Neuer Roman von Felicitas Hoppe: Unbesiegbar und sterblich zugleich

Felicitas Hoppe hat die Nibelungensaga furios neu geschrieben. Ihr Stummfilm mit Dialogen in der Umkleide wirkt wie von Tarantino inspiriert.

Die Schriftstellerin Felicitas Hoppe im Porträt

Eine gute Geschichte muss immer rätselhafte Motive enthalten: Felicitas Hoppe Foto: Ekko von Schwichow

Kaum ein literarischer Stoff scheint hierzulande so oft interpretiert, analysiert, bearbeitet, umgeschrieben, rezitiert, dramatisiert, verfilmt, besungen und gelesen worden zu sein wie die Geschichte der Nibelungen, was nicht verwundern sollte, bietet sie doch eine äußerst umfangreiche Themenpalette: Es geht um Liebe und Wahnsinn, Betrug und Rache, zweifelhafte Sekundärtugenden wie Ehre und Treue, die auch in diesem Fall zu Mord und Totschlag führen.

Die Hingabe zur literarischen Legende, die als Nibelungenlied in unterschiedlichen Textvarianten zu Beginn des 13. Jahrhunderts niedergeschrieben wurde und zu der es noch weitaus ältere Sagen-Vorläufer gibt, war allerdings nicht ungebrochen.

Nach Epochen, in denen Blutbäder und geheimnisvolle Schätze offenbar nicht ganz so interessant waren, hat sich das Nibelungenlied dann im 18. Jahrhundert zum Nationalepos der Deutschen entwickelt, wobei Siegfried, der Drachentöter, als großer Held verehrt wurde. Wir denken nicht zuletzt an Richard Wagners „Ring des Nibelungen“, der mit seinem Bühnenwerk nicht nur einen musikalischen Kult begründete.

Auch nach dem Ende des nationalsozialistischen Nibelungenwahns verschwand der Erzählschatz keineswegs in der Versenkung. Autorinnen und Autoren wie Volker Braun, Jürgen Lodemann, Helmut Krausser, Moritz Rinke, John von Düffel und Ulrike Draesner legten dann weitere, sehr unterschiedliche Bearbeitungsvarianten des historischen Materials vor, und nun hat Büchner-Preisträgerin Felicitas Hoppe sich in diese Tradition mit einem Werk eingereiht, das weniger dem weihevollen Pathos als vielmehr dem Grotesken des Blut-und-Boden-Dramas und vor allem der Nibelungenfolklore nachspürt.

Felicitas Hoppe: „Die Nibelungen“. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2021. 256 Seiten, 22 Euro

„Die Nibelungen. Ein deutscher Stummfilm“ heißt das Buch, das der Frage nachgeht, in welcher Sprache das historische Drama heute angemessen dargestellt werden könnte. Der Clou in Hoppes Version ist eine Erzählinstanz, die nur schwer zu greifen ist: Zunächst betrachten wir die Geschehnisse auf der Bühne der Wormser Nibelungenfestspiele, und zwar aus der Perspektive eines Besuchers, der ständig zwischen Weitwinkel und Radikalzoom wechselt und eine Inszenierung nach „erprobter Hausfrauenart“ zu sehen meint.

Eine hässliche Geschichte

Andererseits schippert ein „Zeuge im Beiboot“ auf Rhein und Donau zu den historischen Schauplätzen, und dieser Berichterstatter möchte, durchaus in der Tradition der Nibelungenklage, die historischen Figuren gegenüber Fehldeutungen der „hässlichen Geschichte“ verteidigen.

Felicitas Hoppe arbeitet die Widersprüche des Stoffs, die sich auch und vor allem an den Geschlechterverhältnissen am Hofe in Worms festmachen, so ernsthaft wie ironisch heraus: Kriemhild führt nicht nur das Schwert, sondern auch ein Buttermesser, und wird – wie in der Vorlage – dafür büßen müssen, weil sie sich am Ende nicht wie eine demütige Ehefrau, sondern wie ein rachsüchtiger Mann verhält.

Und Siegfried? Eine paradoxe Gestalt, die „unbesiegbar und sterblich zugleich“ ist und dessen seltsamer Tod zu der Frage führt: „Hat ein Lindenblatt auch seine eigene Ehre?“ Hoppe weiß um den Aberwitz insbesondere der fantastischen Aspekte, befasst sich ausgiebig mit Blutbädern und Häutungen, mit Tarnkappen und anderen Zaubereien. Kein Wunder, dass sich Fantasy-Blockbuster wie „Game of Thrones“ bei den Nibelungen bedient haben.

Ressentiments loswerden

Hoppes Drehbuch aber wirkt eher von Tarantino und Schlingensief inspiriert, und so ist es auch kein Wunder, dass in diesem „Stummfilm“ viel geredet wird, vor allem in den Pausen der Festspielaufführung. So betreten wir die Umkleide, und ein selbstbewusster Kerl, der den Hagen von Tronje spielt, darf – wie alle anderen Hauptfiguren – über die eigene Rolle plaudern und ein paar Ressentiments loswerden: „Als Rheinländer habe ich kein Problem mit Gewalt, sondern mit der Donau.“

Die fiktiven Interview-Sequenzen sind der literarische Höhepunkt dieses eigenwilligen Nibelungenromans, der ganz nebenbei die Rezeptionsgeschichte des Stoffs mit vielen versteckten Verweisen aufgreift und parodiert.

Literarisches Erbe

Vielleicht sind die Nibelungen nicht bühnentauglich, mag man sich bei der Lektüre des Buches denken, so banal und verrückt sind die Motive, so inkonsistent die Charaktere. Im Nibelungen-Stoff aber steckt, auch das lernen wir bei Hoppe, ein wichtiges literarisches Erbe, dass nämlich eine gute Geschichte immer rätselhafte Momente enthalten muss.

Gegen Ende stellt die Erzählerin die lustige Frage: „Hätte man die Botschaft nicht einfach twittern können?“ Nein, auf keinen Fall. Das hieße, auf die schillernde Prosa von Felicitas Hoppe zu verzichten, die nun gerade zeigt, dass es eine einfache Botschaft nicht gibt, wenn Starrsinn, Hass und Vernichtungswille den Diskurs prägen.

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