Neues Album von Rapper Yung Hurn: Seelen, Baby, bleiben nicht
Der junge Wiener Rapper Yung Hurn veröffentlicht mit „1220“ sein Studioalbumdebüt. Sein charakteristisches Nuscheln ist große Kunst.
Thanatos, Eros und Yung Hurn. Mag vermessen klingen, eine Rezension des Studioalbumdebüts des österreichischen Autotune-Rappers mit einem Verweis auf Sigmund Freud zu beginnen. Es ist nun einmal so, dass derzeit kein anderer zeitgenössischer deutsch singender Künstler den vom Mitbegründer der Psychoanalyse formulierten menschlichen Zwiespalt zwischen Libido und (Selbst-)Zerstörung, zwischen Lebensdrang und Todestrieb derart eindrucksvoll zum Ausdruck bringt wie Yung Hurn.
Welcher der beiden Triebe stärker ausgeprägt ist, das wechselt bei ihm von Song zu Song, häufiger, als man denken könnte, schiebt sich jedenfalls der dunkle nach vorn. Es könnte an Hurns Herkunft liegen. Der Tod – das wissen wir spätestens seit Georg Kreisler – muss ein Wiener sein und Yung Hurn ist Wiener durch und durch.
Die sprichwörtliche Todessehnsucht seiner Heimatstadt vertextet er zum Beispiel so: „Wenn ich sterb, weine nicht / Kerze auf mei’m Grabstein / Seelen, Baby, bleiben nicht / Schlaf zum letzten Mal ein.“ Im offiziellen Video zu „Hellwach“, dem inoffiziellen Anwärter zum Sommerhit 2018, düst Yung Hurn mit einem Kompagnon im weißen Flitzer durch das nächtliche Wien, raucht, wirft mit Geld um sich, trifft schließlich auf einen zwielichtigen Typen mit schwarzer Kapuze, der ihn erwürgt und mit Kreuz auf der Brust zurücklässt. Dem Tod kann keiner entrinnen.
Unmachistischer Künstler
Bei Yung Hurn kommt jedes Gangsta-Hiphop-Klischee maximal ironisch daher, allein schon, weil er dazu ein völlig unmachistisches Männlichkeitsbild verkörpert. Auffällig bleibt nur, er frönt einem ungesunden Lifestyle, ja er rennt ihm sogar entgegen. Hurns erstes Studioalbum, das heute veröffentlicht wird, heißt „1220“. So lautet eine Postleitzahl Wiens. „1220“ ist auch die erste Zeile des Auftaktsongs und eine der am häufigsten gedroppten Zahlen auf dem gesamten Album. Hurn hat sich die Postleitzahl sogar auf die blasse Brust tätowiert, denn er stammt von dort, genauer gesagt aus dem Stadtbezirk Hirschstetten, bekannt für seine Blumengärten.
Viel mehr biografische Details hat er bislang nicht verraten. Auch sein Alter nicht. Um die 20 ist er schätzungsweise. Auf der Bildfläche aufgetaucht ist Hurn 2015 mit einem Track – schon damals in Zusammenarbeit mit dem Berliner Künstlerkollektiv „Live from Earth“ –, der bereits zeigte, was Yung Hurn von anderen deutschsprachigen Rappern unterscheidet: „Nein“. Der Sound wabert sphärisch-wolkig vor sich hin, der Text besteht aus einigen gebrabbelten Zeilen über Betäubungsmittel. Hurn reiht sich damit ein in eine Riege von Rappern aus den USA und Europa, für die man das Genre „Cloudrap“ erfand und dessen wichtigste musikalische Kennzeichen Trap-Beat, Autotune-Effekt, Sinnlostexte und DiY-Attitude sind.
Wo andere Rapper sich als Wortakrobaten gerieren, kaut Hurn nuschelnd immer und immer wieder auf den gleichen Vokabeln herum, bis sie sich in weichem Brei aufgelöst haben. Statt zu reimen, beherrscht Hurn die hohe Kunst der Wortwiederholung. Mit Sprachjongliererei kann er nichts anfangen. Lieber knallt Hurn seinen Hörer*innen Zeilen um die Ohren, die sich in ihrem genial dadaistischen Stumpfsinn spielend dort festsetzen. Spätestens nach dem dritten Hören hasst oder liebt man jeden seiner Songs. Mitsingen lassen sie sich schon früher.
Liebe und Rausch
Diesem Konzept bleibt Yung Hurn auf „1220“ treu. In guten Momenten dichtet er anrührende Zeilen, wie etwa, wenn er im Auftakt „MHM“ treuherzig „Baby ist klug / Ich kauf ihr ein Buch“ reimt und damit fast an seinen Track „Opernsänger“ erinnert. Meist bleibt er lieber kryptisch repetitiv und belässt es bei seinen zentralen Themen: Bei Yung Hurn dreht sich alles um Liebe und Rausch und darum, wie egal alles andere ist. Leute, die über ihn reden, sind ihm so was von egal. In „Sie schauen“ erklärt Hurn auf knapp zwei Minuten Länge, was er von all denen hält, für die er wahlweise der Teufel oder der Inbegriff des schlechten Geschmacks ist: Völlig gleichgültig sind sie ihm! Zumindest will er diesen Anschein erwecken.
Nur Yung Hurn selbst weiß wohl, wie viel bei ihm letztlich reine Pose ist, etwa was die ständige Verherrlichung von Drogen angeht. Oder die Huldigung der Leistungsverweigerung. Denn eigentlich – und genau diese Ambivalenz macht Yung Hurn zu einem Phänomen – weiß er selbst sehr genau, wann es ihm lohnenswert erscheint, sich vor den Kommerzkarren spannen zu lassen.
Yung Hurn: "1220" (Live from Earth/Soulfood)
Einen Werbespot für das Internetversandhaus Zalando wird er sich gut bezahlt haben lassen. Freunde unter Rapfans macht er sich mit solchen Aktionen freilich nicht. Egal: Yung Hurn ist spätestens seit seinem Erfolg mit der EP „Love Hotel“ (2017) im Mainstream angekommen und der shoppt ohnehin beim Online-Riesen.
Ein wenig ist es mit Yung Hurn und seiner Musik wie mit der Sportswear im Stil der Neunziger, für die er in dem Spot wirbt. Es sieht auf bescheuerte Weise cool aus, nutzt sich aber recht schnell ab. Mit seinem Album „1220“ hat Yung Hurn die Inszenierung seiner selbst auf die Spitze getrieben. Was danach noch kommen soll? Vielleicht etwas ganz anderes. Wenn Hurn tatsächlich so klug ist, wie man es ihm hinter seiner Ballaballa-Fassade absolut zutraut, macht er wahr, was er in einem Interview mit der Zeitung Die Presse angekündigt hat: Nach seinem neuen Album will er mit dem Hiphop brechen.
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