der Wiederbegegnung mit ihnen als Erwachsenen in der angekündigten Fortsetzung, die 27 Jahre später spielt, voll Erwartung entgegensieht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Sensationsfund Säbelzahntiger-Baby
Tiefkühlkatze aufgetaut