Neues Bleibe- und Abschieberecht: Schneller und mehr ausweisen
Der Bundestag beschließt Änderungen im Bleibe- und Abschieberecht. Der Bundesgerichtshof hatte Neuregelungen gefordert.
Hintergrund der Neuregelung ist laut Bundesinnenministerium ein „erhebliches Vollzugsdefizit“ bei der Aufenthaltsbeendigung. Übersetzt: Bislang schieben Behörden nicht fleißig genug ab. Laut Bundesinnenministerium ist es rechtsstaatlich unbefriedigend, dass im Moment nur „bei einem sehr kleinen Teil der vollziehbar Ausreisepflichtigen die Ausreisepflicht auch tatsächlich durchgesetzt wird“.
Im Juni 2014 hatte der Bundesgerichtshof weite Teile der in Deutschland praktizierten Abschiebehaft für rechtswidrig erklärt. Seitdem sind die Abschiebegefängnisse wesentlich leerer. Die Bundesregierung behauptet nun, die damals entstandene Lücke jetzt schließen zu wollen. Kritiker sehen in dem Gesetz jedoch auch erhebliche Verschärfungen.
So sollen Ausländerbehörden künftig etwa mit einem neu geschaffenen „Ausreisegewahrsam“ Flüchtlinge zu deren einfacherer Abschiebung bis zu vier Tage lang festnehmen können. In der Vergangenheit durften Ausländer, die nicht von den Behörden „geduldet“ sind, im Rahmen der Abschiebehaft auch schon festgesetzt werden. Allerdings mussten dafür weitere Gründe vorliegen. Hierbei wurde zumeist das Argument der Fluchtgefahr herangezogen.
Mehr Wiedereinreiseverbote
Mit dem neu geschaffenen Ausreisegewahrsam entfallen solche weiteren Gründe. Hier reicht es im Wesentlichen, dass die Ingewahrsamnahme die Abschiebung vereinfachen kann.
Die Koalition argumentiert u. a. damit, dass damit künftig die – von vielen Flüchtlingsinitiativen als unmenschlich bezeichneten – Nachtabholungen von Familien vermieden werden könnten.
Zahlreiche weitere Regelungen sollen Flüchtlingen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus das Leben schwerer machen. So können etwa Datenträger von Ausländern ausgewertet werden, um deren Identität und Staatsangehörigkeit zu ermitteln. Die Behörden sollen etwa Zugriff auf Handys und Smartphones von Ausländern erhalten, um Hinweise auf deren Herkunftsländer zu bekommen – zum Beispiel, indem sie die Telefonverbindungen auswerten dürfen. Auch soll die Abschiebung erleichtert werden, indem Staatsanwaltschaften künftig bei bestimmten Ermittlungen außen vor gelassen werden sollen: Ermittlungen aufgrund aufenthaltsrechtlicher Straftaten braucht die Staatsanwaltschaft nicht mehr zuzustimmen.
Wiedereinreiseverbote sollen ebenfalls leichter ausgesprochen werden können. Damit sollen Menschen effektiver daran gehindert werden, wiederholt angeblich aussichtslose Asylanträge in Deutschland zu stellen. Das richtet sich etwa gegen „Personen aus Staaten des Westbalkans“, wie es beim Innenministerium heißt. Gemeint sind vor allem Sinti und Roma.
Besonders hart dürfte nicht geduldete Flüchtlinge jedoch die äußerst weit gefasste Neubestimmung von Indizien treffen, anhand deren eine Fluchtgefahr erkannt werden soll. Dabei geht es um Hinweise darauf, dass sich der oder die Abzuschiebende entziehen will. Liegt eines dieser Indizien vor, können Behörden nach richterlicher Zustimmung Ausländer künftig wesentlich leichter als derzeit in Abschiebehaft nehmen.
Vereinfachungen im Bleiberecht
Ein solches Indiz für eine Fluchtgefahr sieht die Regierung etwa darin, dass Flüchtlinge zuvor Geld an einen Schleuser gezahlt haben. Ihre Annahme: Wer viel Geld in die Reise nach Europa investiert, „werde sich der Abschiebung entziehen, damit die Aufwendungen nicht vergeblich sind“, wie es in einem erklärenden Papier des Bundesinnenministeriums heißt.
Weitere Indizien für eine Fluchtgefahr sollen das Fehlen eines Reisepasses, unvollständige Angaben gegenüber Behörden oder die Umgehung von Grenzkontrollen bei der Einreise sein. Flüchtlingsinitiativen rechnen daher mit einem signifikanten Anstieg der in Abschiebehaft befindlichen Flüchtlinge.
Das neue Gesetz sieht jedoch nicht nur Schlechterstellungen vor. Vereinfachungen im Bleiberecht zielen vor allem auf jüngere und besonders gut integrierte Ausländer ab, die bislang nur geduldet wurden. Sie sollen künftig ein Bleiberecht erhalten können, wenn sie etwa unter 27 Jahre alt sind und mindestens 4 Jahre eine deutsche Schule besucht haben. Bislang mussten sie 6 Jahre Schulbesuch nachweisen.
Auch Familien, die für sich selbst aufkommen können, die ihre Treue zum Grundgesetz bekennen und mit einem Kind seit mindestens 6 Jahren in Deutschland wohnen, können ein Bleiberecht erhalten. Früher mussten es 8 Jahre sein.
Irreführend sind Meldungen, wonach die Ausbildung migrantischer Jugendlicher künftig erleichtert werden soll: Schon heute können Jugendliche in Ausbildung eine zeitlich befristete weitere Duldung erhalten. Daran ändert sich künftig nichts – es wird nur gesetzlich „klargestellt“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland