Neuer Trend: Das alte Leben einfach wegschließen
Die Firma Selfstorage vermietet in riesigen Hallen kleine Lagerräume. Hier kann man Möbel unterbringen, für die plötzlich kein Platz mehr ist, oder die Weihnachtsdekoration oder Erinnerungen an frühere Zeiten.
Die Reste ihrer zweiten Ehe lagern zwischen Stahlwänden und hinter einer marineblauen Tür mit der Nummer 4248. Eine Kommode, ein Tischchen, zwei goldene Vasen, zwei Bilder, zwei Kartons, einer rosa mit einem Cinderella-Schloss von Disney darin. Dalmaris Duckerschein steht in hellen Schaftstiefeln davor und sagt, dass sie das Cinderella-Schloss eigentlich schon verkauft hat. Wie die meisten anderen Dinge, die von ihrer zweiten Ehe übrig waren. Ein ganzes Esszimmer, geschreinert in der Dominikanischen Republik, wo Dalmaris Duckerschein vor 52 Jahren geboren wurde. Ein Esszimmer aus Rattan und Edelholz. Sie ist es über Ebay losgeworden. "Vergangenheit ist Vergangenheit", sagt Duckerschein. "Man muss nach vorne schauen."
Mietboxen zur Einlagerung von Hausrat, Hobbyausrüstung, Umzugsgut oder Archivmaterialien entwickeln sich zum Trend. Das Pendeln zwischen Städten, arbeitsplatzbedingte Umzüge oder der allgemeine Bedarf an billigem Stauraum führen dazu, dass in deutschen Großstädten das Modell auf dem Vormarsch ist. In Berlin bietet die Firma Selfstorage an drei Standorten solche Lagerräume an. In Kürze sollen vier weitere eröffnet werden. (www.selfstorage.de)
Sie schaut nach vorne, auf die Rücken der beiden Gemälde, die auf der Kommode stehen. Sie sieht nicht die schwarze Frau mit dem Strohhut, auf der Vorderseite, die Hibiskus-Blüten in einem Korb trägt. Ein Bild aus der Dominikanischen Republik, die Dalamaris, die damals noch keine Duckerschein war, vor 30 Jahren verließ, um in Deutschland Politik zu studieren, um dann zurückzugehen und ihr Land zu verändern. Zimmermädchen, Tellerwäscherin, Altenpflegerin. Irgendwann Kosmetikerin, kein Studium mehr. Berlin, Friedenau. Ein Mann, zwei Kinder. Er stirbt. Berlin, Gransee. Der zweite Mann, mit ihm drei Kinder. Zwischendurch versucht sie zurückzukehren, so wie sie es sich einmal vorgenommen hatte. Zwei Jahre hält sie durch, dann merkt sie, dass es nicht geht, dass es nicht mehr ihr Land ist.
In Gransee trennt sich ihr Mann von ihr, und sie muss mit drei Kindern - zwei sind schon erwachsen - zurück nach Friedenau, in eine Dreizimmerwohnung, 90 Quadratmeter. Kein Keller. Viel zu viele Sachen. Viel zu viel Vergangenheit. Da sieht sie im Vorbeifahren dieses Haus an der Stadtautobahn, Selfstorage steht darauf. Duckerschein lagert die Erinnerung hinter einer Tür im ersten Stock ein, Nummer 1309. Der Raum war doppelt so groß wie 4248, sechs Quadratmeter. Inzwischen hat sie viele Reste ihres alten Lebens verkauft. Es nimmt nicht mehr so viel Platz ein. Es kostet nur 93 Euro im Monat, nicht mehr 200. 93 Euro für drei Quadratmeter.
Dalmaris Duckerschein macht die Tür zu und hängt ihr Schloss davor. Sie geht durch den Flur. Beton, Leuchtstoffröhren, leise Lounge-Musik. Blaue Türen. Wie in einem hübschen Gefängnisgang oder in einer hässlichen Hallenbadumkleide. Die Türen zum Lastenaufzug sind rot, feuerwehrfarben. Unten im Büro stellt Duckerschein ihren Einkaufstrolley mit den Sachen, die sie aus der 4248 geholt hat, kurz in die Ecke und unterhält sich ein bisschen mit Susanne Setzer, die hinter dem Empfangstresen sitzt. Sie sprechen Spanisch.
Überwachte Flure
Auf einem Bildschirm sind Aufnahmen von Überwachungskameras zu sehen. Flure. Türen. Ab und zu zieht jemand einen Wagen mit Kartons durchs Bild. Der Bildschirm soll ein Signal an die Kunden sein: Hier lagern Ihre Sachen sicher. Er hat keine wirkliche Funktion. Die Sicherheitsfirma sitzt woanders. Die Bilder tragen aber zu einem Gefühl bei, das die Firma Selfstorage vermitteln möchte. Duckerschein formuliert es so: "Alles gesichert, alles trocken, alles sauber."
Es ist ihr Eindruck, aber es könnte auch gut ein Werbeslogan sein für dieses Unternehmen, das in der Nähe des Bundesplatzes auf acht Stockwerken Kellerersatz bietet. Nicht nur in Wilmersdorf, auch in Charlottenburg. Reinickendorf hat gerade aufgemacht und Friedrichshain, Mariendorf, Zehlendorf und Mitte sind in Planung. Von München, Frankfurt, Hamburg und Wiesbaden einmal ganz abgesehen. Von Wien sowieso. Da hat alles einmal angefangen, 1999. Seitdem expandiert Selfstorage in die Schweiz und nach Deutschland hinein. Mehr als 20 Standorte gibt es. Und manchmal fragt sich Susanne Setzer: "Was haben die Leute bloß früher gemacht?" Sie lacht sehr laut, ihre langen schwarzen Haare, das Lipgloss, die Augen glänzen.
Wo haben die Wilmersdorfer, deren Altbauwohnungs-Keller vor Jahren genauso feucht und unwirtlich waren wie heute, die ganze Zeit über die Sonnenschirme oder Schlitten aufbewahrt, die jeweils gerade nicht zu gebrauchen waren? Vielleicht haben sie all die Jahre auf ihre kleine, kameraüberwachte Parzelle in den tortenförmigen Geschossen eines Neubaus gewartet, die sie mit einem achtstelligen Sicherheitscode zwischen 6 und 22 Uhr jederzeit über den Aufzug hinten im Hof betreten können. Das wäre Susanne Setzer natürlich die liebste Antwort. Womöglich geht es aber nicht nur um Wilmersdorfer Altbaubewohner, sondern auch um die Anonymität der Großstadt, um die Flexibilität der Arbeitswelt.
Setzer hat es selbst erlebt, als sie von Berlin nach Düsseldorf zog, für einen Job, noch keine Wohnung hatte, aber ein möbliertes Zimmer und nicht wusste, wohin mit ihrer Einrichtung. Sie kannte ja keinen. Da hat sie bei der Konkurrenz einen Raum gemietet, als sie noch nicht wusste, dass es einmal Konkurrenz werden würde, weil ihr ja nicht klar war, dass sie nach Berlin zurückkehren und die Leitung des Selfstorage-Standorts Wilmersdorf übernehmen würde.
Abstand gewinnen
Klaus Werner schienen die unterirdischen Mauern des Raums, den ihm Bekannte überlassen hatten, zu feucht. Zu feucht für den Jahrgang seiner Zeitschrift namens Tauchen. Die lagert jetzt bei Selfstorage im fünften Stock, neben Schüsseln, Töpfen und einer Elektro-Eisenbahn. Werner ist 74, hat ein Jeanshemd an, eine schwarze Cap in der Hand und einen mattgoldenen Golf im Hof stehen. Als sie die Wohnung renoviert haben, hat er 20 Quadratmeter gemietet und die 60er-Jahre-Möbel hergebracht. Den Raum gibt er jetzt wieder auf.
Es sei, sagt Susanne Setzer, für manche auch eine Art Schmerztherapie. Sie wollen sich von Altem trennen, schaffen es aber nicht, also lagern sie es erst einmal aus - und müssen dafür Geld bezahlen. 1.327,76 Euro für fünf Quadratmeter und ein Jahr, Sofortzahlerrabatt eingerechnet.
In einer Ecke des Büros stapeln sich Kartons, Umzugsaccessoires. Dazwischen ein Schild mit Regeln. Was nicht geht: verderbliche Nahrungsmittel, Lebensmittel, Sprengstoffe - "oder andere explosive Stoffe", keine Drogen, keine toxischen Abfallstoffe. Die Leute werden nicht gefilzt, wenn sie ihre Abteile beziehen. Aber Setzer ist schon mal mit ihrem kleinen Hund durch die Gänge gelaufen. Vor einer Tür hat er angeschlagen, da hat sie die Mieter angerufen. Sie hatten einen Grill verstaut. Eine feine Nase, ihr Hund.
"Bis jetzt ist nichts passiert", sagt Susanne Setzer. Ärger haben sie eher mit Leuten, die die Abteile als Endlager missbrauchen, ihren Schrott stehen lassen und verschwinden. Deshalb müssen Mieter eine Kaution zahlen. Im Aufzug hängen die Adressen von Recyclinghöfen aus.
Es ist eine Gefahr, die bei Dalmaris Duckerschein nicht besteht. Sie will ihre Sachen, ihr altes Leben ja gerade loswerden. Bald wird sie auch ein paar Teile aus ihrem neuen Leben einlagern - gemeinsam mit dem Weihnachtsschmuck, den jetzt - fast ein Jahr lang - niemand mehr braucht.
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