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Neues Soloalbum von Damon AlbarnWikinger in der Schau­er­ro­man­tik

Gorillaz- und Blur-Sänger Damon Albarn veröffentlicht „The Nearer the Fountain, More Pure the Stream Flows“. Auf dem Album zeigt er sich melancholisch.

Damon Albarn wird an der See ganz melancholisch Foto: Steve Gullick

Aus dem Fenster schauen und den trance­artigen Zustand zulassen – ob der Naturdramen, die sich draußen abspielen. So lautete die Ansage, als Damon Albarn Anfang 2020 zwölf Mu­si­ke­r:in­nen des Ensembles stargaze nach Island einlud – ein Land, dass den britischen Popstar bereits in den 1990er Jahren in den Bann zog. Mittlerweile lebt er zeitweilig dort und besitzt neben der britischen auch die isländische Staatsbürgerschaft.

Innerhalb vage definierter Parameter zu improvisieren, das sei „ziemlich kompliziert, wenn man fast keine verabredete Grundlage hat“ – beschreibt Damon Albarn im Interview mit der taz die Herausforderungen, die in „Meditationen über isländische Landschaften“ stecken. Dann begann allerdings die Coronapandemie, alle Mu­si­ke­r:in­nen mussten nach Hause. In Albarns Fall lag das andere Zuhause ebenfalls an einer bisweilen wilden Küste: in Devon im Südwesten Englands saß der 53-Jährige die Pandemie zunächst aus.

Einen Lockdown-Winter später, und aus dem Island-Projekt wurde erst einmal nicht das geplante sinfonische Werk, sondern Albarns zweites Soloalbum „The Nearer the Fountain, More Pure the Stream Flows“ (Je näher der Flussquelle, desto reiner der Strom): Es sind zwölf sehr unterschiedliche, teils geschmeidig-melodiöse, teils experimentelle, bisweilen jazzige und, bei allem darin steckenden Swing, meist melancholisch anmutende Stücke geworden.

Einige offenbaren ihre Popgrundierung erst nach mehrmaligen Hören, unter dem latent esoterischen Rauschen, dem man das Urkonzept durchaus anhört, besonders in seinen gewagteren Momenten. In der Bühnenfassung soll die Musik dann übrigens wieder im Sinne der Ausgangsidee präsentiert werden: als sinfonisches Ensemble-Stück, in das die Songs eingeflochten werden.

Düstere Reise

„Ich war auf meiner eigenen düsteren Reise, während ich diese Musik eingespielt habe. Das führte mich zur Überzeugung, dass eine reine Quelle durchaus existieren könnte“, wird der Popstar auf dem Waschzettel zitiert.

In Verbindung mit den teils tieftraurigen Texten klingt die Musik ganz schön bedeutungsschwer. Etwa, wenn Albarn im elegischen Titeltrack singt: „The dark journey that leaves no returning /… Left so desolate now / When youth seemed immortal / So sweet it did weave / Heavens halo around“.

Das Album

Damon Albarn: „The Nearer The Fountain, More Pure The Stream Flows“ (Transgressive/Rough Trade/PIAS)

Beim Interview präsentiert sich der Brite aber kein bisschen schwermütig, sondern wirkt aufgeräumt und recht wohlgemut. In London arbeitet er derzeit an neuem Material für sein virtuelles Projekt Gorillaz, das er zusammen mit Comiczeichner Jamie Hewlett konzipiert.

Inzwischen hatte dann auch die Autorin festgestellt, dass die oben zitierten Zeilen gar nicht aus Albarns Feder stammen, sondern aus dem Gedicht „Love and Memory“ von John Clare. Der englische Dichter des frühen 19. Jahrhunderts wurde für seine Beschreibungen des Landlebens gefeiert, die letzten 37 Jahren seines Lebens verbrachte er allerdings in der Psychiatrie.

Love and Memory

Seinem Gedicht ist auch der pathosträchtige Albumtitel entliehen. „Clare war ein Dichter aus der Arbeiterklasse, der sehr sensibel gegenüber der Umwelt und der eigenen Psyche war – nicht so bekannt wie Lord Byron und William Blake, aber nicht weniger einflussreich“, erklärt Albarn.

Als ich erwähne, dass ich die Texte zunächst für seine eigene Worte hielt, muss Albarn lachen. „Blimey, no! In meinen Teenagerjahren schenkte mir meine Mutter eine Anthologie von Clare. Die Zeilen, die jetzt titelgebend wurden, lösten bei mir starke Resonanz aus und begleiteten mich seither. In meinem Gedächtnis waren sie zwischendurch fast von Clare abgekoppelt.

Erst während der Arbeit an den Kompositionen fühlte ich mich in der Pflicht, das Gedicht nochmal genauer anzusehen. Die verwendeten Passagen sind nicht meine Worte, doch sie erschienen mir passend. Ich fühle mich wohl damit, sie zu singen. Zumal ‚Love and Memory‘ doch genau die Dinge sind, die uns als Menschen weitermachen lassen.“

Leicht selbstironisch schiebt Damon Albarn hinterher: „Jetzt bin ich endgültig im 19. Jahrhundert angekommen!“ Was die Frage aufwirft, wie Albarn filtert, welche Ideen und Stimmungen zu welchem seiner doch sehr unterschiedlichen Projekte gehören. Legt er Einfälle in Schubladen ab, um später darauf zurückzukommen? Eher, so erklärt er, laufe es so, dass er sich für eine Zeitraum vollständig einem Projekt widmet: „Den Impuls lasse ich in eine bestimmte Richtung laufen und bleibe dabei, bis ich ein Ziel erreiche, wie ich es mir vorgestellt habe.“

Schwimmen im Meer

Mit dem neuen Album führte ihn das eher in schwebende Sphären, die bisweilen aquatisch anmuten. Etwa, wenn er einen Kormoran besingt, im schwermütigen und doch leicht verspult vor sich hin plätschernden Song „The Cormanant“. Von dem Vogel fühlte er sich bei Schwimmexkursionen im Meer beobachtet, die er während des Lockdowns unternahm – und die er sehr vermisst.

„Devon ist vielleicht nicht ganz so wild wie isländische Landschaften, aber im Winter ähnlich „kalt, brutal und düster. Ich verbringe viel Zeit am Strand. Wenn man eine Gegend gut kennt, nimmt man subtile Veränderungen wahr: Dinge, die etwa letztes Jahr noch ein bisschen anders aussahen. Der Klimawandel hat konkrete Auswirkungen.“

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Der schlechte Zustand der Ozeane hat Albarn immer wieder beschäftigt, etwa auf dem Gorillaz-Album „Plastic Beach“ (2010). Womit wir zurück in der unwirtlichen Gegenwart sind: bei ökologischen Katastrophen, Überbevölkerung, Auswirkungen der Pandemie, welche die Digitalisierung und die Installation von Überwachungstechnologien weiter beschleunigt hat. Und natürlich beim Brexit. Damon Albarn redet sich bei diesen Themen in Rage, bis er selbst bremst: „Okay, das war meine Dosis mittwöchlicher Angst.

Doch machen Vorstellungen von pureness, auf die er in den neuen Songs ja doch positiv Bezug nimmt, in unserer widersprüchlichen, chao­tischen Gegenwart überhaupt noch Sinn? Ideen von Reinheit begegnen einem ja nicht umsonst oft in totalitären Zusammenhängen.

Kapitalismuskritik

Es lohne sich schon, danach zu streben, findet Albarn. „Aber zuerst müssen wir unsere Träume bereinigen. Was wir diesbezüglich gesellschaftlich angeboten bekommen, ist ja ziemlicher Dreck. Dafür wiederum müssen wir einen großen Teil unseres Glaubenssystems über Bord werfen, eigentlich alle Grundlagen des Kapitalismus. Es bedarf wohl einer ziemlich fundamentalen Neukalibrierung unserer Träume.“

Eine Frage bleibt noch: Wenn er auf Tuchfühlung zum Atlantik geht, trägt er dann Neoprenanzug? „Nee, ich bin Wikinger!“ Es gibt ihn also noch: den Popstar, der auf dicke Hose macht. So wie einst, als Albarn den „laddism“ repräsentierte, eine Jugendkultur, bei der britische Mittelschichtjungs sich prollig gaben und kopierten, was sie für den Style der Working Class hielten – was Albarn nicht immer sympathisch erschienen ließ.

Auch wenn er sich mittlerweile als milde gealterter Melancholiker inszeniert – nicht nur auf dem neuen Soloalbum, auch schon beim Vorgänger „Everyday Robots“ (2014), erst recht aber mit „Merrie Land“ (2018) von The Good, The Bad & The Queen, der Supergroup, bei dem der 2020 verstorbene nigerianische Drummer Tony Allen mitwirkte.

Nun aber wäre alles andere als eine desillusionierte Grundierung, wie auch immer sie sich manifestiert, auch ein bisschen seltsam in diesen Zeiten.

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