Neues Album von Taylor Swift: Mehr böser Wolf wäre besser
Mit ihrem neuen Album „Evermore“ geht Taylor Swift unter die Märchenerzählerinnen. Die Musik des US-Superstars ist orchestral üppig.
Wer steigt aus einer Trauerweide, wohnt mit einem alten Klavier und einem Schaukelstuhl? US-Sängerin und Songwriterin Taylor Swift, die vor einigen Tagen mit „Evermore“ innerhalb eines Jahres ihr zweites Album veröffentlicht hat, lebt in einem geschichtsträchtigen Haus auf einem Hügel im kleinsten Ostküsten-Bundesstaat Rhode Island. Im Video zum Albumauftakt „Willow“ allerdings ist Swift tatsächlich als Baummädchen zu sehen, das sich auf Brautschau macht und sein Publikum auf den Märchenpfad schickt.
Der Song kommt mit seinem Kammerpop-Arrangement ausgesprochen wohlgefällig daher: Da sind elektrische und akustische Gitarre, Drumcomputer und Perkussion, Piano, Streicher, Flöte, French Horn und Glockenspiel. Ganz so zuckersüß, wie das klingt, ist Taylor Swifts Country-Pop-Entwurf dann aber doch nicht. Es ist die Sorte von Popmainstream, bei der es sich empfiehlt, mehrmals hinzuhören und hinzuschauen.
Im „Willow“-Videoclip muss Swift mehrere Male abtauchen, in den Untergrund gehen, um zu ihrem Ziel zu gelangen. Sie steigt in das Klaviergehäuse, gelangt von dort an ein Flussufer, taucht dem Spiegelbild ihres viele Male verschwindenden Geliebten hinterher, wird in ihre Kindheit zurückversetzt und findet sich im Schaukasten eines Jahrmarkts wieder.
Nun konnte auch Schneewittchen im Märchen der Brüder Grimm den Glassarg verlassen und ihren Prinzen heiraten, bei Taylor Swift braucht es aber mehr als sieben Zwerge, von denen einer stolpert: Swift steigt ein letztes Mal hinab und schließt sich einem okkult anmutenden Ritualzug an, der in einen ekstatischen Ringtanz in einem Winterwald mündet. Sie ist die einzige der Kuttencrew, die keine Maske trägt, und zum glücklichen Ende gelangt sie, indem sie sich absondert. Nicht schlecht, wobei nicht alle der Songs auf „Evermore“ so gut ausgehen.
Kerzen, Schreibhefte, eine Teetasse
Was überhaupt ist mit den Popsängerinnen los? Taylor Swifts drei Jahre ältere Landsfrau Lady Gaga überraschte beispielsweise in diesem Jahr mit ihrem „911“-Video, das ausgiebig Motive des sowjetischen Verbotsfilms „Die Farbe des Granatapfels“ (1969) von Sergei Paradschanow zitierte. Bei Swift sind es Insignien der Innerlichkeit, mit denen die immerhin 15 Lyrics-Videos zum kompletten „Evermore“-Album ausstaffiert sind: Kerzen, Schreibhefte, leere Bilderrahmen und eine Teetasse. Wenn der Blick nach außen geht, dann trifft er auf eine Winterlandschaft, ein verlassenes Riesenrad oder einen unmerklich zitternden Meereshorizont.
Taylor Swift: „Evermore“ (Universal)
Wenn sich in Swifts neuen Songs Menschen verlassen und Kindheitslieben enden, wird das von getragenen Pianoklängen umspielt. Geht es hier um Luxusprobleme, „Champagne Problems“, so der Titel des zweitem Songs? Es gibt Probleme, die verlangen nach Dom-Perignon. Und das Album hat seine Ausbrecher. „Closure“ beispielsweise, auch er ein Trennungssong, basiert auf einem nervösen, verschachtelten Maschinenbeat, über dem Swift lakonisch protokolliert: „Yes, I got your letter / Yes, I’m doing better.“
Das muss reichen, und gerade darin scheint der Sturm und Drang verborgen. Es sind Momente wie dieser, in denen sich andeutet, dass es in dieser immer noch mehrheitsfähigen Musik um mehr geht.
Der schleichende Verdacht
Der beste Song des Albums ist sein unheimlichster: „No Body, No Crime“, unterstützt durch das kalifornische Poprock-Trio Haim. Die mit Lap Steel Guitar, Mandoline, Orgel und Harmonika gerahmte Geschichte berichtet von vier Frauen, einem untreuen Ehemann und zwei Morden. Swift umreißt das Geschehen mit kargen, treffenden Sätzen: den schleichenden Verdacht, die schreckliche Entdeckung und wie die Ich-Erzählerin zur Rächerin ihrer Freundin wird. Das Video dazu zeigt einen dunklen Tann mit Nebelschwaden, davor einen Waldsee. Er scheint sehr kalt und sehr tief zu sein.
Wo „Evermore“ weniger lieb klingt, ist es ein vielversprechendes Album. An dieser Stelle einige Anmerkungen: Taylor Swift bezeichnet „Evermore“ als Schwester des ein halbes Jahr vorher erschienenen Albums „Folklore“ Eine gleichnamige Veröffentlichung gab es 2002 schon einmal, so hieß auch der Schwanengesang der 16 Horsepower. Countrymusik ist alles andere als zwangsläufig reaktionär. Die Liebe, die Vertreter der US-amerikanischen Alt-Right Taylor Swift angetragen haben, hat die Künstlerin nicht erwidert.
Und weil sich auf „Evermore“ ein „Rotkäppchen und der böse Wolf“-Song mit der Indie-Band The National findet, sei Taylor Swift für die Zukunft noch ein Duett-Partner empfohlen, nämlich der schräge Songwriter und Umzugsunternehmer Johnny Dowd. Dessen Alben bevölkern proletarische Untergeher und Jazz- und Gospelklassiker wie Billie Holiday und Thomas Dorsey. Leute, die aus dem verstaubten Röhrenradio in Taylor Swifts Rumpelkammer in der Einsamkeit kommen könnten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich