Neues Album von Billie Eilish: Vielleicht ist sie die Richtige?
Und doch keine Crowdpleaserin: Billie Eilish inszeniert ihr neues Album „Hit Me Hard and Soft“ zwischen eingängigen Hooklines und jähen Abgründen.
Früher war Billie Eilish ein Pop-Wunderkind. Mit 13 hat sie das Lied „Ocean Eyes“ im Netz hochgeladen, es ging viral, das Resultat: ein Plattenvertrag – der Rest ist Geschichte. Was die US-Künstlerin bisher angepackt hat, wird zu Gold, nein, besser: zu Platin. Ihr Debütalbum „When We All Fall Asleep, Where Do We Go?“ von 2019 hat allein in den USA Vierfach-Platin-Status erreicht.
Nicht nur ihre Verkaufszahlen sind gigantisch. Neun Grammys, zwei Oscars, zwei Golden Globes und zahlreiche weitere Auszeichnungen sprechen für sich. Eine so beeindruckende Bilanz können selbst die meisten Superstars am Ende ihrer Karriere nicht vorweisen. Billie Eilish hingegen ist gerade 22 und zumindest für ihre Fans schon jetzt eine Ikone.
Als sich abgezeichnet hat, dass Album Nummer drei auf dem Weg ist, waren Teenies weltweit im Eilish-Fieber. Sie erwarteten von „Hit Me Hard and Soft“ vor allem eins: Düsternis. Dazu passt das dunkle Coverfoto, es zeigt die Sängerin unter Wasser. Tatsächlich öffnet sich auf dem neuen Album eine Gedankenwelt, in der nicht alles rosarot, aber auch nicht zu Tode betrübt ist. Seit Veröffentlichung vor einer Woche wurden die zehn Songs des Albums allein bei Youtube bis jetzt jeweils rund 2.2 Millionen mal gestreamt.
Billie Eilish hat erneut mit ihrem Bruder Finneas O’Connell Songs komponiert, die eherne Regeln zu brechen. Die Indie-Flagge wird von der US-Künstlerin nicht mehr um jeden Preis hochgehalten. Immer öfter macht anschmiegsamer Pop den Weg frei für eine zaghafte Annäherung an den Mainstream.
Auf keinen Fall wie Swift
Billie Eilish: „Hit Me Hard and Soft“ (Darkroom/Interscope/Universal)
Der Beginn des nostalgiegefärbten „L’Amour de ma vie“ hätte auch Taylor Swift gut zu Gesicht gestanden. In bester Swift-Manier lässt Billie Eilish eine Person direkt wissen, dass sie doch nicht die Liebe ihres Lebens ist. Während ihr Gesang an Tiefe gewinnt, klingt er gegen Ende verzerrt. Damit schlägt das Stück eine Volte, es driftet zu treibenden elektronischen Beats ab und landet abseits vom mittigen Swift-Crowdpleasersound.
„Blue“ hat schon deshalb einen Stein im Brett, weil es TripHop mit süffig orchestrierten Streicherarrangements verwebt. Hier analysiert Billie Eilish das Zerbrechen einer Beziehung: „I thought we were the same / Birds of a feather / Now I’m ashamed / I told you a lie / Désolée, mon amour“. Trotz solcher Herzschmerzmomente findet sich in den neuen Songs Leichtigkeit. Beim tanzbaren „Lunch“, einer Queer-Imagination. Mit jugendlichem Leichtsinn möchte Billie Eilish ein Mädchen zum Mittagessen vernaschen. Getrieben von purer Lust? Jein, aus dieser Laune könnte mehr werden: „Tastes like she might be the one“.
Vorspiel mit Vogelfedern
Mit „Birds of a Feather“ schwört sich Billie Eilish auf ein Für-immer-und-Ewig ein: „Birds of a feather / We should stick together, I know“. Diese Nummer könnte das Vorspiel zu „Blue“ sein, was dieses Hochgefühl plötzlich zur Illusion degradiert. Musikalisch prägt sie eingängiger Pop. Eine Akustikgitarre leitet das folkig-introvertierte „Wildflower“ ein.
Billie Eilish brilliert als Sängerin, während sie fast schon paranoid um ihre Vorgängerin kreist: „But every time you touch me / I just wonder how she felt“. Bei „The Dinner“ scheint die Stimme aus der Ferne zu kommen, sie windet sich um bedrohliche Beats. In diesem Song versetzt sich Billie Eilish in die Rolle eines Stalkers, gegen den sie tatsächlich juristisch vorgegangen ist. Richtig gruselig wird es, wenn sie singt: „I saw you in the car with someone else and couldn’t sleep / If somethin’ happens to him / You can bet it was me“.
In dieser Meditation deutet sich an: So schnell wird die Kalifornierin ihre Pein nicht abschütteln können. Im Gegenteil: Dieses Trauma schürt bisweilen sogar Todesangst. „Skinny“ handelt nicht bloß von der ersten Liebe, dieses Lied reicht ziemlich weit – von gesellschaftlichen Erwartungen über Schönheitsideale, bis zu Selbstreflexion.
Dreampop mit Streicherarrangement
Keinesfalls will sich Billie Eilish einreden lassen, dass Dünnsein automatisch glücklich macht. Unbeirrt stellt sie Eigen- über Fremdwahrnehmung: „But the old me is still me / And maybe the real me“. Die Musik ist ein Hybrid aus Dreampop, gehauchten Worten mit Streicharrangement – gut mit Kopfhörern. Mit „Chihiro“ geht es hinein in die Disco, „The Greatest“ führt mit analogen Instrumenten in eine emotionale Achterbahnfahrt.
Bis Billie Eilish erkennt: „All my love and patience unappreciated.“ In „Bittersuite“ idealisiert sie einen Mann in ihren Träumen, sie sehnt sich nach einem Stelldichein im Hotel. Eine bittersüße Erfahrung, gekleidet in eine Songsuite mit Rhythmuswechseln – mal euphorisch, mal verklärt, zwischendurch beinahe unheimlich. Die Musik der zehn Tracks hallt nach, weil Billie Eilish einen scheinbar nah an sich heranlässt.
Fast so, als würde sie sich mit einer Freundin über Privates unterhalten. Es ist diese Glaubwürdigkeit, die vor allem Gen-Z-Fans anzieht. Wenn Billie Eilish über Liebe, Lust und Menschsein philosophiert, packt sie ihre Fans.
Mit ihrem Bruder Finneas bildet sie ein kongeniales Songwriting-Team, das nie zu offensichtlich auf Trends schielt. Das Duo bringt in einem Stück so viele Ideen unter, wie andere auf einem ganzen Album. Trotzdem wirkt „Hit Me Hard and Soft“ nie überladen, es hat die richtige Mischung aus Ekstase und Melancholie. Balladeskes und Uptempo gehen ineinander über, die Musik fügt sich zum stimmigen Bild.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“