Neuer Musikfest-Anlauf: Orte für die Ohren

Hamburg hat wieder ein Musikfest. Respekt verdient der Initiator, Elbphilharmonie-Intendant Christoph Lieben-Seutter, schon dafür, dass er die teils zerstrittene Szene mit ins Boot bekommen hat. Programmatisch herausgekommen ist dabei ein hochklassiger, aber unverbindlicher Mix.

Vorerst noch in Laeiszhalle statt Elbphilharmonie: Eröffnung des Internationalen Musikfestes Hamburg. Bild: dpa

HAMBURG taz | „Wir brauchen Orte, die fürs Ohr gemacht sind, nicht für die Augen“: So hat es Ingo Metzmacher vor ein paar Jahren gesagt, der ehemalige Generalmusikdirektor in Hamburg. So einen Ort bekommt die Stadt ja auch, die Elbphilharmonie, obwohl die für Politiker und Architekten wohl doch eher etwas fürs Auge ist. Aber wenn sie erst fertig ist, 2017, soll sie eben auch einen der zehn weltbesten Konzertsäle beherbergen.

Um die Idee eines „gemeinsamen Hauses“ schon mal mental voranzutreiben, stemmt der 2007 bestellte Elbphilharmonie-Intendant Christoph Lieben-Seutter jetzt ein fünfwöchiges Musikfest, das künftig alle zwei Jahre stattfinden soll. „Verführung“ lautet das Motto für das erste Mal – und Verführungskünste hat Lieben-Seutter offenbar auch angewendet, um Hamburgs Musikschaffende an einen Tisch zu bringen: mit NDR-Sinfonikern, Philharmonikern und Symphonikern sind alle drei großen Orchester dabei, das Ensemble Resonanz, aber auch Privatveranstalter wie die Konzertdirektion Goette.

Streithähne raufen sich zusammen

Das will etwas heißen: Gemeinsam mit dem Verband der Konzertdirektionen war Goette wider die Elbphilharmonie-Konzerte vor Gericht gezogen – wegen Wettbewerbsverzerrung. Lieben-Seutter, so der Vorwurf, könne dank öffentlicher Subventionen hochkarätige Konzerte zu günstigeren Preisen anbieten als ein Veranstalter, der seine Kosten komplett einspielen muss.

Die Klage ist noch anhängig, aber fürs Festival haben sich die Streithähne nun zusammengerauft. „Die Erfahrung hat gezeigt, dass für alle mehr herumkommt, wenn wir Dinge gemeinsam tun“, sagt Lieben-Seutter diplomatisch. Synergieeffekte entstehen nicht nur durch gemeinsames Marketing samt Vertrieb, sondern auch ganz handfest, wenn es um’s Geld geht: Rund eine Million Euro beträgt der Etat des Musikfestes, wovon 150.000 Euro aus der städtischen Kulturtaxe kommen, der Rest von einem Sponsor.

„150.000 Euro sind für ein Musikfestival dieser Größenordnung nicht viel“, sagt Intendant Lieben-Seutter. „Vergleichbare Festivals haben ein Budget von fünf Millionen – und mehr als das Zehnfache an öffentlichen Mitteln.“

Für jeden etwas

Aber es ist ein Anfang, und offenbar beflügelt er die Szene. Zwar bietet das Musikfest auch Konzerte, die sich ohnehin im Programm der jeweiligen Veranstalter fänden – diese Abo-Konzerte werden sozusagen nachträglich zum „Musikfest-Konzert“ geadelt –, anderes wurde eigens für das neue Musikfest konzipiert, etwa Humperdincks „Königskinder“ mit den Hamburger Symphonikern. „Ohne unsere finanzielle Unterstützung“, sagt Lieben-Seutter, „hätten sie das nicht umsetzen können.“

Herausgekommen ist bei all den Kooperationen allerdings ein ziemliches Konglomerat: neben Klassik gibt es auch Jazz, etwas Weltmusik und ein bisschen ambitionierten Pop – für jeden etwas. Das ist kein Zufall, denn Lieben-Seutter will möglichst viele erreichen, vor allem das immer wieder im Munde geführte „Potenzial“: all die unter den Hamburgern, die „im Prinzip musikinteressiert sind“, sagt er, „es aber im Alltag nicht schaffen hinzugehen“. Die könnten durch so ein Programm – einen Leuchtturm, wie ihn Standortpolitiker lieben – animiert werden.

Dass das Konzept aufgehe, zeige der Vorverkauf: „Viele der Musikfest-Konzerte sind wesentlich besser ausgelastet, als wenn wir sie nur im Rahmen der normalen Abos beworben hätten“, sagt Lieben-Seutter. In anderen Worten: Ein solches Fest dient als Marketing-Trick, um Musik unters Volk zu bringen. Das spiegelt auch die kulturpolitischen Vorstellungen der SPD wider, die die Stadt derzeit allein regiert.

Es gab in Hamburg auch schon andere Varianten des Musikfests: in den 1990er-Jahren unter Ägide der Philharmoniker, umso eigenwilliger dann von 2000 bis 2004 die Feste des Neue-Musik-Freaks Ingo Metzmacher, damals Chef der Hamburger Staatsoper. Er glaubt bis heute daran, dass sich Menschen an zeitgenössische Musik gewöhnen lassen, indem man sie ihnen oft genug vorspielt. So waren ja auch Metzmachers Silvesterkonzerte – „Who’s afraid of 20th century music?“ –, deren Programm vorab geheim blieb, fünf Jahre lang ausverkauft.

Seine Musikfeste zu großen Themen wie „Zeit“ litten dagegen an organisatorischen Verwerfungen und endeten 2004 mit einer abspeckten „Langen Nacht der Neuen Musik“. Die Resonanz seitens des Publikum war schlecht, auch der Rückhalt der Politik am Ende geschwunden. Solche Experimente aber seien nur möglich, wenn man unter dem Schutz der Politik arbeiten könne, sagte Metzmacher später.

Und da hatten sich die Vorzeichen geändert: Auf die avantgardefreundliche Kultursenatorin Christina Weiss (parteilos), von der Metzmacher einst geholt worden war, war inzwischen die frühere Bild-Journalistin Dana Horáková (parteilos) gefolgt. Sie ließ Metzmacher ziehen und warb Simone Young als Generalmusikdirektorin an.

Die Sache mit der Handschrift

Young verwandelte das Musikfest in die „Ostertöne“, ein handwerklich gutes, programmatisch aber gutbürgerliches Ereignis mit viel Brahms und „musikalischem Ostereiersuchen“. Die 2012 ausgelaufenen „Ostertöne“ waren das letzte Hamburger Musikfest, das die erkennbare Handschrift einer Intendantin trug. Die kann das nun vom Stapel gelaufene Fest nicht haben, so viele Veranstalter- und Dirigenten-Persönlichkeiten, wie es vereint.

Da ist es konsequent, dass mit Lieben-Seutter diesmal kein Musikschaffender das Fest organisiert, sondern ein Manager, dem künstlerische Eitelkeiten fremd sind. Und wenn man will, kann man diese Verteilung der Gestaltungsmacht auf viele Häupter, in Schach gehalten von einem Moderator, sogar als Form von Demokratisierung verstehen.

■ 1. Internationales Musikfest Hamburg läuft bis 15. 6. 2014;
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