Neues Album von Iggy Pop: So let her be your James Bond
Frisch, fromm, fröhlich und frei: Der alte Leguan Iggy Pop veröffentlicht mit „Free“ ein tiefenentspanntes, aber nicht zu altersmildes neues Album.
In der fünften Ausgabe des legendären Düsseldorfer Punk-Fanzines The Ostrich erschien ein Nachruf von Franz Bielmeier alias Mary Lou Monroe: „Mein Gott, Iggy ist tot! Iggy Pop, einer der größten Helden unserer Zeit, starb am 21. 9. 1977. An diesem Tag hörte ich nämlich seine neue LP ‚Lust for Life‘ zum ersten Mal. Seit diesem denkwürdigen Tag hat sich schwere Trauer auf uns alle herabgesenkt, und viele von uns, Leute aus der alten Garde, denen ‚Raw Power‘ und ‚Metallic K.O.‘ noch feste Begriffe sind, sehen sich eines Idols, auf dessen Worte und Taten man sich immer, sogar zu schlimmsten Discosound-Zeiten, verlassen konnte, beraubt.“
Im Vergleich zu den alten Aufnahmen von Iggy and The Stooges war sein Soloalbum „Lust for Life“, das er mit David Bowie aufgenommen hatte, den Hardcore-Fans wohl einfach zu lahm und zu „arty“. Auf ähnliches Unverständnis stößt heute auch Iggy Pops neues Album „Free“. Dessen „Unschärfe“ sei frustrierend, notierte ein Rezensent des US-Internetmusikmagazins Pitchfork.
Dabei ist „Free“ ein sehr schönes, um nicht zu sagen: erhabenes Album. Musikalisch lebt es von den sphärischen “Guitarscapes“ von Sarah Lipstate alias Noveller aus Brooklyn, die mit viel Reverb weite Räume aufmachen, den funky geblasenen Melodien des Jazztrompeters Leron Thomas aus Houston und natürlich der Stimme von Iggy selbst, die er wie ein Instrument einsetzt. Beide Künstler, Lipstate und Thomas, hat Iggy Pop selbst entdeckt, als er unbekannte Musik für seine BBC-Radioshow „Iggy Pop Confidential“ suchte.
Iggy Pop: „Free“ (Caroline International/Universal)
„Iggy Pop Confidential“. Alte Folgen seiner Radioshow bei der BBC gibt es als Podcast hier:
https://www.bbc.co.uk/programmes/b03yblbx/episodes/player
Ausgebrannt und müde sei er vor den Aufnahmen für dieses Album gewesen. So hat er es für seine Linernotes ins Telefon diktiert, als er im Auto mittags durch seine Wahlheimat Miami fuhr, die sommerliche Stadt, die Sonnenbrille auf der Nase: „Ich trage gern Sonnenbrille, wenn ich über diese Musik nachdenke. Und wenn ich sie mir anhöre.“
Ausgangspunkt für „Free“ waren zwei Gedichte. Eins von Lou Reed, „We Are the People“, das die Verfassung zitiert und vom desolaten Zustand der USA handelt, „We are the people who conceive our destruction and carry it out lawfully“, und ein klassisches von Dylan Thomas, „Do Not Go Gentle Into That Good Night“.
Praktische und wunderbare Melancholie
Thomas und Lipstate komponierten Musik dazu und schrieben außerdem weitere Songs, an denen Iggy Pop zum Teil mitarbeitete: „Das ist ein Album, auf dem andere Künstler für mich sprechen, ich leihe ihnen meine Stimme. Dieses Album ist mir zugestoßen, und ich habe es geschehen lassen.“
Etwas geschehen zu lassen ist im Zeitalter von Social-Media-Zynismus und Selfie-Narzissmus vielleicht der radikalste Akt überhaupt. „Positive thoughts make a brighter you / Your sense of community is going to kill you“, singt Iggy dazu auf „Glow in the Dark“. Sich etwas zustoßen zu lassen ist die praktische und wunderbare Melancholie, die sich als roter Faden durch dieses Album zieht.
Das Stück, das am stärksten an den Iggy der späten Siebziger und frühen Achtziger erinnert, heißt „James Bond“ und handelt von einer Frau, die der James Bond ihres Lovers sein will, was nicht etwa von Empowerment, sondern einer manipulativen Beziehung erzählt: „She’ll become a double agent if you try her patience / So let her be your James Bond.“
Empfohlener externer Inhalt
Von der allgegenwärtigen Onlinepornografie ist in „Dirty Sanchez“, dem heimlichen Hit dieses Albums, die Rede, und anscheinend scheint Iggy Pop lange darüber nachgedacht zu haben, ob er die Zeilen „Just because I like big tits / Doesn’t mean I like big dicks“ wirklich singen soll. Die Power, die dieser Song entwickelt, ist unter anderem der genialen Idee zu verdanken, dass zwei Männerstimmen, je eine auf dem linken und dem rechten Kanal, jede Zeile von Iggy wiederholen, einen Refrain gibt es nicht.
Nur eine gute halbe Stunde lang ist „Free“, die sich aber endlos in Raum und Zeit auszudehnen scheint. Iggy ist frei, und er bleibt also der Mann, „auf dessen Worte und Taten man sich immer verlassen kann“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Sensationsfund Säbelzahntiger-Baby
Tiefkühlkatze aufgetaut