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Neues Album von StereolabShapeshifting im Spätkapitalismus

2009 hatten Lætitia Sadier und Tim Gane das Projekt Stereolab auf Eis gelegt. Jetzt ist die Londoner Band mit einem neuen Album zurück und geht auf Tour.

Stereolab in der Berliner U-Bahn, Lætitia Sadier (Zweite von links), Tim Gane (ganz rechts) Foto: Joe Dilworth

„The numbing is not working any more, an unfillable hole / An insatiable state of consumption“ – mit der Art der Betäubung klappt es nicht mehr, doch unsere Gier nach Konsum bleibt ungestillt. Fazit: Wir haben es mit systemischer Erpressung zu tun – „systemic extortion“.

Auf dem Papier klingt das so bitter wie wahr – und irgendwie plump. In „Aerial Distortion“, Auftaktsong des neuen Stereolab-Albums „Instant Holograms On Metal Film“ ist die bittere Pille so fluffig verpackt, dass man beim dritten Hören mitträllert. Gerade weil Lætitia Sadier – deren charmant-leierndes Frenglish immer nach Wiegenlied klingt – auch über Abgründe singt. Eingebettet in elegische Akkorde, aber auch Yéyé-Rhythmen, die ein Versprechen von Aufbruch transportieren. Ein Gesamtpaket, das sich einprägt.

So wie ein paar Stücke weiter etwa vergleichbar spröde Zeilen;„The war economy is inviolable violently / Suppresses all intelligence that conflicts with the stakes of those who drive it“ – zu finden auf „Melodie Is a Wound“, dem bemerkenswertesten Track des Albums. Ein wild mäandernder Shape­shifter; zunächst erinnert er an den Kammerpop der High Llamas, auch Beach-Boys-Vibes flirren umher wie Staubflusen. Im letzten Drittel schlägt das epische Stück dann doch ein paar Haken Richtung Dissonanz.

Schwer kategorisierbarer Sound

Weit aufgespannt war der Stereolab’sche Klangkosmos seit jeher: Die Band aus London erinnerte mit ihrem Sound zwischen Krautrock-Motorik, Easy Listening, Exotica und Klangforschung mit Vintage-Synthesizern bisweilen an den Proto-Elektroniksound, wie er in den 1960ern vom BBC Radiophonic Workshop ausgetüftelt wurde. aber auch das ist eben nur ein Puzzleteil ihres schwer kategorisierbaren Soundamalgams.

Album und Tour

Stereolab: „Instant Holograms on Metal Film“ (Duophonic/Warp/ Rough Trade).

Live: 26. 5. „Gloria“ Köln, 28. 5. „Grünspan“ Hamburg, 29. 5. „Huxleys“ Berlin, 30. 5. Zoom“ Frankfurt, 12. 6. „Hansa 36“ München

Und das lange, bevor Mu­si­ke­r:in­nen solch munteren Eklektizismus per Mausklick anrührten. In den 1990ern, als Stereolab ihre größte Zeit hatten, war das noch Handarbeit von Nerds. Trotzdem kam die britisch-französische Band nie streberhaft daher. Eher verfolgten sie ein punkiges Ethos: Die Idee war wichtiger als ihre Ausführung.

Es ist schräges Singalong-Material für die anstehenden Konzerte, was Stereolab uns auf Textebene unterjubeln. Oder hat die Autorin früher etwa nicht richtig hingehört? Tatsächlich passen ihre kaum sloganhaften, aber oft unorthodox-marxistisch unterfütterten Texte eher in unsere Zeit als in die aus heutiger Sicht seltsam optimistischen 1990er Jahre.

Zugleich strahlt „Instant Holograms on Metal Film“ etwas Tröstliches aus. Nicht nur, weil es beglückt, dass so unerwartet neues, zudem tolles Songmaterial dieser stilprägenden Band in der Welt ist – auch, weil die Musik inzwischen doch harmonieseliger daherkommt als vieles von früher.

Rückkehr nach langer Pause

2009 hatten Stereolab ihr Projekt auf Eis gelegt. Und lange schien unwahrscheinlich, dass Sadier und Tim Gane ihre Songwriting-Partnerschaft wieder aufleben lassen. Selbst, als die Band sich 2019 für eine Tour wieder zusammentat, um die Wiederveröffentlichung früherer Alben zu bewerben, dachte das einstige Paar nicht an neues Material, erzählen sie dieser Tage in Interviews. Erst 2023 sei es so weit gewesen.

Obwohl die 1990 in London gegründete Band in den ersten zwei Jahrzehnten ihres Bestehens verschiedene Phasen durchlief, blieb ihr Wiedererkennungswert hoch. An diese Vertrautheit docken sie mit dem neuen Werk an. Und integrieren trotzdem ein paar frische Ideen. Gelegentliche Männerstimmen etwa, die Background-Vocals ­geben. Während man „Immortal Hands“ mit Akustikgitarre fast schon einen Folksong nennen könnte – auch ein Novum.

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Blechblasinstrumente dagegen kamen auch früher gelegentlich vor. Doch selten drangen ihre Arrangements so tief in die Eingeweide, wie es etwa Rob Frye bei „Melodie Is a Wound“ mit dem Saxofon schafft. Sonst spielt Frye beim Chicagoer Psych-Trio Bitchin Bajas, das sich auf hypnotische Loops versteht. Gerade die Gäste, die die Bläser beisteuern – wie auch vom ebenfalls in Chicago beheimateten Avant-Jazzer Ben LaMar Gay –, schaffen schwebende Momente. So wie auch das manchmal flirrende Schlagzeugspiel von Andy Ramsay.

Vielleicht ist es genau das, was Stereolab-Musik so wohltuend macht: ihre fast grenzenlose Offenheit, in der Eklektizismus eben nicht nur postmoderne Spielerei oder Distinktionsgewinn ist. Das Quartett lässt den Pop-Appeal eines Burt Bacharach auf die situationistischen Ideen von Guy Debord treffen, während der zarte Schmelz von Bossanova sich in Krautrockmonotonie zerreibt. Spielfreude trifft produktive Verwirrung: ein wirksames Antidot zu einer Zeit, in der Bekenntniszwang und Echokammern kreative Spielwiesen schrumpfen lassen.

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