piwik no script img

Neues vom RAW-GeländeBruchlandung für den Bezirk?

Die Kurth-Gruppe garantiert Clubs günstige Mieten – und erhält dafür als Kompensation mehr Bauland. Initiative kritisiert den Deal.

Ist das Feiern auf dem RAW-Gelände in Friedrichshain bald vorbei? Foto: dpa

Es ist ein Horrorszenario, das Christoph Casper von der Initiative RAW Kulturensemble für die Zukunft des RAW-Geländes in Friedrichshain malt. „Das, was am Mercedes-Platz zu sehen ist, wird sich auch hier ausbreiten“, sagt er. Der Mercedes-Platz befindet sich nah dem RAW-Gelände neben der Mercedes-Benz-Arena. Liebloser als dort lässt sich ein Stadtteil nicht gestalten. Büros, Restaurants, eine Bowlingbahn, gigantische Leinwände für Werbung, urbane Wüste: Nirgendwo fühlt man sich so fremd in der eigenen Stadt wie hier.

Dass es so schlimm nicht kommen wird, kann man jetzt nur noch hoffen. Denn die nächste Hürde auf dem Weg zur Umgestaltung des RAW-Geländes wurde nun genommen. Die Bezirksverordneten von Friedrichshain-Kreuzberg haben, mit Ausnahme von ein paar Abweichlern von der Linkspartei und den Vertretern von Die Partei und den Piraten, bei ihrer letzten Versammlung im Juni für den Aufstellungsbeschluss zur Bebauung des RAW-Geländes votiert. Jetzt kann das Bebauungsplanverfahren eingeleitet werden.

Die bereits vorliegenden Pläne zur Bebauung werden damit weiter geprüft und ausgearbeitet, zumindest schon einmal für einen großen Teil des Geländes – nämlich den, der sich im Besitz der Göttinger Kurth-Gruppe befindet. Seit 2015 gehören ihr 52.000 Quadratmeter des Geländes, die restlichen 19.000 Quadratmeter teilen sich zwei weitere Immobilienfirmen.

Dass man die Kurth-Gruppe vor den beiden anderen behandelt, liegt an der besonderen Situation auf ihrem Grundstück. Auf ungefähr einem Drittel von dessen Fläche befinden sich kulturelle und soziale Einrichtungen, die unter dem Begriff „soziokulturelles L“ zusammengefasst wurden. Skatehalle, Galerien, Werkstätten, Kinderzirkus, aber auch Kneipen und ein Biergarten. Über sechzig Einrichtungen dieser Art haben sich hier angesammelt.

150.000 Quadratmeter Baumasse

Schon bei den ersten Verhandlungen mit der Kurth-Gruppe machte der Bezirk klar: Die Soziokultur soll erhalten bleiben. Eine von Baustadtrat Florian Schmidt von den Grünen bestellte Machbarkeitsstudie erarbeitete ein Szenario, in dem das möglich sein und die Kurth-Gruppe dennoch ihr Gelände renditeträchtig entwickeln können soll. Kompensation lautet demnach die Zauberformel. Die soziokulturellen Einrichtungen könnten bei weiterhin weit unter dem Durchschnitt liegenden Mieten bleiben, wenn Kurth dafür auf den übrigen Flächen mehr Bauvolumen zugestanden würde.

Auf diesen Kuhhandel läuft es nun hinaus. Beschlossen wurde damit, das der gesamte Bereich des Gebäudeensembles „soziokulturelles L“ der landeseigenen Stadtentwicklungs-gGmbH GSE als Pächter unterstellt wird. Diese soll einen Vertrag für die nächsten 30 Jahre bekommen, mehr geht rechtlich nicht. Ein Erbbaupachtvertrag hätte eine weit längere Laufzeit und wurde der Kurth-Gruppe auch vorgeschlagen, doch die lehnte ab.

Im Gegenzug bekommt der Eigentümer eine Baumasse von circa 150.000 Quadratmetern zugestanden, dazu gehört ein 100 Meter hohes Bürogebäude. Clubs wie das Astra, Urban Spree und der Suicide Club werden abgerissen, sollen jedoch in Neubauten innerhalb des Geländes umziehen.

Christoph Caspers Initiative RAW Kulturensemble brachte auf der BVV Anfang Juni per Einwohnerantrag den Vorschlag ein, das RAW-Gelände zum städtebaulichen Erhaltungsgebiet zu erklären. Dadurch ließe sich dieser Bereich nur sehr behutsam verändern, sein grundsätzlicher Charakter bliebe erhalten. Bebauungen seien dann auch nicht ausgeschlossen, so Casper, aber sicherlich nicht in dem großen Stil möglich, wie nun angedacht. Der Antrag wurde von der BBB abgelehnt.

Getrübte Feierlaune

Für Casper ist klar: Der Bezirk habe sich von der Kurth-Gruppe in eine Erpressungssituation hineinziehen lassen und tanze nach deren Pfeife. Viele Mietverträge im Bereich des „soziokulturellen L“ liefen Ende des Jahres aus. Kurth habe klargemacht: Wenn jetzt keine Einigung mit dem Bezirk gefunden werde, würden die Verträge nicht verlängert.

Casper, genauso wie der Stadtplaner Carsten Joost, der sich bereits vor ein paar Jahren bei einer Kampagne gegen das Investorenprojekt Mediaspree einsetzte, bezweifeln außerdem, dass Kurth so viel Bauvolumen als Kompensation für das „soziokulturelle L“ bekommen müsse, um das Gelände rentabel entwickeln zu können. „Bei der Familie Kurth kann der Champagner fließen“, kommentiert Joost auf seiner Homepage.

Joest Schmidt, Vorstandsmitglied von RAW Kultur L.e.G., begrüßt als direkt Betroffener dagegen die gefundene Lösung. Sein Verein „Drop In“ macht im Bereich des „soziokulturellen L“ Jugend- und Bildungsarbeit. Doch in ungetrübter Feierlaune ist er nicht: „Das Ganze ist ein hart erarbeiteter Kompromiss, den wohl alle Beteiligten nicht ohne Bauchschmerzen eingegangen sind.“

Außerdem sieht er es kritisch, dass der Pachtvertrag über die GSE nur für 30 Jahre abgeschlossen werden kann. „Was danach passiert, ist noch völlig offen, das bedauern wir sehr“, sagt er. „Wir erwarten von der Politik und den Eigentümern, dass uns auch für die Zeit danach eine Perspektive aufgezeigt wird.“ Außerdem erwarte er, wie von Bezirk und Eigentümer versprochen, das Bebauungsplanverfahren weiter kritisch begleiten zu dürfen.

Der Bezirk tanze nach der Pfeife der Kurth-Gruppe, sagt Caspers von der RAW-Initiative

Darüber, wie genau es auf dem Bereich des RAW-Geländes weitergehen wird, der sich nicht im Besitz der Kurth-Gruppe befindet, wird erst nach der Sommerpause abgestimmt, so der Bezirksverordnete Werner Heck von den Grünen. „Ohne so etwas wie das soziokulturelle L werden die Verhandlungen hier ganz anders verlaufen“, sagt er. Zum Badehaus, das sich in dem Bereich befindet, der der Immobilienfirma Mast+Trenkle gehört, sagt er schon mal prophylaktisch: „Wenn die das Haus abreißen wollen, kriegen sie von mir dafür kein Okay beim Bebauungsplan.“

Vielleicht werden Mast+Trenkle aber auch sagen: Ihr wollt also, dass das Badehaus nicht abgerissen wird? Dann gebt uns dafür aber auch, bitte schön, eine ordentliche Kompensation.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!