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Neues Album von Tara Nome DoyleEin Loblied auf die Gemächlichkeit

Die Musikerin Tara Nome Doyle mag Ungeziefer. Nun erscheint ihr zweites Album: „Værmin“. Ambivalenz ist eine zentrale Qualität ihres Sounds.

Die eigene Stimme weiterentwickeln: Tara Nome Doyle Foto: Sonja Stadelmaier

Motten, Blutegel, Schnecken, Krähen: Diese Tiere haben wenig gemein – außer, dass Menschen sie oft nicht mögen, bisweilen gar mit Ekel betrachten.Vielleicht ja, weil einige dieser Tiere allzu deutlich auf unsere schlechten Gewohnheiten verweisen. Etwa den Müll, den wir produzieren. Und so schimpfen wir diese faszinierenden Kreaturen einfach: Ungeziefer. Keine biologische Kategorie wohlgemerkt – lediglich eine Zuschreibung aus Menschenperspektive.

Die erwähnten Lebewesen verbindet zudem, dass sie von Tara Nome Doyle besungen werden. Die in Berlin geborene und aufgewachsene irisch-norwegische Musikerin hat auf ihrem zweiten Album, „Værmin“, ebensolche vermin – so der englische Überbegriff für alles Ungetier – zur Assoziationsfolie für eine Liebesgeschichte gemacht. „Zwei sehr gegenteilige Charaktere“, so fasst sie den Songreigen im Zoom-Interview zusammen, „werden voneinander angezogen; es endet tragisch.“

Dabei arbeitet sich Doyle mit den atmosphärischen Songs nicht an einer konkreten Erfahrung ab – zumindest nicht vordergründig. Trotz der introspektiven Anmutung der einzelnen Stücke ergeben sie keine Nabelschau, sondern eine vielstimmige Erzählung – was den Songs bei aller Schwermut auch Luft zum Atmen gibt. Neben ihrer nuancenreichen Stimme und einer trotz Streichern eher kargen Instrumentierung spielt ihr Klavier dabei die tragende Rolle.

Ungesunde Beziehungen finden sich überall

Tara Nome Doyle

Doyles Songs, insbesondere ihre Texte, seien nicht nur von einer Liebe inspiriert, „sondern zudem von Beziehungen zur Familie, Freundschaften und dem, was Leute im Umfeld eben so erleben“. Trocken stellt sie fest: „Ungesunde Beziehungen finden sich überall, wenn man genauer hinguckt.“

Allzu eindeutig soll die Stoßrichtung ihres Kammerpop­entwurfs allerdings nicht sein, so die 24-Jährige: „Vielleicht erzählt die Musik gar nicht von einer Liebe, sondern beschreibt eine innere Aus­einandersetzung mit sich selbst.“ Die Abgründe, die in Doyles Songs stecken, überführt sie immer wieder in einen Schwebezustand, Ambivalenz ist eine zentrale Qualität ihres Sounds.

Schnecken sind positiv

Der erst sanft schwingende, sich dann hochschraubenden Song „Snail I“ etwa ist ein Loblied auf die Gemächlichkeit, gerade in Liebesfragen: „Slow and steady wins the race.“ Im Song „Snail II“ fordert sie Behutsamkeit ein: „Think of me / when you see a snail / remember how long it took / us to get here.“ Schnecken nehmen in Doyles Ungeziefer-Kosmos eine eindeutig positive Rolle ein.

Das neue Album

Tara Nome Doyle: „Værmin“ (Martin Hossbach/Modern Recordings/BMG)

Eingerahmt wird die Liebesgeschichte von den zwei Liedern „Leeches I“ und „Leeches II“, angelehnt an die von Menschen oft nicht gerade geschätzten Blutegel. „Die beiden Songs“, erklärt Doyle, „handeln von einer toxischen Beziehung, an der beide Partner festhalten – auch die ausgenutzte Person.“ Und, fügt die Künstlerin hinzu, niemand werde nur ausgenutzt. „Deshalb war mir wichtig, aus beider Perspektive zu singen.“

Im ätherisch klingenden Auftaktsong „Leeches I“ geht es darum, hingebungsvoll in einer Beziehung aufzugehen. Das Gegenüber in „Leeches II“ antwortet eher kühl: Schönen Dank, allerdings habe ich dich darum nicht gebeten, schuldig bin ich dir nichts.

Frühe Erfahrungen

Die unterschiedlichen Perspektiven auf „Værmin“ finden ihre musikalische Entsprechung darin, dass Doyle nun das volle Spektrum ihrer Gesangsstimme nutzt. Das stimmlich deutlich muskulöser klingende „Leeches II“ ist der erste Song überhaupt, den sie für ihre Bruststimme geschrieben hat.

Dass sie trotz reichlich Erfahrung – Singen war in ihrer Familie alltagsbegleitend, erste eigene Songs komponierte sie bereits mit zwölf – früher immer mit ihrer Kopfstimme gesungen hat, wurde ihr vor wenigen Jahren bewusst – dank eines Gesangslehrers bei einem Vorbereitungskurs für ein Popmusik-Studium. „Eine faszinierende Erfahrung“, sagt Doyle. „Ich hab’ mich singen gehört, aber nicht wieder erkannt, weil ich so anders klang. Zuerst empfand ich meine Bruststimme als superhässlich.“

Als Doyle die Stücke beim Berliner Festival „Pop-Kultur“ 2021 erstmals vor Publikum spielte, fiel ihr auf, dass sie in dieser tieferen Stimmlage eine andere Präsenz hat. „Es fühlte sich einnehmend an, fast einschüchternd, diese Stimme zu nutzen.“ Diese als theatralisches Mittel zu nutzen, so Doyle, war eine interessante Erfahrung.

Die Stimme weiterentwickeln

„Eben nicht sanft und vorsichtig zu klingen, wie es meistens mein Ansatz ist. Sondern beim Singen auch Härte und Rauheit zu spüren.“ Eine Art Momentaufnahme. „So werde ich nie wieder singen. Der große Unterschied zwischen den Stimmlagen war diesmal Absicht; die Songs auf dem Album haben von der scharfen Trennung profitiert.“ Dennoch wolle sie die nicht zu ihrem Stilmittel machen: „Das eigentliche Ziel ist ja, Kopf- und Bruststimme zusammenzuführen. Ich will meine Stimme weiterentwickeln.“

Zu dem Dualismus, den Doyle durch diese voneinander getrennten Stimmen in die Musik trägt, passt eine weitere Idee, mit der sie auf „Værmin“ gearbeitet hat: Die Aufteilung der menschlichen Persönlichkeit in Persona und Schatten, wie sie von dem Psychiater C. G. Jung, Begründer der analytischen Psychologie, im frühen 20. Jahrhundert formuliert wurde. Persona, auch „Thea­ter­maske“ genannt, bezieht sich dabei auf das positive, oft etwas nai­ve Selbstbild einer Person. Schatten beschreibt dagegen die unbewussten Persönlichkeitsanteile; teilweise können sie einem kollektiven Unbewussten ent­stammen.

Es ist nicht das erste Mal, dass ­Doyle Inspiration bei Jung gefunden hat. Schon auf ihrem Debütalbum „Alchemy“ (2020) nahm sie auf seine Forschungen Bezug; seinerzeit ging es um Jungs Beschäftigung mit der Alchemie und der Frage, was sie mit psychologischer Entwicklung zu tun hat. Diesmal hat Doyle nun unser aller blinden Flecken im Visier. Und wirbt dabei, um noch einmal auf das Ungeziefer zurückzukommen, um einen wertfreieren Blick auf jene Wesenszüge, die wir gemeinhin mit Schädlingen assoziieren. Auf dem Close-up, welches das Albumcover ziert, guckt Doyle jedenfalls nicht mit Ekel auf die schwarze Raupe, die über ihre Wange kriecht; eher mit freundlicher Neugierde.

Persona und Schatten

Doch woher rührt die wiederholte Beschäftigung mit Jung? Ist es dem allgemeinen Interesse an Psychologie geschuldet – einem Fach, das ­Doyle studiert hat, bis ihr klar wurde, dass sich das nicht so einfach neben der Musik stemmen lässt? Eigentlich hatte sie, so erzählt sie, nach „Alchemy“ nicht die Absicht, sich weiter C. G. Jung zu widmen. Doch dann sei sie auf die Vorstellung von Persona und Schatten gestoßen, die sie spannend fand. „Oft sind Dinge, die man an sich selbst nicht mag, auch die Züge, die man bei anderen schlecht tolerieren kann – was man sich allerdings ungern eingesteht.“

Was Doyle an Jung weiterhin gefällt: Obwohl er eine wissenschaftliche Perspektive einnimmt, ist er offen für spirituelle Themen und traditionelle Weisheiten. Dies mache seine Theorien zugänglicher. „Er hat sehr klare Bilder geschaffen. Und ich arbeite gerne mit konkreten Bildern. Auf,Værmin' etwa waren es konkret die Tiere, die mir Inspiration beim Komponieren gaben.“

Auch wenn Doyle gerne mit Konzepten arbeitet – für das nächsten Album erwägt sie, darauf zu verzichten. Im Vertrauen, dass die Einfälle kommen, wenn sie es sollen. So souverän, wie sie auf ihren bisherigen Alben Ideenkonstrukte in atmende Songs verwandelt – die rund wirken und einen doch stolpern lassen –, sollte ihr das gelingen. Auch ohne theoretischen Überbau.

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