Neues Kabinett in Tunesien: Parteien-Ragout regiert in Tunis
Vier Monate nach der Wahl in Tunesien billigt das Parlament eine neue Regierung. Es ist eine bunte Koalition mit fast allen Kräften.
Fakhfakh hatte dem Parlament nach Kritik an seiner Ministerliste eine zweite Version vorgelegt, der schließlich auch die moderaten Islamisten der Ennahda-Partei zustimmten, da ihnen sechs Minister zugestanden wurden.
Damit ist der Regierungswechsel nach den Wahlen vom Oktober 2019 komplett. Der damals gewählte neue Präsident Kais Saied beauftragte nach seinem Sieg ursprünglich Ennahda als größte Partei im Parlament mit der Regierungsbildung.
Die moderaten Islamisten scheiterten jedoch an dem Widerstand der restlichen Parteien – an erster Stelle die PDL von Abir Moussi mit 17 Sitzen und die Partei Qalb Tunis, des Geschäftsmanns Nabil Karoui, wichtigster Konkurrent Saieds bei den Präsidentschaftswahlen, der über Monate wegen angeblicher Geldwäsche in Untersuchungshaft saß.
Die anschließende zähe Regierungsbildung hatte Präsident Saied dazu veranlasst, mit der Ausrufung von Neuwahlen zu drohen, sollte der designierte Premierminister Fakhfakh scheitern. Die zukünftige Regierung besteht nun aus einer ungewöhnlichen Koalition, auf sozialen Medien als „Schakschuka-Regierung“ verhöhnt, angelehnt an ein ragoutähnliches tunesisches Nationalgericht.
Der als liberal geltende Fakhfakh konnte mit der Berufung von 17 parteiunabhängigen Kandidaten die politische Pattsituation aufbrechen, die auch Tunesiens Wirtschaft lähmt. Mit der panarabistischen Chaab, linken Splitterparteien, neoliberalen parteiunabhängigen Ministern und den moderaten Islamisten der Ennahda ist bis auf die ehemaligen Ben-Ali-Regimeanhänger das gesamte politische Spektrum vertreten. Auch die Partei des bisherigen Premierministers Youssef Chahed ist mit zwei Ministern dabei.
Dringend IWF-Gelder benötigt
Der zukünftige Finanzminister Nizar Yaiche wird wohl schon bald unpopuläre Entscheidungen treffen müssen, um den nach der Revolution von 2011 aufgehäuften Schuldenberg in Höhe von 3 Milliarden Dollar abzubauen. Eine vom IWF versprochene Kreditauszahlung wird schon benötigt, um die Gehälter der öffentlichen Angestellten im April zu zahlen.
Doch der IWF verknüpft wie auch die EU weitere Tunesien-Hilfen an zahlreiche Reformen und Antikorruptionsmaßnahmen. Die Finanzämter treiben aufgrund der grassierenden Korruption immer weniger Steuern ein, während die Zahl der Staatsbediensteten stetig stieg.
Doch selbst die Maßnahmen wie eine nötige Anhebung der Wasser- oder Stromgebühren fürchten die Parteien umzusetzen. Bei einer Arbeitslosigkeit von 15 Prozent rund um Tunis und weit über 30 Prozent in den küstenfernen Regionen könnten schnell wieder soziale Proteste ausbrechen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fußball-WM 2034
FIFA für Saudi-Arabien
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins