Neues Album von Friedrich Liechtenstein: Der Humor ist sehr von Vorteil
Die neue Platte ist nicht supergeil und auch nicht von Edeka. Voll irrer Wendungen und Brechungen ist sie mehr schräges Hörbuch als raffinierter Pop.
Friedrich Liechtenstein wollte bereits vor zehn Jahren Popstar werden. Damals veröffentlichte er sein Debütalbum „Please Have a Look from Above“, auch da waren schon Beats und Grooves zu hören mit lakonischen Texten.
Nur diese markante sonore Stimme, die war noch nicht so dominant. Inzwischen sind wohl ein paar Scotch & Soda über die Stimmbänder geflossen, Liechtenstein und seine Bassgesang sind hierzulande zum Pop-Phänomen geworden. Dafür bedurfte es nur eines einzigen Wortes: „Supergeil“.
Es war dabei nicht das eigentliche Lied gleichen Namens, das Liechtenstein im vergangenen Jahr mit dem Berliner Musikkollektiv Der Tourist veröffentlichte, das für Furore sorgte. Es war der Werbeclip des Discounters Edeka, das ihn zu Beginn dieses Jahres zur Berühmtheit machte. Der Song wird darin nach den Ideen der Hamburger Agentur Jung von Matt verwurstet.
Muss man deshalb argwöhnisch sein, wenn man sein neues Album hört? Nicht unbedingt. Zwar hätte „Bad Gastein“, so der Titel, ohne „Supergeil“ wohl nur einen Bruchteil an Aufmerksamkeit erhalten, andererseits ist das Album weit genug weg vom Werbe-Phänomen, als dass es als bloßes Nachziehen im Hype um die Figur Liechtenstein erscheint. Eher irritierte es, dass Kritiker die Produktwerbung in die Nähe der Kunst rücken wollten. Zutreffend ist: Der Clip war eben ein ökonomischer Glücksfall für einen über die Jahre nicht sonderlich gut verdienenden Künstler.
Von Kuratmosphäre bis Rap
Denn der 58-Jährige, der bürgerlich Hans-Holger Friedrich heißt, hat bereits eine weitgehend unbeachtete Karriere als Theatermensch und Performancekünstler hinter sich. Er sei ein lebendes Kunstwerk, sagt Liechtenstein und nennt sich „Flaneur, Eskapist, Sänger“.
Friedrich Liechtenstein: „Bad Gastein“ (Staatsakt/Rough Trade)
Aufgenommen hat Liechtenstein sein neues, sein drittes Album „Bad Gastein“ gemeinsam mit dem Produzentenduo Heavy Listening. Die zehn Songs sind angelegt als Konzeptalbum, das von der abgeschlossenen Welt eines österreichischen Kurorts handelt und sich nur manchmal davon entfernt.
Eine italienische Frauenstimme führt zu melodramatischem Geigenspiel in den Topos ein – es hat „Zauberberg“-Momente, wenn die Hörer mit der Mystik des Ortes vertraut gemacht wird, man mag an Hans Castorp und Davos bei Thomas Mann denken. Diese Kuratmosphäre wird im zweiten und dritten Track von einem rappenden Liechtenstein („Goldberg & Hirsch“) und durch einen mit seichtem Gesang begleiteten Ausflug zur ehemaligen Kuranstalt des Ortes („Das Badeschloss“) so umgehend wie radikal gebrochen.
Überdreht-kitschige Soundcollage
An irren Wendungen und Brechungen ist das Album reich. „Bad Gastein“ ist weniger Pop-Album – wenn doch, dann vielleicht ein überdreht-kitschiges –, es ist mehr Hörbuch, eine mit Soundcollagen und Italo-Pop-Schwulst unterlegte, oft neodadaistisch anmutende Sammlung von Geschichten, bei der selbst das Italopop-Duo Al Bano und Romina Power zitiert werden.
Stücke wie der Zehnminüter „Belgique, Belgique“ kommen daher wie Pulp-Storys, die ein schmieriger alter Mann auf einem seifenglatten Achtzigerjahre-Musikteppich erzählt. Aber Liechtenstein rutscht darauf nicht aus. In dem Song „Delfinmann“ streift der Erzähler durch Brüsseler Nachtklubs in den späten 50ern und berichtet von seinem „Coming-out als Go-go-Dancer“. Als der Delfinmann, der so heißt, weil er merkwürdige Geräusche macht, im Greisenalter nach Belgien zurückkehrt, erkennt er: „72 ist kein gutes Alter für einen Go-go-Dancer.“
Ob man „Bad Gastein“ nun mag oder nicht, ist auch eine Frage von Humor. Es ist von Vorteil, dass jemand, der wie Liechtenstein in „Stalinstadt“ (Eisenhüttenstadt) geboren ist, mit solchem gesegnet ist. Ein „Meisterwerk“, wie vielfach geschrieben wurde, ist „Bad Gastein“ sicher nicht, dazu fehlt die musikalische Finesse. Gute Unterhaltung ist es hingegen schon.
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