Neues Berliner Polizeigesetz: Rundum überwacht
Berlin bekommt ein neues Polizeigesetz. Die schwarz-rote Koalition ist dabei mehr an den Möglichkeiten zur Überwachung als an den Grundrechten interessiert.
Z wei Menschen umarmen sich innig am Berliner Alexanderplatz – und rufen damit die Polizei auf den Plan, die mit einem großen Aufgebot anrückt. Was absurd bis dystopisch klingt, könnte bald Wirklichkeit werden, wenn Berlins schwarz-rote Koalition das neue Polizeigesetz wie geplant am 4. Dezember im Abgeordnetenhaus verabschiedet. Es soll dann zum Jahreswechsel in Kraft treten.
Von da an darf die Berliner Polizei etwa dauerhafte Videoüberwachung an sogenannten kriminalitätsbelasteten Orten installieren. Dazu zählen der Alexanderplatz, der Görlitzer Park und das Kottbusser Tor. Und mehr noch: Eine Künstliche Intelligenz (KI) scannt das Material dann live nach auffälligem Verhalten – ob etwa sich eine Prügelei anbahnt. In dem Fall soll sie dann Polizist*innen alarmieren.
Das Problem ist nur: Die Software kann Schlägereien nicht zuverlässig von nur innig gemeinten Umarmungen unterscheiden. Sie produziert dadurch viele Fehlalarme. Was die Verantwortlichen in Innenverwaltung und Parlament als Arbeitserleichterung für die Polizei anpreisen, hat sich deshalb bislang nicht bewährt. Im Gegenteil: Erfahrungen aus Mannheim und aus Hamburg, wo die Technologie bereits eingesetzt wird, zeigen, dass sie eher mehr Arbeit macht als weniger.
Ob die Technologie nun funktioniert oder nicht – zentrale Bereiche der Berliner Innenstadt können künftig nicht mehr betreten werden, ohne ins Visier staatlicher Überwachung zu geraten. Doch das ist nicht der einzige Punkt im neuen Polizeigesetz, bei dem CDU und SPD weit übers Ziel hinausschießen. Denn die Polizei erhält zum einen neue und weitreichende Befugnisse. Zum anderen wird der Personenkreis, der in den Fokus der Polizei geraten kann, erheblich erweitert.
Hinzu kommt ein völlig neuer Bereich: der Einsatz von KI. Neben dem Verhaltensscanner kriegt die Polizei nämlich auch die von ihr lang ersehnte Gesichtserkennungssoftware für die Online-Suche nach Verdächtigen und darf bald Daten auf einer automatisierten Analyseplattform verknüpfen und auswerten.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Dass das Vorbild für die neue Gesichtserkennungstechnik, die private Software PimEyes, in der EU gar nicht zugelassen ist – geschenkt. Auch sonst zeigt sich die Koalition unbelehrbar. Auf massive Kritik von Expert*innen wie Berlins Datenschutzbeauftragter reagierten CDU und SPD mit einem Änderungsantrag, der strittige Punkte zum Teil noch weiter verschärft.
Damit verfolgt Berlin eine bedenkliche Strategie, die zuvor auch schon andere Bundesländer angewendet haben. Nicht die Grundrechte bilden die Richtschnur für das neue Gesetz. Stattdessen testet die Koalition lieber die Grenzen des verfassungsrechtlich Möglichen aus, indem sie die Wünsche der Polizei erfüllt und es zivilgesellschaftlichen Organisationen und dem Bundesverfassungsgericht überlässt, die neuen Regeln zu prüfen und womöglich zu kippen.
Schon mehrfach ist genau das passiert. In Hamburg, Hessen und Mecklenburg-Vorpommern hat das Bundesverfassungsgericht Teile der jeweiligen Polizeigesetze für verfassungswidrig erklärt. Im Fokus stand dabei immer wieder die automatisierte Datenanalyse – etwa mithilfe der umstrittenen US-Software Palantir –, die künftig auch in Berlin erlaubt sein soll. Gut möglich, dass das Berliner Gesetz schon bald die Richter*innen in Karlsruhe beschäftigt.
Das ist auch gut so. Denn viele der neuen Instrumente im Werkzeugkasten der Polizei sind schon jetzt gefährlich. Aber sollte eines Tages eine autoritäre Regierung an die Macht gelangen, böten sie ihr die Möglichkeit zur massenhaften Überwachung und Einschüchterung der Bürger*innen – und das ganz legal.
Gemeinsam für freie Presse
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert