piwik no script img

Neues Album der Band MutterFreundlich, vernuschelt, krank

Die Existenzphilosophen des Noiserock sind wieder da. Das neue Album der Berliner Band Mutter heißt „Ich könnte du sein, aber du niemals ich“.

Die Band Mutter ist spezialisiert auf Wahrheiten, von denen man vielleicht lieber nichts wissen will Foto: Die Eigene Gesellschaft

Mutter sagt einem Bescheid und verbeißt sich in das, was schiefgelaufen ist. Wer gerade heiter und beschwingt durchs Leben flaniert, wird mit der brachialen Musik der Berliner Band nicht viel anfangen können. Oder wollen. Wer aber gerade wieder in einer eher zerquälten Phase rumrudert, dem spenden Mutter eine sehr eigene, seltsame Form von Trost.

Das gilt bereits für das Frühwerk, mit dem die Band, 1986 noch im alten Westberlin gegründet, immer noch vor allem verbunden wird, von den wenigen Menschen, die sie überhaupt kennen: sperriger, unrockistischer Noise­rock war das, über den Sänger Max Müller gerne Texte in der zweiten Person Singular sang. „In ihren Augen ist nichts mehr / Sie hat dich nie gebraucht“.

Müllers Texte seien primär unkompliziert, behauptet Wikipedia. „Wenn du jedem erzählst, was du glaubst / Und was du für richtig hältst / Keiner hat je darum gebeten / Also was / Was erwartest du denn“. Alles klar, danke. Aber es ist halt wahr. Die Musik klang so, dass es wohl stimmen musste.

Mutter insistieren in radikal subjektiver, eigensinniger und doch irgendwie allgemeingültiger Weise auf den Wahrheiten, von denen man vielleicht lieber nichts wissen will. „Sie reden nur mit dir /um dich nicht zu beleidigen“. Warum diese Musik, obwohl dissonant und immer wieder arg schleppend, nicht niederdrückend wirkt, sondern stets so einen irgendwie schmerzhaft-klärenden Effekt hat, konnte bis jetzt nicht wirklich geklärt werden.

Radikaler Eigensinn als ästhetisches Prinzip

Es gibt auch nicht wirklich etwas, was ähnlich oder gar identisch klingen würde. Klar, man kann sich Referenzen überlegen, gerade für die ersten Alben – US-Bands wie Flipper und Swans vielleicht auch, Berliner Dilettanten ohne Drang zum Goethe-Institut.

Aber bei einer Band, die, bei aller kommerziellen Erfolglosigkeit, mit großem Erfolg radikalen Eigensinn zum ästhetischen Prinzip gemacht hat, ist es auch obsolet.

Nach mehreren Besetzungswechseln und spätestens seit dem Album „Trinken Singen Schießen“ (2010) ist die Musik weniger krachsüchtig. Neue Alben erschienen in den letzten Jahren in immer kürzeren Abständen, und jedes klang anders als das davor. Trotzdem läuft da­ eine direkte Verbindungslinie vom Debüt „Ich schäme mich, Gedanken zu haben, die andere Menschen in ihrer Würde verletzen“ (1989) über das freundliche, teils akustische und sehr zugängliche Album „Hauptsache Musik“ (1994) bis zum aktuellen Werk „Ich könnte du sein, aber du niemals ich“.

Es zurrt und kratzt noch immer

Dessen Musik wiederum klingt vor allem erst mal sehr schön. Zwar zurrt und kratzt es noch immer und immer wieder, aber alles vergleichsweise sachte, tatsächlich sind die Musiker freundlicher geworden. Wenn ein Produzent ihren Sound gründlich aufpoliert hätte, könnten ein paar der Lieder vielleicht auch als Indiepop-Geschrammel durchgehen. Das Titelstück „Du niemals ich“ zum Beispiel geht regulär verschraddelt los, dann aber zerfasert die Gitarre das Ganze doch noch, und die Synthesizer klingen latent krank. Wieder jede Möglichkeit zum Indie-Hit dahin.

Das Album

Mutter: „Ich könnte du sein, aber du niemals ich“ (Die Eigene Gesellschaft/Broken Silence)

Live: 13. 10. München, „Rote Sonne“, 14. 10. Stuttgart, „Merlin“, 15. 10. Karlsruhe, „KOHI“

Wenn es gar zu harmonisch wird, wie in „Wie fühlt sich Freiheit an“, werden die Songtexte dann neuerdings einfach so kryptisch, bis der Gesamteindruck sich bei allem melancholischen Wohlklang doch wieder entzieht. Oder man versteht den Text schon einfach akustisch nicht, weil Müllers Stimme so komisch in den Hintergrund gemischt ist, wie in „Wenn“: „Wenn es etwas geben würde / Was du mir jetzt sagen möchtest“ – und ausgerechnet dann verliert sich alles im Ungefähren.

Mutter haben die legendäre Brachialität der ersten Jahre in eine Musik überführt, die in neue Richtungen gehen kann und bei aller besungenen Tristesse eine der Welt zugewandte Gelassenheit verbreitet. Alles ist so, wie es ist, weil es so ist.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!