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Neues Drohfax gegen NSU-Opfer-Anwältin„Ich soll 110 wählen, wenn was ist“

Nach einem neuen Drohfax gegen Seda Basay-Yildiz fordert Hessens Opposition Aufklärung. Und kritisiert den Landesinnenminister harsch.

Nach dem erneuten „NSU 2.0“-Drohschreiben unter Beschuss: Innenminister Peter Beuth Foto: dpa

BERLIN taz | Nach einem neuen Drohschreiben an die Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yıldız, wieder unterzeichnet mit „NSU 2.0“ und erneut gespickt mit persönlichen Daten, gibt es Kritik an den Ermittlungsbehörden und dem hessischen Innenminister Peter Beuth (CDU). Der hessische SPD-Fraktionschef Thorsten Schäfer-Gümbel forderte am Montag „schnelle Aufklärung“. Das neue Drohschreiben sei „unerträglich“.

FDP und Linke gingen Beuth hart an. Dieser habe das Parlament abermals nicht informiert, so der Linken-Innenexperte Hermann Schaus zur taz. „Das ist eine nicht zu überbietende Dreistigkeit.“ Auch FDP-Innenexperte Stefan Müller kritisierte die Informationspolitik. Beuth sei in seinem Amt „offensichtlich überfordert“.

In dem neuen Fax, eingegangen am 20. Dezember, wird Başay-Yıldız als „Türkensau“ beschimpft und gedroht, ihrer zweijährigen Tochter „den Kopf abzureißen“. „Und der Rest eurer Dönercrew wird ebenfalls kompetent betreut werden.“ Bereits im August hatte die Anwältin, die im NSU-Prozess eine Mordopferfamilie vertrat, ein Drohfax erhalten, ebenfalls unterzeichnet mit „NSU 2.0“. Damals wurde der Name ihrer zweijährigen Tochter genannt und ihre Privatadresse – beides war nicht öffentlich bekannt. Ermittler stellten fest, dass Başay-Yıldız' Meldedaten kurz zuvor auf einem Computer im 1. Polizeirevier Frankfurt/Main abgerufen worden waren, ohne dienstlichen Anlass.

Im neuen Fax werden nun auch die Namen von Başay-Yıldız‘ Mann und ihrer Eltern benannt. Auch diese Informationen kommen wohl aus dem Polizeisystem, vermutet die Anwältin. Alle Personen seien auf ihre Privatadresse gemeldet und über soziale Medien nicht zu recherchieren. Verdächtigt in dem Fall sind vier Beamte und eine Beamtin des Frankfurter Reviers. Sie schweigen zu den Vorwürfen und sind suspendiert.

LKA sieht Başay-Yıldız geschützt

Başay-Yıldız nimmt die neuerliche Bedrohung ernst. „Die Person will mir im neuen Schreiben sagen, dass sie alles über mich weiß“, sagte sie der taz. „Die Polizei meinte, ich solle die 110 wählen, wenn was ist. Wenn ich das noch kann, mache ich das natürlich.“

Das Landeskriminalamt Hessen und die Staatsanwaltschaft äußerten sich am Montag auf Anfrage nicht zu dem neuen Vorfall – wegen der laufenden Ermittlungen. Laut einem LKA-Sprecher werde Başay-Yıldız’ Gefährdungslage „kontinuierlich bewertet“, ihr stünden für Schutzmaßnahmen feste Ansprechpartner zur Verfügung. Welche dies seien, unterliege der Geheimhaltung. Başay-Yıldız sei auch die Option geschildert worden, sich mit einem Waffenschein und einer Waffe auszurüsten, bestätigte der Sprecher der taz. „Das war aber nur eine der Möglichkeiten.“ Die Anwältin hatte sich darüber irritiert gezeigt: Brauche sie nun eine Waffe, um ihrer Arbeit nachzugehen?

Die Opposition in Hessen forderte am Montag eine „umfassende“ Erklärung von Innenminister Beuth über das neue Drohschreiben. Dies soll auf einer Sondersitzung des Innenausschusses am Donnerstag erfolgen, welche die Linke beantragte – ursprünglich, um den Fall eines früheren hessischen Polizisten zu beleuchten, der 2017 Informationen aus dem internen Polizei-Informationssystem an eine Rechtsextremistin weitergegeben haben soll.

„Aufstand der Anständigen in der Polizei“

Beuth selbst wollte sich zum Fall Başay-Yıldız am Montag nicht äußern – ebenfalls mit Verweis auf das laufende Verfahren. Empörung gab es da auch schon überregional. Eva Högl, SPD-Innenexpertin im Bundestag, sprach von einem „rechtsextremistischen Netzwerk“ in der hessischen Polizei. Dies müsse die Staatsanwaltschaft „in höchste Alarmbereitschaft versetzen“ und sei „eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit.“ Linken-Parteichefin Katja Kipping forderte eine unabhängige Aufklärung des Falls um Başay-Yıldız. Auch brauche es „einen Aufstand der Anständigen in der Polizei“.

Auch Atila Karabörklü, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde Deutschland, sprach von „systematischen, rassistischen Strukturen im Sicherheitsapparat“. Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) müsse nun „den Kampf gegen Rechtsextremismus im Sicherheitsapparat zur Chefsache machen“.

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18 Kommentare

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  • Widerwärtige Vorgänge.

    'sich mit einem Waffenschein und einer Waffe auszurüsten, bestätigte der Sprecher der taz.'



    satirische Ausfälle halte ich andieser Stelle für unpassend...

  • Jetzt soll die Polizei in Hessen den Fall aufklären.Die selbe Polizei durfte den Fall Andreas Temme,Verfassungsschützer der bei einem NSU-Mord anwesend war,am Ende auch nicht aufklären.Also schau mer mal.

  • Woher, von welcher Ruf/Faxnummer kommt das Fax?



    Und erzähl mir niemand ( die Nummer würde nicht angezeigt/gedruckt) man könne das nicht heraus finden. Klar kam man!



    Sie soll die 110 wählen? Bei einem rechten/ rassistischen Netzwerk in der Polizei?

    • @Jakob Cohen:

      Es gibt auch die Möglichkeit, Faxe über das Internet zu verschicken. Mit einem Server im Ausland dürfte das dann tatsächlich schwer nachzuverfolgen sein. Ob das hier der Fall ist, weiß ich natürlich nicht.

    • @Jakob Cohen:

      Kannste doch in irgendeinem Kiosk faxen...

  • Kommentar entfernt. Bitte bleiben Sie sachlich. Die Moderation

    • @815274:

      Schade. Ich wüsste schon gerne, was da für ein quark stand...

      • 9G
        99140 (Profil gelöscht)
        @Sebas.tian:

        Verteidigt Islamisten, kein Mitleid, selbst schuld, verdient bedroht zu werden...der Quark.



        Rechte Hetze

    • 9G
      99140 (Profil gelöscht)
      @815274:

      Sie schreiben von Dingen die Sie nicht verstehen.



      Viel Meinung, kein Wissen, wenig Verstand.



      AfD nehme ich an.

    • @815274:

      Das ist jetzt nicht Ihr Ernst?!

  • „Die Polizei meinte, ich solle die 110 wählen, wenn was ist. Wenn ich das noch kann, mache ich das natürlich.“



    vs.



    "Başay-Yıldız sei auch die Option geschildert worden, sich mit einem Waffenschein und einer Waffe auszurüsten [...]Die Anwältin hatte sich darüber irritiert gezeigt: Brauche sie nun eine Waffe, um ihrer Arbeit nachzugehen?"

    Einerseits einsehen dass man möglicherweise nach einem Erstangriff gar nicht mehr in der Lage sein könnte, den Notruf zu betätigen oder nachdem Anruf einen Angriff lange genug abwehren zu können bis die Polizei eintrifft, aber andererseits die korrekte Reaktion der Polizei dass man sich für diese Eventualitäten selbst schützen können sollte, ablehnen.

    Das ergibt für mich keinen Sinn, ist vielleicht auch ein Indikator für die generelle Haltung in der Bevölkerung gegnüber Notsituationen und Notwehr, die meisten scheinen so etwas schlicht nie erlebt zu haben.



    In solch einer Situation wird aber so gut wie nie ein Polizist direkt vor Ort sein und einschreiten können, es sei denn man hat wirklich einen Personenschützer.

    Eines sollte aber auch klar sein, insbesondere auch nach den hießigen Hannibal Recherchen, nur den Nazis die (Notfall)Waffengewalt zu überlassen, sollte beunruhigen.

    Ich würde hoffen dass die Polizei ihr nicht nur den Waffenschein und Selbstausrüstung sondern gleich auch Beratung und Training angeboten hat. In gut gelüfteten Schießanlagen, versteht sich.

    • @Pleb:

      Sollte das so 'angeboten' bzw. 'empfohlen' worden sein, ist das ein relatives Armutszeugnis für die Polizei. Im übrigen empfinde zumindest ich in diesem Fall einen routinierten personenschützer als sinnvoller, als Menschen, die nicht schießen wollen zum schießenlernen zu bringen. Da wird nichts gutes draus.

    • @Pleb:

      In Deutschland gibt es das Staatliche Gewalt Monopol.



      Menschen mit Waffe verletzten eher sich selber (od. angehörige) als "den Angreifer". Mehr ist zu diesem Treppenwitz aus Rechter-Propaganda nicht zu sagen.

  • "„Die Polizei meinte, ich solle die 110 wählen, wenn was ist. Wenn ich das noch kann, mache ich das natürlich.“"



    Wäre das auch die Antwort einem|r "deutschen" Menschen|Anwält*in gegenüber gewesen?



    Was. ist. hier. los? Muss erst ein Mitglied ihrer Familie oder sie selbst zu Schaden kommen?

    • @Frau Kirschgrün:

      wie konnte diese Nazibande über soviel Jahre so viel Einfluß behalten???



      FTS

      • @nolongerquiet:

        Weil es der Bevölkerung egal ist, solange es sie nicht selbst betrifft.



        Von Nazis (auch in der Polizei) sind eben fast alle Deutschen nicht betroffen (... noch).

        "Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte." (Martin Niemöller)

        • 9G
          92293 (Profil gelöscht)
          @Franz Georg:

          mir war es nicht egal, zur jahrtausendwende habe ich auf rechte potentiale hingewiesen, die man so nicht handeln lassen sollte; um die 2010er jahre habe ich auf schroffere vorgehen von kleingruppen hingewiesen; die frankfurter nazipolizeitruppe gabs auch vor 2009 schon; bouffier hatte leider nicht die kapazitäten etwas dagegen zu unternehmen; welche reaktion war jedoch unisono, politiker und abgeordnete die hierzu über alltägliche situationen uínformiert wurden haben stets druck und



          einschüchterung auf den informierenden ausgeübt .... steinmeier, steinlein, bouffier, al wazir, maas; zu lange galt es als salonfähig in der volkspartei einen teil an abgeordneten zu haben die sich gut und gerne mit dem rechten rand vernetzten

        • @Franz Georg:

          Sehe ich auch so, darauf "laufen wir wieder zu"… mir graut.