Neues Album von Casper: Musikalische Abrissparty

Nach einer längeren Pause dockt Casper mit seinem neuen Album „Alles war schön und nichts tat weh“ an Indierock und Songwriting an.

Porträt von Casper vor einem Wald

Will alle Möglichkeiten ausloten: Casper ​ Foto: Chris Schwarz

Wer sich neu erfinden will, muss wissen, was er gerade ist. Wer es nicht weiß, macht einfach das, was er am besten kann. Deutschrapper Casper hat sich mit seinem neuen Album „Alles war schön und nichts tat weh“ damit abgefunden, dass er wohl nie so genau wissen wird, wo sein Platz in der Musikszene ist. Er weiß, er ist nicht mehr der heißeste Scheiß auf dem Schulhof, aber sicher auch nicht in einer Riege mit Altstars wie Grönemeyer und Lindenberg.

2011 feierte er mit dem Album „XOXO“ seinen Durchbruch, Casper wurde berühmt: Fanatische Fans, die vor seiner Wohnung campierten, Hater, die das Internet mit Drohungen gegen ihn vollposteten. Alle hatten eine Meinung zu dem Künstler aus Ostwestfalen-Lippe: nicht Rap genug, nicht Pop genug, zu mainstreamig, zu kompliziert, zu düster, zu enge Hosen, der einzige, der mich versteht, genial, Pionier, wie schafft er das noch mal?

Ja, der Künstler, der 1982 als Benjamin Griffey geboren wurde, schaffte es, auch mit den Alben „Hinterland“ (2013) und „Lang lebe der Tod“ (2017) die Erwartungen zu erfüllen. Aber den Druck des Abliefern-Müssens spürte er immer stärker, verlor sich in Zweifeln, verschob den Release von „Lang lebe der Tod“ um ein Jahr, es muss immer noch besser gehen.

Nun, fast fünf Jahre nach dem letzten, veröffentlicht Casper am 25. Februar ein neues Album, das einerseits eine Fortschreibung des Casper-Universums ist und doch vieles anders macht. Durch die Pandemie stand sein Hamsterrad still, er fing an, Songs zu komponieren, einfach weil er Lust darauf hatte.

Neuer Produzent

Er entdeckte, dass er, statt wie ein Vampir nachts mit Tunnelblick zu arbeiten, auch einfach die Morgenstunden nutzen kann (sozial verträglicher). Und er suchte sich einen neuen Produzenten: Max Rieger von Die Nerven, der gerade bei fast allem der deutschen Postpunk-Indie-Bubble die Finger mit im Spiel, aber eher keine Ahnung von Rap hat.

Casper: „Alles war schön und nichts tat weh“ (Eklat Tonträger/Sony)

„Ich bin als Künstler eher verkopft und unsicher, also jemand, der alle Möglichkeiten ausloten will. Max Rieger hat so eine schwäbische, pragmatische Arbeitsweise, dass er dann sagt: Nee, ist doch gut so, wie es ist“, erklärt der 39-Jährige. Schnelleres Arbeitstempo, Unsicherheiten wurden weggefegt, ein Song ist nur ein Song und kein unlösbares Universum, an dem man verzweifeln muss. Man muss nicht für die Geburt eines Albums leiden.

Im Videoclip zum titelgebenden Intro „Alles war schön und nichts tat weh“ ist Casper allein auf weiter See, auf einer kleinen blumigen Insel. Das Lied ist wie ein Sonnenaufgang mit Streichern und Klavier, Gedanken drehen sich im Kreis, nehmen Geschwindigkeit auf, der Wellengang nimmt zu und der Druck entlädt sich textlich und musikalisch.

Klassischer Rap wird ironisch gebrochen

Auf diesem hohen Energielevel verhandelt „Lass es Rosen für mich regnen“ Herkunft und Geltungsbedürfnis, klassischer Rap wird ironisch gebrochen von Indie und Pop durch den Gesang von Vincent Waizenegger, Mitglied der Band Provinz und bei Lena Meyer-Landrut. Auch eine Antwort auf die ewig nervige Frage: „Ist ­Casper überhaupt ein Rapper?“.

In „TNT“, dem gemeinsamen Song mit Tua, entlädt sich wieder Druck, aber auch Schmerz in der sehr offenen Thematisierung von psychischer Gesundheit. Die Stimmungskurve geht klar nach unten, während Casper sein Talent fürs schonungslose und detailverliebte Geschichtenerzählen wieder unter Beweis stellt: traumatisierter Ex-Soldat erschießt seine Familie, die Doppelmoral der Welt, in der wir leben, Klimakrise, Endzeitstimmung. Dazu gerne mal Post-Rock-Gitarrenwände.

Zum Weltschmerz kommt die Wut hinzu im zermürbenden Hin und Her einer toxischen Beziehung. Der Sturm bricht los, im gemeinsamen Song mit Felix Kummer werden Bengalos gezündet, zerstörerischer Lebenswille, musikalische Abriss­party. Die Wolken lichten sich, das Meer liegt wieder still da, die erlösende Sonne nach dem Sturm scheint zu „Euphoria“, auf dem Beatsteaks-Frontmann Arnim Teutoburg-Weiß gastiert. Das Finale „Fabian“ handelt schließlich von einem an Leukämie erkrankten Freund und der eigenen Hilflosigkeit, mit der Krankheit umzugehen. Doch Casper-untypischerweise ist es am Ende kein Song über den Tod, sondern über das Leben: „Coming home, stärker als der Tod“.

„Alles war schön und nichts tat weh“ ist also eine Versöhnung mit der Vergangenheit. Eine Versöhnung mit Schicksalsschlägen, eine Auseinandersetzung mit der eigenen plötzlichen Berühmtheit, der Verkopftheit und Unsicherheit, eine Versöhnung mit sich selbst.

Die Musik von Casper verhandelt eben auch seinen Platz in der Musikindustrie. „Ich hab mich von sämtlichen Erwartungen freigeschwommen, indem ich gesagt hab, ich will für dieses Album das Spiel nicht mitspielen, sondern einfach das tun, was ich am besten kann.“ Also Tracks produzieren, die nicht die Streamingalgorithmen und den Vermarktungswahnsinn der Rapszene (meine Rolex, mein Auto, mein Eistee, meine Sneakerlinie) bedienen, sondern vor allem den Casper-Fans und ihm selbst gefallen.

Casper hat sich Musik als einen Safespace zurückerobert, als kleine Rettungsinsel. Er findet ein neues Selbstbewusstsein darin, nicht wirklich in irgendeine Kategorie zu passen: „In der HipHopszene der Gegenwart gibt es viele Bilder und Ideale, die ich sehr verwerflich finde. Ich fühl mich eher als Teil einer Art Subkultur – die ist nicht Rap und ist auch nicht Indie. Dazu zählen Künst­ler­kol­le­g:In­nen wie Drangsal, Alli Neumann und Schmyt, aber auch K.I.Z, Feine Sahne Fischfilet und Kraftklub. Weil da geht es um den Song und den Text und eine Aussage und nicht darum, einfach schnell, schnell rauszuballern.“

Zu dieser neuen Freiheit gehört auch, darüber nachzudenken, irgendwann nicht mehr Casper zu sein, nicht mehr länger im Zyklus von Album machen und veröffentlichen zu leben. „Den Namen Casper hab ich mir mit 15 Jahren ausgedacht – bald werde ich 40. Viele Sachen, die mit dieser Künstlerpersona passiert sind, sind viel größer und viel krasser, als ich mir das jemals ausgemalt habe. Und vieles nervt mich einfach un­endlich. Ich finde gut, wenn Sachen nicht endlos lange vor sich hin mäandern. Es liegt eine große Kraft im Ende. Und eine große Euphorie im Anfang. Das würde ich mir für mein Leben doch noch ein-, zweimal ­wünschen.“

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