Das rechte Komplott

Von den Vorgängen in Thüringen profitiert bisher nur: die AfD. Dort ist man stolz, „Geschichte geschrieben“ zu haben. Die Neurechten jubeln mit – und nehmen neue Gegner ins Visier

Neurechte Puppen­spieler: Björn Höcke (Mitte) und sein Vertrauter Braga (links) wollen erst mal anstoßen Foto: Jens Schlueter/afp

Von Konrad Litschko

Der Jubel erfolgte prompt. „Patrioten machen Bodo Ramelow arbeitslos!“, verbreitete das neurechte Netzwerk „Ein Prozent“ sofort eine Nachricht, als Thüringen am Mittwoch plötzlich einen neuen Ministerpräsidenten hatte – Thomas Kemmerich, FDP, gewählt mit den Stimmen der AfD und CDU. Man reagiere nun aus der Opposition heraus, jubilierte das Netzwerk. Es zeige, „welche Macht die patriotische Bewegung mittlerweile hat“.

Und „Ein Prozent“ war nicht allein. Seit dem Trick der AfD – die Partei gab im dritten Wahlgang nicht mehr ihrem Kandidaten, sondern FDP-Mann Kemmerich alle Stimmen und verhalf ihm so zum Sieg – herrscht in der neurechten und rechtsextremen Szene Hochstimmung. Von einer „Sensation“ spricht der Identitäre Martin Sellner. Der neurechte Vordenker Götz Kubitschek preist seinen Vertrauten Björn Höcke, Thüringens AfD-Chef: „Das taktische Arsenal der AfD ist um eine feine Variante reicher.“ Und Philipp Stein, Kopf von „Ein Prozent“, jubelt über einen „Paradigmenwechsel“.

Der Jubel kommt nicht von ungefähr. Denn all diese neurechten Protagonisten sind eng mit der AfD verbandelt – und sehen sich als gemeinsames Netzwerk. Die AfD als parlamentarischer Arm, Kubitscheks Institut für Staatspolitik als Denkfabrik sowie „Ein Prozent“ und die Identitären als außerparlamentarische Kraft. Ihr Ziel: eine Kulturrevolution von rechts.

Mit dem Coup in Thüringen sieht man sich nun einen Schritt vorangekommen – auch wenn noch offen ist, wie viel der Sieg Kemmerichs ihnen am Ende tatsächlich nutzt, wenn es nun zu Neuwahlen kommt.

Kubitschek preist den Wahlakt jedenfalls als strategischen Schachzug. Kemmerich sei „die Figur, die König Ramelow matt setzte, mehr nicht, und er hat sich – so ist das bei Figuren – nicht selbst geführt“, schreibt er auf seinem Blog. Es sei Höckes AfD gewesen, die Mehrheiten gesucht und den „Gegner überrumpelt“ hätte. „So konstruktiv-destruktiv wie Höcke hat aus dieser Partei heraus noch keiner agiert“, so Kubitschek. „Von solchen Momenten erhofft man sich Wirkung.“

Nicht anders klingt Philipp Stein, der „Ein Prozent“-Chef. Die AfD-Fraktion habe das, „was im Vorfeld geplant wurde, in minutiöser Art umgesetzt“. Statt um eine Regierungsbeteiligung zu „betteln“, habe die AfD selbst gehandelt. Die Abwahl ­Ramelows habe „Symbolwirkung“. Dies zeige, wie man aus der Opposition gestalten könne.

Auch Stein, der mit seinem Netzwerk rechte Protestbewegungen wie Pegida pusht, ist kein Unbeteiligter. Noch am Abend der Thüringen-Wahl im Oktober posierte er mit Höcke in einem Video. „Ihr seid die, die uns den Rücken freihalten“, richtete der AfD-Mann seinen Dank an Stein. Stein selbst sprach seine Agenda auf einer Pegida-Kundgebung offen aus: Es gehe um einen „politischen Wandel im Land“. Bald gebe es eine andere Stimmung. „Und darauf könnt ihr euch freuen.“

Der Jubel der Neurechten kommt daher erwartet. Wie viel langfristige Strategie hinter der Wahl Kemmerichs steckt, bleibt indes noch unklar. Thüringens AfD-Co-Chef Stefan Möller behauptet, seine Partei habe Kemmerich bewusst „aufs Podium“ gelockt und ihn dann „planmäßig gewählt“. Auch Alice Weidel, AfD-Fraktionschefin im Bundestag, spricht vom „Schmieden einer bürgerlichen Allianz“. Auch sie jubelt: „An der AfD führt kein Weg mehr vorbei!“

Klar ist, dass Höcke bereits im November einen Brief an Kemmerich schrieb und eine Zusammenarbeit anbot. Denkbar wären eine „gemeinsam getragene Expertenregierung“ oder eine von der AfD gestützte Minderheitsregierung. Auch nachdem Kemmerich seinen Antritt als Ministerpräsidentenkandidat kundtat, kursierte im Landtag schnell, dass die AfD nicht ihren Kandidaten, den Parteilosen Christoph Kindervater, wählen könnte, sondern den FDP-Mann. Als der tatsächlich gewählt war, brandete nur bei einer Fraktion Jubel auf: der AfD.

In der ersten Reihe neben Höcke saß da Torben Braga, Geschäftsführer der AfD-Fraktion, ein Burschenschaftler. Er ist es nun, den Stein als „Strategen“ hinter dem Wahltrick bezeichnet. Beide sind gut bekannt, waren Sprecher des Dachverbands „Deutsche Burschenschaft“, in der sich auch rechtsextreme Verbände tummeln.

Braga gibt sich am Donnerstag wortkarg. Auch er nennt den Wahlsieg Kemmerichs einen „Erfolg“ für die AfD. Warum ihn Stein als Stratege dahinter bezeichne, wisse er nicht, sagt Braga der taz. Dieser sei aber „ein kluger Mann“. Auch wie die AfD den Wahltag vorbereitete, will Braga nicht verraten. Nur so viel: „Es gab keine Absprachen mit anderen Parteien.“ Die Euphorie über Raumgewinn der Neurechten dämpft Braga indes, vorgeblich. Was es für den „vorparlamentarischen Raum“ bedeute, würden die nächsten Wochen zeigen. Es ging bisher nur um eine Ministerpräsidentenwahl. „Was soll da folgen?“

Björn Höcke selbst beklagt am Donnerstag vorerst nur den Protest nach Kemmerichs Wahl: die „Belagerung“ des Landtags und „brennende Autos“. Gemeint ist ein nächtlicher Brandanschlag auf zwei Autos von Burschenschaftlern in Jena.

Kemmerich sei „die Figur, die König Ramelow matt setzte. Mehr nicht“

Ideologe Götz Kubitschek

Am Vortag aber frohlockte auch er, dass seine Partei die „taktische Karte gespielt“ und „ein kleines Stück Geschichte geschrieben“ habe. „Noch sind wir nicht stark genug, einen eigenen Ministerpräsidenten zu wählen.“ Aber man sei stark genug, „rote Ministerpräsidenten“ abzulösen. „Darauf können wir alle stolz sein.“

Klar ist: Innerparteilich sind Höcke und sein radikaler „Flügel“ nun nochmals gestärkt – auch innerhalb der neurechten Bewegung. Man sei „stolz“ auf die Thüringer Parteifreunde, jubelte denn auch der „Flügel“.

Dass Ramelow nun weg ist, aber reicht den Neurechten nicht. Philipp Stein machte sofort ein neues Ziel aus: Mit dem Ende von Rot-Rot-Grün sei es nun möglich, auch deren „Klüngelnetzwerke“ aufzulösen. Stein benannte einen Adressaten, gegen den sein Netzwerk seit Monaten schießt: den Rechtsextremismusexperten Matthias Quent und dessen Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft. Mit dessen Förderung „kann und muss jetzt Schluss sein“.

Für Quent kommt das nicht überraschend. „Es geht den Neurechten um eine kulturelle Hegemonie. Sie wollen das Vertrauen in die Demokratie und Zivilgesellschaft zerstören.“ Nach ihrem „Geländegewinn“ würden sie nun diejenigen unter Druck setzen, die diese Strategie offenlegen. „Das trifft auch die Kirchen oder kritische Unternehmer.“ Umso wichtiger sei der Protest, der sich nun landesweit für die Demokratie erhebe, so Quent. „Das ist ein ganz wichtiges Zeichen.“

Ob Neuwahlen kommen oder nicht – AfD-Mann Braga weist auf die Umfragen: „Wir wären da nicht gerade die Verlierer.“